Castortransporte 2010 und 2011:

Klagen gegen Polizeikessel erfolgreich

Fast acht Jahre und alle gerichtlichen Instanzen hat es gebraucht, bis ein rechtskräftiges Urteil zu den Vorfällen während der Castortransporte 2010 und 2011, nahe der kleinen Ortschaft Harlingen im Wendland, gefällt wurde.

Die beiden Freiluft Kessel, die eilig von der Polizei errichtet wurden, sind per Gerichtsbeschluss für unrechtmäßig erklärt worden. Zudem steht den Geschädigten nun ein Schadensgeld zu.

Wir erinnern uns

Im Zuge der Castor Transporte 2010 und 2011 versammelten sich mehrere tausende Menschen auf einem Bahngleis nahe der Ortschaft Harlingen im Wendland. Die Polizei löste in beiden Jahren nach etlichen Stunden die Versammlung auf und verbrachte die teilnehmenden Personen in einen "Freiluft-Kessel" in unmittelbarer Nähe zu den Bahngleisen.

Nach der jeweiligen Durchfahrt des Castor Transportes wurden die Menschen dann wieder auf freien Fuß gesetzt. In beiden Fällen verzichtete jedoch die Polizei darauf die festgesetzten Personen einem Gericht zuzuführen, welches den Verstoß und die damit begründete Maßnahme zu erläutern hätte.

Bei widrigen äußeren Umständen wurden die Personen über einen langen Zeit auf offenem Feld festgehalten unter Aushebelung ihrer Grundrechte.

Anwält*innen klagen

Zwei Hamburger Rechtsanwältinnen vertraten im Nachgang mehrere Geschädigte auf ihrem langen Weg zum Recht. Ein Rechtsanwalt vertrat sich zudem selbst in einem Verfahren und ging durch alle Instanzen. Die letzte Instanz gab den Kläger*innen recht und sprach ihnen ein Schmerzensgeld zu. Jedoch sieht das Urteil nicht vor, dass auch die Kosten der vertretenden Anwält*innen zu übernehmen seien.

Schadensersatz für die Geschädigten

Während die Geschädigten, die eine anwaltliche Vertretung gewählt haben, mit einer baldigen Auszahlung rechnen können, gibt es zahlreiche Geschädigte, die nun, durch die im Verfahren unterlegene Polizei, aufgefordert werden ihre Anwesenheit im  Kessel zu belegen. Betroffen sind hierbei Geschädigte, die keine anwaltliche Vertretung gewählt haben, aber durch Einreichen eines Schriebs selbstständig versucht haben einen Anspruch auf Schmerzensgeld geltend zu machen.

Stellungnahme und Informationen der Aktionsgruppe "Widersetzen"

"Liebe Leute,
etliche haben ein Schreiben von der Polizei bekommen, in dem einerseits darauf hingewiesen wird, dass auf die Einrede der Verjährung verzichtet wird, bis der Vorgang abgeschlossen ist.

Damit bleibt ihr also im Rennen. Die Verjährung wird verschoben. Das zweite Schriftstück ist die Aufforderung einen Kesselbeweis zu liefern. Die Polizei muss ja nun für beide Jahre zahlen. Dass sie nun versucht, die Kosten zu drücken ist aus ihrer Sicht nachvollziehbar. Unser Ansatz war ja unter anderem, Schadensersatz geltend zu machen, die Behörden mit diesem Vorfall langfristig zu konfrontieren und ihnen zu zeigen, dass man mit Vielen einiges erreichen kann. Und vor allem natürlich, ein Urteil zu erstreiten, dass rechtskräftig ist!

Die Polizei versucht die Kosten zu senken, indem sie alle Menschen, die 2010/11 im Kessel waren, anschreibt und sie auffordert nachzuweisen, dass sie wirklich im Kessel waren. Nun ist das insofern schon interessant, dass konkret Leute anschrieben werden und damit klargestellt wird, dass die schon einen Antrag auf Schmerzensgeld gestellt haben oder Anspruch darauf haben. Aber gut, die Polizei will jetzt wissen, von wann bis wann ihr drin wart.

Wir haben in unseren Unterlagen nachgeschaut und gefunden, dass wir 2010 als einige der Ersten gegen 2.00 Uhr in den Kessel gebracht wurden. Wir waren bis zur Auflösung (wie auch anders!) drin und die war gegen 9.00 Uhr vormittags. Das bedeutet knapp acht Stunden. Und wir wissen, dass gaaaaaanz viele ganz zu Anfang in den Kessel gebracht wurden. Es scheint so zu sein, dass das Schmerzensgeld entsprechend der Zeit im Kessel berechnet wird!

In 2010 wurden, soviel wir wissen, nur Stichlisten gemacht, es wurden keine Namen aufgeschrieben. 2011 haben sich einige registrieren lassen bzw. ihren Antrag auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung gestellt. Damit waren sie im Verfahren und ihr Name dokumentiert. 2011 begann die Räumung gegen 2.30 Uhr und der Kessel wurde gegen 15.30 Uhr geöffnet.

Die Polizei schreibt, dass ihr selbst einen Bericht schreiben könnt oder aber Fotos (!) oder aber Zeugenaussagen beibringen könnt. Das Schriftstück kann ganz einfach gehalten sein, ist aber natürlich eine formal juristische Zeugenaussage und muss der Wahrheit entsprechen und unterschrieben sein. Das schickt ihr zurück an die Polizeidirektion.

Die Sache wird uns aber noch weiter beschäftigen, weil z.B. die Anwälte nicht bezahlt werden sollen und anderes. Sie versuchen jetzt alles, um sich rauszuziehen.

Und falls es jetzt doch irgendwann zur Auszahlung eines Schmerzensgeldes kommt, kann der eine oder andere sicher ein paar Euro an Organisationen oder Vereinigungen oder ähnliches spenden.

Hier ein paar Vorschläge unsererseits:

Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.
www.bi-luechow-dannenberg.de
IBAN: DE24258501100044060721
BIC: NOLADE21UEL

Gorleben Archiv e.V.
www.gorleben-archiv.de
IBAN: DE60258501100044064244
BIC: NOLADE21UEL

Kurve Wustrow
www.kurvewustrow.org
IBAN: DE50430609672041646800
BIC: GENODEM1GLS

Wichtig sind auch Gruppen, die sich um die  Klagen rund um G20 befassen oder andere.

Ich hoffe, das reicht erst mal für eine Reaktion eurerseits an die Polizeidirektion."

RÜCKBLICK

HARLINGEN 2010

Montag, 8.11.2010

Um 01.40 Uhr begann die Polizei damit, die Schienenblockade bei Harlingen zu räumen. Zuvor war auf einem freien Feld ein großer „Kessel“ aus Polizeiautos, ausgeleuchtet mit dne Scheinwerfern von vier Wasserwerfern und aufgestellten mobilen Beleuchtungseinheiten gebildet. Dorthin wurden die Blockierer getragen bzw. gingen zum Teil auch selbst, um Verletzungen durch Gewaltanwendungen zu entgehen.

Ticker:

MO 09:20
Die Gefangenen dürfen die Gesa bei Harlingen verlassen und möchten
abgeholt werden.

MO 09:02
Der Castor passiert die Gefangenensammelstelle bei Harlingen

MO 07:11
Die in Gewahrsam Genommenen aus Harlingen werden in die
Gefangenensammelstelle nach Lüchow gebracht.

MO 06:57
Neben Unterkühlungen und den üblichen Polizeigriffveretzungen wurde bei
der Räumung in Harlingen einem Menschen die Schulter zertrümmert.

MO 06:50
Die letzten 9 Blockierenden werden ruppig von den Schienen entfernt.

MO 06:44
Für die mittlerweile zum Teil erheblich unterkühlten Gefangenen fahren
jetzt an der Freiuft-Gesa Gefangenentransporter vor.

MO 06:13
Die Schiene ist noch nicht komplett geräumt, Widersetzen sitzt noch mit
einigen hundert Menschen.

MO 05:43
In der Gefangenensammelstelle sind bis jetzt etwa 1500 Menschen. Die
Versorgung ist mittlerweile gut, dennoch wird bei 0°C gefroren.

MO 05:10
Neuer Einsatzleiter und entspanntere Situation in der Freiluft-GeSa: Es
gibt nun eine Versorgung mit Essen und warmen Getränken.

MO 04:44
Die Polizeikräfte wenden Schmerzgriffe gegen die erschöpften
Blockierenden an um diese in die Gefangenensammelstelle zu bewegen

MO 04:09
Die Polizei hat die Volxküche, die die Gefangenen versorgen sollte,
entgegen der Absprachen nicht zu diesen durchgelassen.

MO 03:30
Die deutlich übermüdeten Polizeikräfte werden zunehmend rabiater, es
gibt erste Menschen mit räumungsbedingten Verletzungen.

MO 02:28
Es gibt im Gewahrsamskessel in Harlingen bisher weder warme Getränke
noch Decken, die Gefangenen müssen stehen.

MO 01:53
Nach der dritten Aufforderung wird jetzt zwischen Bahnkilometer 187 und
186 geräumt.

MO 01:41
Die Polizei beginnt nun mit der Räumung eines größeren Teils der
Blockade bei Harlingen.

MO 01:25
Die in Gewahrsam Genommenen werden von der Polizei in
Polizeifahrzeug-Burgen gesammelt und dort nur unzureichend versorgt.

MO 01:10
Die letzten 30 Menschen des kleinsten Blockade-Teils bei Harlingen haben
nach der letzten Aufforderung die Schiene verlassen.

MO 01:05
An einigen Stellen in der Blockade bei Harlingen wird geräumt während es
anderenorts ruhig und entspannt ist.

MO 01:00
Da die Blockade aus etwa 5000 Menschen besteht und sich über mehrere
Kilometer erstreckt, ist die Lage vor Ort unübersichtlich.

MO 00:38
Es wird mit der Räumung der Widersetzen-Blockade bei Bahnkilometer 187
begonnen.

Sonntag, 7.11.2010

SO 15:28
5000 Menschen jetzt dicht an dicht auf der Strecke zwischen Forsthaus
Posade und westlich Harlingen

SO 14:04
2000 Leute auf über 1200 Meter Strecke zw. Forsthaus Posade & Harlingen
auf der Schiene aktiv

SO 12:32
Ca. 1300 Menschen bei 188 km westlich Harlingen auf der Schiene -
Stimmung gut, wenig Polizei.

SO 11:37
ca. 500 Leute sitzen dicht an dicht auf den Schienen, Stimmung ist gut.
Berittene Polizei hält sich zurück

HARLINGEN 2011

Sonntag, 27.11.2011

SO 15:33
Leute aus dem Kessel können ohne Feststellung der Personalien raus.
Erhalten Platzverweise.

SO 15:25
Der Polizeikessel in Harlingen wird witterungsbedingt aufgelöst.

SO 15:07
100 bis 300 Menschen im Kessel von Harlingen wollen ihren Personalien
nicht herausgeben und bleiben.

SO 12:16
Der Polizeikessel bei Harlingen wird aufgelöst. Wer seine Personalien
nennt, bekommt einen Platzverweis, der Rest kommt in Gewahrsam.

SO 09:39
Die Presse wurde aus dem Polizeikessel bei Harlingen komplimentiert.

SO 07:42
Die Blockade von Widersetzen ist komplett geräumt.

SO 06:30
Laut Radio Freies Wendland sind noch rund 400 Menschen auf den Gleisen
bei Harlingen.

SO 05:11
In Harlingen wird die Räumung ruppiger, unabhängige BeobachterInnen und
Sanis werden weggedrängt.

SO 04:52
Die Weggetragenen müssten unverzüglich einem Richter vorgestellt werden.
Dies geschieht nicht, somit ist die polizeiliche Maßnahme illegal.

SO 04:40
Die Räumung der Schienenblockade in Harlingen dauert an. Die
TeilnehmerInnen werden weiter in die Freiluft-GESA gebracht.

SO 03:33
In Harlingen werden TeilnehmerInnen der Schienenblockade von den
Schienen und in eine Freiluft-GESA getragen, die vermutlich illegal ist.

SO 03:26
In Harlingen werden die Ersten aus der Mitte der Schienenblockade von
der Polizei weggetragen.

SO 02:53
In Harlingen hat die Polizei die Teilnehmenden der Schienenblockade
aufgefordert, die Schienen zu verlassen.

SA 23:46
Die Schienenblockade bei Harlingen wächst weiter an - inzwischen sitzen
über 3200 Menschen auf der Schiene.

SA 22:24
Die zwei Schienenblockaden in Harlingen sind zu einer zusammengewachsen,
insgesamt sind 2500 Menschen beteiligt.

SA 16:01
Die Polizei hat an der Sitzblockade in Harlingen offenbar kapituliert.
Freier Zugang zu den mittlerweile 1800 Blockierenden ist möglich.

SA 15:53
Mit mittlerweile mehr als fünf Sitzblockaden haben sich weit über 1000
Menschen auf den Gleisen niedergelassen.

aus: https://archiv.castorticker.de/