Atomfonds

Empört euch: Wie sich die Energiekonzerne aus der Verantwortung stehlen

Ein Betreiber einer Pommes-Bude hat dafür zu sorgen, dass das Bratenfett sachgerecht entsorgt wird. Alles ist geregelt. In diesem Fall greift das Kreislaufwirtschaftsgesetz oder die Abfallsatzung der Kommune. Der Besitzer einer Pommes-Bude trägt dafür die Verantwortung. Das würde man sich auch bei den Nuklearabfällen wünschen. Doch um die Kosten und die Verantwortung möchten sich die Abfallverursacher, die Atomstromproduzenten, gerne drücken. Deshalb fordern Umweltverbände und Oppositionsparteien im Deutschen Bundestag seit geraumer Zeit die Einrichtung eines Atomfonds.

Konzerne kaufen sich für 23,3 Milliarden frei

Ex-Wirtschaftminister Sigmar Gabriel (SPD) war ein Mann der starken Ankündigungen. Die Atombranche werde für die Kosten aufkommen, wenn die Abrissbirne kommt und wenn der Atommüll konditioniert und gelagert wird. In einem Stresstest bescheinigte er dann auch noch den Energieriesen RWE, E.on, EnBW und Vattenfall ihre Solvenz. Aber eine Zahl muss man sich merken: Bis zum Jahr 2099 könnten sich die Kosten für die nukleare Entsorgung auf 182 Mrd. Euro summieren. Die Rücklagen der Konzerne, die reine Buchungsnummern sind, belaufen sich derzeit auf rund 40 Mrd. Euro.

Zur Klärung der Frage, wie der Umgang mit dem Atommüll finanziert werden könnte, richtete Gabriel eine Kommission ein. Der Deal, den das Gremium unter Führung der Ex-Politiker Jürgen Trittin (Grüne), Ole von Beust (CDU) und Matthias Platzeck (SPD) vorgelegt hat, sieht nun vor, dass die AKW-Betreiber den Rückbau der Kraftwerke, die bis 2022 vom Netz gehen sollen, finanzieren; zudem sollen die vier Anbieter 23,3 Milliarden Euro aus ihren Rücklagen in einen staatlichen Fonds überweisen.

Im Gegenzug schultert der Staat alle Risiken, indem er alle Kosten der Zwischen- und Endlagerung der Atom-Abfallprodukte übernimmt. Die Verhandler gingen von einem Gesamtbetrag von etwa 48,8 Mrd. Euro aus. Die Anti-Atom-Initiative .ausgestrahlt merkt dazu an: „Diese Summe kann der Fonds selbst mit dem nun geforderten 6-Milliarden-Aufschlag niemals erwirtschaften. Die Zinssätze liegen derzeit bei um die 0 Prozent. Selbst wenn sie langfristig wieder auf 3,0 Prozent steigen sollten, würde das Fondsvermögen (inkl. Risikoaufschlag) bis 2099 nur auf gut 60 Milliarden Euro wachsen.“ Und was ist mit dem angekündigten Nachhaftungsgesetz? Der Streit wird und muss weitergeführt werden…

Rückstellungen zweckentfremdet

Mit dem Versuchsreaktor Kahl begann 1962 die Ära der kommerziellen Stromerzeugung durch die Kernspaltung. 60 Jahre später soll nun damit Schluss sein. Doch das dicke Ende, das zeichnet sich ab, kommt noch: die Frage, wohin mit dem Atommüll, ist auf absehbare Zeit nicht geklärt. Ein Endlager wird nicht vor 2050 zur Verfügung stehen. Die Finanzierung einer vergleichenden Endlagersuche, die Kosten für den Bau und Betrieb einer Atommülldeponie, müsste – so sieht es das Verursacherprinzip vor – von den Betreibern der Atomkraftwerke bezahlt werden.

In Deutschland sind die Betreiber von Atomkraftwerken verpflichtet, für den Rückbau der Atomkraftwerke und die Entsorgung radioaktiver Abfälle sogenannte Rückstellungen zu bilden. Dies ergibt sich aus dem Atomgesetz sowie dem Umwelt-und Handelsrecht. Gemäß den §§ 7 und 9 des Atomgesetzes (AtG) in Verbindung mit § 9a AtG sind die Konzerne E.on, REW, EnBW und Vattenfall als Verursacher für die Verwertung radioaktiver Reststoffe und Beseitigung radioaktiver Abfälle sowie die Stilllegung der Atomkraftwerke zuständig. Aus dem Verursacherprinzip des Umweltrechts ergibt sich, dass sie auch die Kosten hierfür zu tragen haben. Der konkrete Ansatz, Rückstellungen zu bilden, leitet sich aus § 249 des Handelsgesetzbuchs ab. Für die „nukleare Entsorgung“ haben die Konzerne steuerfreie „Rückstellungen“ gebildet, die in ihren Bilanzen ausgewiesen sind. 36 Mrd. Euro sind es zurzeit. Doch das Geld liegt nicht auf einer Bank, es ist reinvestiert, steht als „cash flow“ gar nicht zur Verfügung.

Da grundlegende Vorgaben wie etwa Baukosten, Zeitpunkt der Errichtung, Betriebskosten und Betriebszeit des Endlagers fehlen, ist eine verlässliche Kostenabschätzung nicht möglich. Im Umkehrschluss kann auch niemand sagen, ob die 36 Milliarden Euro, die RWE, Eon, EnBW und Vattenfall in ihren Bilanzen für die nukleare Entsorgung ausgewiesen haben, überhaupt reichen. Schon im Jahr 2011 hatte der Rechnungshof die Intransparenz bei den Rückstellungen gerügt. Was passiert, wenn ein Konzern Pleite geht oder sich so aufstellt – siehe E.on -, dass ein Zugriff auf die Haftung durch den Gesamtkonzern wie bei Vattenfall gar nicht mehr möglich ist? Der schwedische Mutterkonzern haftet nicht mehr für den deutschen Geschäftsbereich.

Krasses Lehrstück Hamm-Uentrop

Ein krasses Lehrstück kommt aus Nordrhein-Westfalen. Dort ist umstritten, wie der „sichere Einschluss“ und der Rückbau des Hochtemperaturreaktors in Hamm-Uentrop finanziert werden. Als 1988 der Thorium-Hochtemperatur-Reaktor in Hamm-Uentrop nach kurzem Betrieb wegen seiner Sicherheitsmängel stillgelegt wurde, ging der Ärger los. Bauherr des THTR-300 war die 1968 gegründete HKG (Hochtemperatur-Kernkraftwerk GmbH Hamm-Uentrop). Im Sommer 1989 geriet die HKG an den Rand der Insolvenz und musste, da die Muttergesellschaften der HKG ohne höhere staatliche Zuschüsse keine weiteren Zahlungen leisten wollten, durch die Bundesregierung und das Land Nordrhein-Westfalen gestützt werden. Der Reaktor selbst wurde bis 1997 in den sogenannten „sicheren Einschluss“ überführtund verursacht seitdem Kosten in Höhe von 6,5 Mio. Euro jährlich. 2012 verfügte die HKG nur noch über Eigenmittel von 41,5 Mio. Euro. Wegen der Rechtsform als GmbH ist eine Durchgriffshaftung auf die HKG-Gesellschafter zur Deckung der Entsorgungskosten nicht möglich, sodass die Kostenübernahme ungeklärt ist. Der Rückbau – ohne Endlagerung – soll 1 Mrd. Euro kosten.

Wer letzten Endes die Kosten trägt, ist absehbar:  die öffentliche Hand.

Wolfgang Ehmke (aktualisiert 6.05.2017)