Die nächste Katastrophe zeichnet sich ab:

Aus Zwischenlagerung wird Langzeitlagerung

Es ist gut, dass die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) auch auf die Zwischenlagerung der hochradioaktiven Abfälle schaut. Es ist nicht ihr originärer Geschäftsbereich, aber die Zwischenlagerung ist das Bindeglied zwischen dem Rückbau der Atomkraftwerke und der Endlagerung des brisanten Nuklearmülls in einem tiefengeologischen Endlager. Und je länger die Endlagersuche dauert, desto länger dauert die Zwischenlagerung. Die Autorin Alexandra Endres hat in der BGE-Zeitschrift „Einblicke“ 16/Dezember 2022 u.a. darauf verwiesen, dass die Lagerzeit in Gorleben bereits 2034 ausläuft, zwei Jahre später erlischt die Genehmigung für das Lager im westfälischen Ahaus.

Wahrscheinlich wurde sie beim Verfassen ihres Beitrags von der Wirklichkeit überholt, aber nicht nur deshalb kann ich ihren Beitrag nicht unkommentiert lassen. Zwischenzeitlich hat die BGE – zunächst in einem internen Diskussionspapier, dann auch „offiziell“ – eingeräumt, dass der ambitionierte Plan, bis zum Jahr 2031 einen Endlagerstandort auszuweisen, nicht gehalten werden kann.

Das vergleichende, wissenschaftsbasierte Suchverfahren nach einem bestmöglichen Endlagerstandort für die hochradioaktiven, hochgiftigen Abfälle wird deutlich länger dauern. Von einer Verzögerung, die 15 oder gar 31 Jahre betragen kann, ist die Rede.

Sehr optimistisch äußert sich in dem Beitrag von Frau Andres Michael Hoffmann, Bereichsleiter Betrieb bei der bundeseigenen Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ), wenn er von einem 20jährigen Einlagerungsbetrieb ausgeht. Das wird er selbst nicht glauben dürfen, dass die 1.900 Behälter aus den 16 Zwischenlagern der BGZ und dem Zwischenlager, das nicht in deren Geschäftsbereich fällt – in Lubmin/Greifswald – ruckzuck 20 Jahre nach Beginn des Endlagerbetriebs in der Tiefe versenkt werden können.

Würde ein Endlager erst im Jahr 2065 oder 2081 den Betrieb aufnehmen, würde der Betrieb mindestens 30 Jahre dauern, dann müssen die hochradioaktiven Abfälle rund 100 Jahre oberirdisch gelagert werden. Zwischenlager waren aber nur für 40 Jahre genehmigt. Macht euch ehrlich, möchte ich den Verantwortlichen bei der BGE und BGZ zurufen, sprecht es deutlich aus: die Zwischenlagerung ist ein Jahrhundertprojekt.

Das hat Folgen. Es ist fahrlässig, dass Julia Neles vom Öko-Institut in diesem Zusammenhang davon spricht, rein technisch könnten die Abfälle auch über die ursprünglichen Genehmigungen hinaus gelagert werden. Das wäre in einem neuen Genehmigungsverfahren für Gorleben oder Ahaus erst einmal zu belegen. Ihr ehemaliger Chef Michael Sailer, der auch Vorsitzender der Reaktorsicherheitskommission (RSK) war, sagte schon 2018 auf einer Tagung der evangelischen Akademie Loccum: „Ja, die 40 Jahre waren eine Vorgabe der Politik, um den Standortgemeinden von Zwischenlagern zu signalisieren, dass es sich nicht um verdeckte Endlager handelt. Wir (die RSK) haben diese 40 Jahre aufgegriffen, technisch und wissenschaftlich bewertet und keiner der Kommission hat für 60 Jahre unterschrieben! Keiner weiß, wie es in den Behältern aussieht und keiner kennt den Zustand der eingelagerten Brennelemente!“

Vorkehrungen für die verlängerte Zwischenlagerung trifft die BGZ mit einem Forschungsprogramm, das den neuen Anforderungen aus unserer Sicht nur ansatzweise gerecht wird. Bisher will die BGZ keine Castorbehälter öffnen, um reinzuschauen. Michael Hoffmann meint, man solle nicht ohne Not Fachleute einer Strahlenbelastung aussetzen. Nein, das will niemand. Doch das geschieht ferngesteuert, hinter dicken Mauern, die die Strahlung abschirmen. Für diese Forschungsarbeit braucht die BGZ heiße Zellen, damit die Beschäftigten zu schützen. Die gibt es in Deutschland – bisher – nicht.

Gern verweist die BGZ auf ein einmaliges Öffnen eines Castorbehälters in den USA aus dem Jahr 2000, dieser Behälter war 15 Jahre lang befüllt. Aber Fachleute sagen, die „beste Zeit“, um nachzusehen, wie beispielsweise die Hüllrohre im Innern eines Behälters aussehen, sei 30 Jahre Lagerzeit. Und der Fokus müsse sich auf hochradioaktive Abfälle richten mit einem „hohen Abbrand“. Richtig heiß sind beispielsweise die Mischoxid-Abfälle mit einer Plutoniumbeimischung. Was mit den verglasten hochradioaktiven Abfällen, die vorwiegend im Zwischenlager Gorleben abgestellt wurden, ist, das weiß man auch nicht so genau… Bisher wird hier viel gerechnet, aber nichts validiert.

Ein anderer Aspekt, der von Alexandra Endres gar nicht angesprochen wird, ist die Frage, wie diese oberirdischen Anlagen vor „sonstigen Einwirkungen Dritter“, kurz SEWD, geschützt werden können. Das Szenario reicht von Unglücksfällen – wie einem Flugzeugabsturz – bis hin zu terroristischen Attacken, Geiselnahmen und Erpressungen. Nach 9/11 im Jahr 2001 wurden die Sicherungsmaßnahmen Schritt für Schritt, aber sehr zögerlich neu austariert. Bei einigen Zwischenlagern wurden zusätzliche Schutzwände errichtet – nur dass das Böse von oben kommen kann und dass inzwischen, nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine, auch klar geworden ist, dass ein Krieg vor Atomanlagen nicht Halt macht.

In Lubmin/Greifswald wird gerade ein Zwischenlager neu errichtet. Dort soll die Wandstärke 1,80 Meter betragen und dennoch räumt die Betreiberfirma EWN (Energiewerke Nord) ein: „Ebenso sind kriegerische Angriffe durch Streitkräfte anderer Staaten nicht Bestandteil des Schutzkonzepts des Atomgesetzes. Die Abwehr von Gefahren für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik ist Aufgabe der Landes- und Bündnisverteidigung. Dementsprechend kann auch das Szenario „Krieg“ nicht Teil der Überprüfung durch die atomrechtliche Genehmigungsbehörde sein.“

Doch, möchte ich zwischen rufen. Auch wenn dieser Neubau wegweisend ist, weil die hochradioaktiven Abfälle quasi oberirdisch gebunkert werden, wäre eine unterirdische oberflächennahe Verbunkerung der angemessenere Plan, da geht es schon ein wenig in die Tiefe. Das böte auch Schutz vor Raketenangriffen.

Das könnte natürlich dazu führen, sich noch viel länger vor dem notwendigen Schritt, einem Endlager in 600 bis 800 Meter Tiefe zu drücken.  Entscheidend ist jedoch, ob die Öffentlichkeit bei der Zwischenlösung – ähnlich wie bei der Endlagersuche – beteiligt wird. Auch wenn es bei der Beteiligung erheblich knirscht. Diesen Plan hat die Politik überhaupt nicht auf dem Schirm.

Am Ende werden all diese Probleme wieder bei der BGE abgeladen, denn die BGE muss ein Behälterkonzept für die Endlagerung entwickeln. Die Anforderungen an Behälter, die 500 Jahre halten müssen, weil sicher zu stellen ist, dass man für diesen Zeitraum die Abfälle notfalls auch wieder bergen kann, hängen letztlich davon ab, ob am Ende der Strahlenmüll im Ton, Kristallin oder Salzgestein endgelagert wird. Was aus unserer Sicht also gar nicht geht: die Castorbehälter, diese Transport- und Lagerbehälter, die zunächst für 40 Jahre Zwischenlagerung geprüft und genehmigt wurden, am Ende als Lagerbehälter zu nutzen. Darauf werden wir achten.

Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.

 

Die überwiegende Mehrheit aller Experten ging schon immer von wesentlich längeren Zeiträumen bei der Suche und Inbetriebnahme eines wie auch immer gearteten Endlagers aus, als sie der Zeitplan der Bundesregierung mit der geplanten Standortentscheidung im Jahr 2031 bzw. der Inbetriebnahme eines Endlagers im Jahr 2050 vorsieht.

So führte die Endlager-Kommission des Deutschen Bundestages mit Blick auf diesen Planungshorizont aus: „Angesichts von nach gegenwärtigen Erfahrungen plausiblen Zeitbedarfen (…) kommt man explorativ zu deutlich anderen Zeiträumen. (…) Die Inbetriebnahme (Beginn der Einlagerung der Abfälle) könnte erst für das nächste Jahrhundert erwartet werden, ein Verschluss erst weit in das nächste Jahrhundert hinein. (…) Das Verfahren wird sich über einen langen Zeitraum erstrecken, der deutlich über das Jahr 2031/2050 hinausreicht.“

Aber die Zwischenlager in Lubmin, Ahaus und Gorleben wie auch die kraftwerksnahen Lagerstätten sind nicht auf 100 Jahre „Sicherheit“ ausgelegt, sondern auf 40 Jahre. Es klafft also eine beträchtliche Lücke zwischen dem Ablauf der Haltbarkeit – in Gorleben ist es das Jahr 2034 – und der möglichen Inbetriebnahme eines „Endlagers“. Vermutlich muss man sich auf eine hundertjährige Lagerzeit in den oberirdischen Hallen einstellen, um diese Lücke zu schließen.

Michael Sailer, der auch in der Reaktorsicherheitskommission gearbeitet hat dem Öko-Institut vorstand, sagte in der Gorleben Rundschau im Herbst 2018:

„Es ist in all den Genehmigungsverfahren nur geprüft worden, ob alles voraussichtlich 40 Jahre hält. Eine technisch saubere Prüfung für Zeiten über die 40 Jahre hinaus ist nicht erfolgt. Das wissen alle, die an der Prüfung beteiligt waren. Auch die Reaktorsicherheitskommission, in der ich damals war, hat ihre finale Stellungnahme nur für 40 Jahre abgegeben. Wer sagt, die Lager seien länger sicher, kann sich auf keine ernsthafte Sicherheitsprüfung stützen, die dies belegen würde.“

Schon jetzt sind Zwischenlager sind nicht ausreichend gegen Terroranschläge geschützt. Deshalb wurde das Zwischenlager in Brunsbüttel gerichtlich stillgelegt. Ähnlich diffizil stellt sich die Lage in Lubmin dar. Statt die geforderten Sicherheitsstandards auf andere Lager zu übertragen, duckten sich die Behörden weg, denn wo keine Klagen mehr gegen die Lagerung anhängig sind, bliebe allein das Behördenhandeln. Das erweist sich aber als ein Nichtstun, nur ab und zu wird von der Notwendigkeit eines „Alterungsmanagements“ gesprochen. Die Lager werden aber nicht „nachgebessert“, der Müll steht da und wird mit Notverordnungen wie in Brunsbüttel rechtlich „gepuffert“.

In Ahaus und Gorleben wurde nach Nine Eleven, dem Terrorangriff auf die Twin Towers in New York im Jahre 2001, zwar davon gesprochen, dass die Halle noch einmal mit einer Mauer „eingehaust“ wird, es sollte auf Drängen der Anti-Atom-Initiativen sogar eine Ablaufrinne für Kerosin hinzukommen, doch gebaut wurde in Gorleben bis heute nichts, obwohl das Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) - heute BASE, Bundesamt für die Sicherheit kerntechnischer Entsorgung - nach vielen Verzögerungen im Juni 2018 grünes Licht für eine Nachrüstung gegeben hatte.

Behauptet wird nach wie vor, dass ein Castorbehälter selbst gegen einen gezielten Flugzeugabsturz ausgelegt sei und dass ein Brand die Behälterintegrität nicht gefährden würde. Folglich gibt es nicht einmal ein Überflugverbot: Es ist nicht zu fassen, wie diese Forderungen nach mehr Sicherheit in den Wind geschlagen werden!

Anders als bei den Rost- und Blähfässern mit schwach- und mittelaktivem Müll lässt sich einem Transport- und Lagerbehälter (meist wird vereinfachend dazu Castor-Behälter gesagt, aber es gibt noch andere Hersteller) nicht einfach ansehen, ob er noch intakt ist. Probleme kann es in Deckelbereich geben, wenn die Primärdichtung versagt. Dann soll auf den Sekundärdeckel noch ein weiterer Hut aufgesetzt werden. Es kann aber auch die Behälterintegrität selbst gefährdet sein. Lassen Sie sich nicht täuschen: es werden sich schon "Gutachter" finden, die dem Castor eine 100 Jahre-Haltbarkeitsplakette aufdrücken! Was tatsächlich im Innern eines Behälters passiert, in dem sich beispielsweise abgebrannte Brennelemente befinden, das weiß man nicht so genau. Ob die Hüllrohre zerbröseln oder nicht, ob man den Inhalt überhaupt entladen könnte, das wären Forschungsfragen. Zu befürchten ist: Wenn abgebrannte Brennstäbe bröckeln und Brennmaterial zusammenrieselt, besteht die Gefahr von Kritikalität und damit einer unkontrollierten Kettenreaktion. Was aus dem Moderatorstäben – das sind Polyethylenstangen, die die Neutronenstrahlung abschirmen – wird, wenn sie über so lange Zeit unter Neutronen -„Dauerbeschuss“ sind, ist höchst unklar. Uns ist nicht bekannt, dass es eine solche Forschung in Deutschland gäbe, wir kennen nur „Sicherheitsbetrachtungen“.

Konzept der Atommüll-Zwischenlagerung ist gescheitert

6. November 2018

70 Anti-Atom-Initiativen und Umweltverbände positionieren sich gemeinsam zur Zukunft der Zwischenlagerung hoch radioaktiver Abfälle.

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Alternativen zur aktuellen Zwischenlagerung

Eine Alternative zur aktuellen Zwischenlagerung, die sich sicherheitstechnisch überlebt hat, wäre der Neubau von einigen Lagerstätten oder die Lagerung der hochradioaktiven Abfälle in einem Erdbunker. Doch es wird nur geredet und spekuliert! Es reicht nicht aus, darauf zu spekulieren, sämtliche Zwischenlager in der Bundesrepublik durch ein einziges riesiges Eingangslager am zukünftigen Endlagerstandort ersetzen zu wollen, wie es im Nationalen Entsorgungsprogramm (NaPro) festgelegt wurde. Das löst nicht das Problem, dass an den 16 Zwischenlagerstandorten der Müll herumsteht. Um es noch einmal klar zu sagen: schon die Benennung eines Endlagerstandortes bis 2031 war mit großen Unsicherheiten behaftet, jetzt dauert es wohl 30 Jahre länger, und im Interesse der Sicherheit müssen die bestehenden Zwischenlager sowieso vor diesem Termin ertüchtigt oder ersetzt werden. Die Genehmigung im Zwischenlager Gorleben läuft, wie bereits angemerkt, 2034 aus.

Stimmen werden laut, wir stünden vor einem Paradigmenwechsel und müssten in dieser Situation auch Vorschläge unterbreiten, wie zwischenzeitlich oder auf längere Sicht mit dem Atommüll in den oberirdischen Lagerstätten umgegangen werden soll. Der Autor findet, die Rolle der Anti-Atom-Inis habe sich nicht verändert: Missstände müssen aufgedeckt und Fragen über Fragen müssen gestellt werden. Er sagt: „Für das Atommülldilemma sind wir nicht verantwortlich, aber den Verantwortlichen auf die Finger zu schauen und ständig ein mehr an Sicherheit einzufordern, das muss unbedingt sein.“

Worauf müssen wir achten?

Worauf müssen wir achten? Wir müssen eine Debatte um die Sicherheit der Lagerstätten führen und dabei Grundsätze und Forderungen formulieren. Die Dauerlager müssen so ausgelegt werden,

  1. dass sich der sicherheitstechnische Zustand der Behälter für einen Zeitraum von mind. 100 Jahren sich nicht verändert,
  2. dass sie ein Mehrbarrierensystem gegen mechanische und thermische Einwirkungen besitzen,
  3. dass die Behälter wirksam vor allen denkbaren Umwelteinflüssen geschützt (Erdbeben, Überflutung, Feuer, Sturm, Starkregen etc.) werden und
  4. dass sie einen wirksamen Schutz vor terroristischen und kriegerischen Aktivitäten bieten.

Wolfgang Ehmke
Ein erster richtungsweisender Artikel erschien bereits in der Gorleben Rundschau, Ausgabe Mai / Juni 2017. Stand 9.02.2023