22. Juli – was für ein Tag!

Der eine Held des heutigen Tages heißt Arthur Selzer. Hessischer Verkehrspolizist, Oberkommissar, in seiner Freizeit bastelt er  Motoren. Unser Bus steht am Straßenrand. Ging aus während der Fahrt, einfach so weg genippelt. Da kommt sein Streifenwagen, und Arthur sichert mit seinem Kollegen – smarter Schnauzer leicht blauschwarz getönt – unsere Havarie mit Blaulicht. „Ach ihr seid das, die aus Gorleben, ihr wollt doch noch nach Biblis, oder?!“

Gerd Harder ha(r)dert mit dem Filter und schraubt, unser Professor gibt Gas und entlüftet die Dieselzufuhr – wir krümmeln schon wieder. Es ist längst fünf nach zwölf, in jeder Beziehung. Fünf  v o r 12 sollten wir vor dem Tor des AKW Biblis für Furore sorgen. Arthur Selzer guckt sich den Motor an, pumpt Diesel, der Motor springt an und wir springen auf die Busplätze fertig los, tuckern weiter in Richtung Biblis. Dort warten längst unsere Sympathisanten und die Presse.  Aufgeregtes Telefonieren in der Pannenzeit. „Kommt ihr noch?“ – „Ja, wartet nur“. Und dann rollt der irre Info-Bus im Leerlauf (!) die letzten Meter vor den irren AKW-Komplex, wir springen heraus und demonstrieren für das endgültige Aus der Blöcke A und B. Sagen, warum wir von Gorleben aus nach Berlin tuckern, dass Atomkraft out ist, die Erneuerbaren hipp. Versprühen gute Laune, geben Interviews, packen unsere Sachen um und fahren per PKW ins „Freiwerk“ Rüsselheim. Derweil passen Gerd und Beate auf den Bus auf, zusammen mit dem Professor (warum wir Günter nur noch als Professor vorstellen, erklären wir mal, wenn der Bus wieder rollt…) und Carmen aus Groß Gerau, die unsere Buscrew lotst.

Was ist bloß mit Biblis los? Der eine Block steht still, technische Probleme, der andere Block steht still, weil der „Atomkompromiss“ unterlaufen wird. Hoffen auf Schwarz-Gelb, dann Verlängerung der Laufzeiten und täglich klingelt die Kasse, das bringt im Jahr 200-300 Mio. Euro zusätzlich für die  Betreiber RWE.  Da sagen wir nee. Nehmen wir mal den Block A. Nach Krümmel ist es das deutsche AKW mit den meisten Störfällen. Dieter aus Frankfurt, der uns bis Köln begleiten wird, weiß genau wie viele: 408 seit Betriebsbeginn. Block B 399.

Bleiben wir beim Block B. Die atomkritische Ärzteinitiative IPPNW klagt auf Entzug der Betriebsgenehmigung. Das Verfahren ist vor dem Verwaltungsgerichtshof Kassel anhängig. Ein Klagegrund von vielen: in 10 Jahren fiel zehnmal das Notstromaggregat aus. Das letzte Mal wegen eines Blitzschlags. Was passieren kann, wenn die Notkühlung versagt, mag man sich gar nicht ausmalen…
In Rüsselheim gibt es Suppe. 14 Gemüsesorten. Seit 1977 gibt es den Freiwerk-Verein. Entstanden aus der SchülerInnenprotestbewegung, ein Kultur-und Jugendtreffpunkt. Dann kam die Startbahn West. Mit dem Höhepunkt 81/82, dem Zenit von Protest und Widerstand. Welche Rolle hatten die Todesschüsse am 2.11.87? War das der Grund, warum sich viele Menschen resigniert zurückgezogen haben und nur noch auf die juristische Auseinandersetzung setzten, so als Feigenblatt? Fehlte eine Perspektive in der Niederlage? War es nur eine Einpunktbewegung?- Im Wald gibt es eine Dauermahnwache. Plakate, Treffpunkt jeden Sonntag mit Kaffee und Kuchen. Wir hängen ein Plakataufruf für den 5.9. an den Stacheldrahtzaun, dort wo mal ein Wald war, nackte Erde. Sofort pirschen sich Polizisten zu uns heran, verlangen, dass das Plakat entfernt wird, wollen den Inhalt auf Strafbarkeit überlesen, werden ruppig, wir ruppen zurück. Auha, hier ist Hochspannung.

Der zweite Engel des Tages heißt Zimmermann. Kurt Zimmermann. Mercedes – Mechaniker. Mannheim-Sandhofen. Wo liegt denn das? Das ist ja entgegengesetzt? Tja, der Bus stockerte zu einer Mercedes-Werkstatt über Worms nach Mannheim, immer weiter von uns weg, doch nun läuft er wieder. Am Abend, als wir mit den Startbahn-Gegnern im Garten vom Freiwerk debattieren, kommen unsere Helden des Tages lachend von der Werkstatt-Tour herein. Alles ist gut. Ich weiß schon, was ich tippe, wenn es wirklich nicht mehr weitergeht: Wir krümmeln nicht länger, wir steigen aus, und zwar sofort!

Kleiner Nachtrag, die Nacht zuvor. Es war sehr spät geworden. Auf der Terrasse des Naturfreundehauses Bruchsal chillten wir aus, genossen die laue Sommernacht. „Kriegswaffenfreie Zone“ und „Selbstbedienung“ prangt über Stelltafeln und am Eingang zur Jugendherberge. Es gab ein Abschiedskonzert am Morgen, als wir in diesen aufregenden Mittwoch starteten. 13 georgische Frauen sangen für uns acapella. Unsere Direkt-Mädels hätten wie wir eine helle Freude dran gehabt. Das war die Gruppe Tutarchella aus Tiflis: www.myspace.com/tutarchelafromgeorgia.