Geheime Kommandosache

Bund wollte 1975 mehrere Salzstöcke vergleichen – Erst politischer Druck machte Gorleben zum Endlager-Projekt

bohrungfk Gorleben/Lüchow. Die Politik hat wissenschaftliche Aussagen über den Salzstock Gorleben manipuliert. Diese Behauptung der hiesigen Bürgerinitiative Umweltschutz (BI) nach vorangegangenen Presseberichten hat Noch-Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) in den vergangenen Wochen immer wieder bestätigt.
Die CDU tat das als Wahlkampfgetöse ab. Mehr noch: Sie warf Gabriel selbst Manipulation der Akten vor. Belege für seine Behauptung schaffte das Bundeskanzleramt bisher nicht herbei. Das Bundesumweltministerium belegt dagegen jetzt seinen Vorwurf im Internet mit einer Auswertung der Akten und dem Wortlaut von Protokollen. Danach steht fest: Die Wissenschaftler der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) gaben 1983 dem Drängen der Bundesregierung nach. Sie veränderten Wortlaut und Inhalt ihrer Bewertung des Gorlebener Salzstocks. Damit schufen sie erst die Voraussetzung dafür, dass in der Folgezeit einzig und allein in Gorleben nach einem Standort für ein atomares Endlager gesucht wurde. Eigentlich war es anders geplant. Die Akten zeigen, dass die Bundesregierung bei der Stand-ortsuche für ein Nukleares Entsorgungszentrum (NEZ) davon ausging, dass mehrere Salzstöcke parallel untersucht werden müssten. Dieses Verfahren ist demnach keine Erfindung des Wahlkampfes 2009. Vielmehr fand unter dieser Voraussetzung 1975 die erste Auswahl möglicher Standorte statt. Die »Kernbrennstoff-Wiederaufarbeitungsgesellschaft» (KEWA) hatte dafür drei Standorte ausgewählt. An ihnen sollte anschließend gebohrt werden. Gorleben gehörte nicht dazu.

Schon die Vorbereitungen für die Bohrungen stießen 1976 auf Protest. Im selben Jahr wechselte die Landesregierung. Die neue CDU-Mehrheit setzte bei der Bundesregierung durch, dass erst einmal alle Bohrvorbereitungen gestoppt werden. Hannover wollte ein eigenes Auswahlverfahren absolvieren und danach einen Standort vorschlagen. Der Bund gab nach. Allerdings ging die Bundesregierung noch immer davon aus, dass mehrere Standorte benannt und mittels Bohrungen geprüft würden. Dies war die Position von Bundeskanzleramt und Innenministerium noch im Oktober 1976. Damals trafen sich die Vertreter der Landesregierung und des Bundes mit Betreibern in den Räumen des Energieversorgers RWE. Mindestens fünf Tiefenbohrungen sollte es an jedem der auszuwählenden Standorte geben, steht in dem Protokoll des Gesprächs. Das würde ein Jahr in Anspruch nehmen. Erst danach sollte entschieden werden, an welchem Ort weitergearbeitet würde. Einen Monat nach diesem Treffen jedoch erhielten die Ministerialbeamten in Hannover den Auftrag, lediglich einen einzigen Standort auszuwählen. Mehr als einen wollte die Landesregierung nicht benennen. Andere Landesregierungen fühlten sich von der Forderung der Bundesregierung, mögliche Standorte für ein NEZ mit unterirdischem Endlager zu benennen, ohnehin nicht angesprochen. Dabei hatte die Voruntersuchung der KEWA, hatten die Gutachter Wager und Lüttig sehr wohl auch Salzstöcke in anderen Bundesländern aufgelistet, in Schleswig-Holstein etwa. Mit der Forderung, ein eigenes Auswahlverfahren zu veranstalten, ging die Aufgabe zu einer Standortbenennung jedoch ausschließlich auf Niedersachsen über. Vier Wochen Zeit blieb den Ministerialbeamten in Hannover, eine Auswahl zu treffen und dem Kabinett einen Vorschlag zu machen. Wissenschaftliche Beratungsrunden, etwa die Weizsäcker-Runde beim Ministerpräsidenten, spielten bei diesem Verfahren keine Rolle. Sie werden in dem Kabinettsvorschlag nicht einmal erwähnt. Auch nachgeordnete Behörden durften nicht eingeschaltet werden. Das Auswahlverfahren, an dessen Ende Gorleben benannt wurde, lief als streng vertrauliche interne Angelegenheit der Landesregierung ab, als geheime Kommandosache. Lediglich das Oberbergamt in Clausthal und das Landesamt für Bodenforschung wurden hinzugezogen. Und der TÜV. Der erstellte im Rahmen des Auswahlverfahrens im Oktober/November 1976 das einzige Gutachten unter sicherheitstechnischen Aspekten. Gorleben kam auch darin zunächst nicht vor. Sieger des Castings war ein Salzstock in Schleswig-Holstein. Gorleben wurde nachträglich, ebenso wie die Grube Mariaglück bei Celle, handschriftlich in der Expertise nachgetragen. Einen Monat, nachdem der Auftrag an die Ministerialen erging, einen Vorschlag zu machen, sollte das Kabinett entscheiden. Mitte Dezember 1976 wurde noch einmal vertagt. Am 22. Februar 1977 wurde das Ergebnis bekanntgegeben: Gorleben. Allerdings war das kein weißes Kaninchen. Die Bundesregierung war vorher von der Absicht der Landesregierung informiert. Anders, als es die Mythenbildung um Gorleben will, hatte der Bund nichts Grundsätzliches wegen der Grenznähe gegen Gorleben einzuwenden. Allerdings sollte die Bekanntgabe des Standortes hinausgeschoben werden, bis die DDR informiert und mögliche Einwände von dort ausgeräumt worden seien. Gorleben war jedoch schon früher von den Gutachtern der KEWA abgelehnt worden. Ihre Ablehnung dieses Salzstocks war nicht mit der Grenznähe, sondern mit den erwarteten geologischen Bedingungen begründet. Der heutige Grünen-Fraktionsvorsitzende im Landtag, Stefan Wenzel, hat ausführlich mit dem damaligen Gutachter Gerd Lüttig gesprochen. Man habe von DDR-Geologen gewusst, dass es im Wustrower Teil des Salzstocks Carnalitt-Vorkommen gibt. »Wustrow enthielt Carnalitt, deshalb kam Gorleben nicht in Frage», erinnert Wenzel die Angaben Lüttigs. All das galt jetzt im Auswahlverfahren des Landes nicht mehr. Nachdem die Landesregierung ausschließlich Gorleben als Standort benannt hatte, war die Bundesregierung schnell bereit, diesen Standort zu akzeptieren. Im Juli 1977, vier Monate nach der Bekanntgabe, war der angeblich so brisante Streitfall beseitigt. Allerdings ging die Bundesregierung noch mehrere Jahre lang davon aus, dass es doch zu einem Vergleich mehrerer Standorte kommen würde. Erst nachdem die PTB-Wissenschaftler den Weisungen der angereisten Ministerialbeamten nachgegeben und ihre Bewertung von Gorleben verändert hatten, beschloss auch das Bundeskabinett im Juli 1983 förmlich: Es bestehe keine Notwendigkeit, andere Salzstöcke zu prüfen. Die Bewertung, die zu diesem Beschluss führte, hatte die Regierung mit ihrem Druck auf die PTB-Wissenschaftler selbst herbeigeführt. Den Vorgang dieser Einflussnahme listet das Bundesumweltministerium im Internet detailliert auf. Der erste Entwurf für den Zwischenbericht der PTB 1983 enthielt die Aufforderung, neben Gorleben auch andere Standorte zu erkunden. Außerdem wurde vor möglichen Wassereinbrüchen über eine Anhydrit-Schicht gewarnt. Bei einer Besprechung dieses Berichtsentwurfs tauchten im Mai 1983 Vertreter der neuen CDU/FDP-Bundesregierung in der Runde der Wissenschaftler in Braunschweig auf. Über den Verlauf des Gesprächs, das als »gereizt und aggressiv» bei Beteiligten in Erinnerung blieb, gibt es Erinnerungsprotokolle. Als »Weisung» habe man auffassen müssen, was dort gesagt wurde. Das Bundesinnenministerium habe eindeutig erklärt, es wolle keine anderen Standortvorschläge als Gorleben.

Entsprechende Passagen sollten aus dem Zwischenbericht der PTB entfernt werden. Außerdem sollte die Gefahr von Wassereinbrüchen »aus dem Zentrum der Betrachtung» gerückt werden. Zwei Tage nach diesem Gespräch bekamen es die Wissenschaftler auch noch schriftlich. Als »Erlass» bezeichnet das BMU das Telex, das von Bonn nach Braunschweig ging. Es wurde der PTB nahegelegt, »die Eignungshöffigkeit von Gorleben zu untermauern». Für den Aufbau des Zwischenberichts sollten die eigens vom Bundesinnenministerium herausgegebenen »Sicherheitskriterien für die Endlagerung radioaktiver Abfälle in Bergwerken» nun auf einmal nicht mehr verwendet werden. Das Innenministerium war gegenüber der PTB weisungsbefugt. Die Wissenschaftler knickten ein. In einer überarbeiteten Version wird dem Salzstock Gorleben nun die Eignungshöffigkeit zuerkannt, die in Version eins noch fehlte. Alle Erwartungen an Gorleben seien »voll bestätigt» worden. Aber von der Aufforderung, doch lieber noch andere Standorte zu untersuchen, wollten die Wissenschaftler nicht lassen. Doch auch diese zweite Version wurde nicht veröffentlicht. Was am Ende herauskam, enthielt die Aufforderung zur Erkundung alternativer Standorte weisungsgemäß nicht mehr. Dagegen erschien Gorleben nun als nahezu idealer Kandidat. Die Bundesregierung konnte ihre Absicht, mehrere Standorte zu erkunden, offiziell aufgeben. Dabei blieb es. Nach dem Willen der zukünftigen schwarz-gelben Koalition soll es dabei auch weiterhin bleiben.

Bild: Als alles begann: Salzspiegelbohrungen wie hier kurz vor Weihnachten 1979 zwischen Gorleben und Trebel gehörten zum hydrogeologischen Untersuchungsprogramm der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt. Die warnte noch 1983 vor Gorleben und riet zu alternativen Standort-Erkundungen bei der Suche nach einem Atommüll-Endlager. Dann mischte sich die Politik ein. Aufn.: EJZ-Archiv