Versammlungsrecht stärken!
Vor dem Ausschuss für Inneres, Sport und Integration wird heute (Mittwoch, d. 7. April 2010) die mündliche Anhörung zur geplanten Novelle des niedersächsischen Versammlungsrechts stattfinden. Für die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V. (BI) gibt ihr Sprecher Wolfgang Ehmke Folgendes zu Protokoll:
Das Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, ein „Markenzeichen“ für gelebte Demokratie. Der Entwurf des NVersG von CDU und FDP unterwirft diese Grundrechte jedoch polizeitaktischem Denken. Die Rechte einer Versammlung und des Versammlungsleiters müssten gestärkt und nicht eingeschränkt werden, damit die Meinungskundgabe ein Korrektiv des Regierungshandelns wird. Die Symbolik von Demonstrations- und Kundgebungsorten wie zum Beispiel Atomkraftwerke, die Castortransportstrecken, der Verladekran in Dannenberg, Zwischen- und „Erkundungsbergwerk“ in Gorleben werden durch die Praxis der Allgemeinverfügungen, das Betretungsverbot eines Sicherheitskorridors jetzt schon krass und nicht unwidersprochen beschränkt. „Das Ziel politischen Protests – Atomausstieg, kein Endlager in Gorleben etc. – steht in einem engen Zusammenhang zum Nukleus, dem auch lokalen und sichtbaren Kern des Protests“, argumentiert die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V. (BI) in ihrer Stellungnahme.
Die Rechte einer Versammlungsleitung verblassen angesichts der langen Liste von Pflichten und der Strafandrohungen, wenn gegen die Auflagen des NVersG verstoßen wird: Leiter/innen können von den Behörden abgelehnt werden, und zwar aus fadenscheinigen Gründen („ungeeignet“), das gilt auch für die Anmeldung von Ordner/innen, die neuerdings namentlich benannt werden müssen. „Strafandrohungen und die Androhung von Bußgeldern an die Adresse von Anmeldern, die wiederum in Regress genommen werden für das Verhalten der Ordner/innen, entfalten die Vorstellung einer Zwangsjacke – das ist das Gegenstück zur grundrechtlich eingeräumten „unbändigen Demokratie“, wie sie in Versammlungen zum Ausdruck kommen kann.“
Völlig ignoriert werde ein Urteil des Verwaltungsgerichts Münster vom 21.08.09, in dem festgestellt wird, dass die Polizei eine friedliche Demonstration nicht filmen darf. Das gilt selbst dann, wenn die Aufnahmen von der Polizei nicht gespeichert werden, das Kamerabild also nur in einem Einsatzwagen zu sehen ist. „In dem Entwurf des NVersG werden Bild- und Tonaufzeichnungen in einem erheblichen Umfang erlaubt, Gründe dafür, dass sie nach Ablauf einer 6 monatigen Frist nicht gelöscht werden, werden gleich mit benannt, welche offenes Eingeständnis, dass es um einen Freibrief für die Polizei geht, ungehemmt zu filmen.“
„Die Wahrnehmung von Grundrechten, eine kleine Schneise von Freiheitsrechten, wie sie u.a. als Folge der Proteste gegen die Nutzung der Atomkraft seit den 70er Jahren geschlagen wurde und entsprechend vom BVerfG auch gewürdigt wurde, wird durch die restriktiven Bestimmungen des NVersG-Entwurfs verstellt – das ist wohl auch das Ziel von CDU und FDP, der Anti-Atom-Protest wird aber so nicht zu befrieden sein.“
Ein Niedersächsisches Versammlungsfreiheitsgesetz (NVersG) müsse einen umfassenderen Schutz der Versammlungsfreiheit gewährleisten. Denn die besondere Bedeutung der Versammlungsfreiheit für die freiheitlich demokratische Grundordnung wird auch in der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wiederholt betont. Im grundlegenden Beschluss des Ersten Senats vom 14. Mai 1985 („Brokdorf-Beschluss“) heißt es: „Als Abwehrrecht, das auch und vor allem anders denkenden Minderheiten zugute kommt, gewährleistet Art. 8 GG den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung und untersagt zugleich staatlichen Zwang, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fernzubleiben. Schon in diesem Sinne gebührt dem Grundrecht in einem freiheitlichen Staatswesen ein besonderer Rang; das Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers. In ihrer Geltung für politische Veranstaltungen verkörpert die Freiheitsgarantie aber zugleich eine Grundentscheidung, die in ihrer Bedeutung über den Schutz gegen staatliche Eingriffe in die ungehinderte Persönlichkeitsentfaltung hinausreicht. Im angloamerikanischen Rechtskreis war die im naturrechtlichen Gedankengut verwurzelte Versammlungsfreiheit schon früh als Ausdruck der Volkssouveränität und demgemäß als demokratisches Bürgerrecht zur aktiven Teilnahme am politischen Prozess verstanden worden“ (BVerfG 69, 315, 343). An anderer Stelle betont das Bundesverfassungsgericht in diesem Beschluss: „In der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, die sich bislang mit der Versammlungsfreiheit noch nicht befasst hat, wird die Meinungsfreiheit seit langem zu den unentbehrlichen und grundlegenden Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens gezählt. Sie gilt als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit und als eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt, welches für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung konstituierend ist; denn sie erst ermöglicht die ständige geistige Auseinandersetzung und den Kampf der Meinungen als Lebenselement dieser Staatsform (…). Wird die Versammlungsfreiheit als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe verstanden, kann für sie nichts grundsätzlich anderes gelten.“ (BVerfG 69, 315, 344-345).
Wolfgang Ehmke, Tel. 0170 – 510 56 06