Pressemitteilung der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.
Vorsicht: Spitzel gesucht!
Überwachungsbehörden suchen nach informellen Mitarbeitern in der Anti-Atom-Bewegung
Ermittlungsausschuss Wendland ruft zur Verweigerung der informellen Zusammenarbeit mit Polizei und Geheimdiensten auf
Der nächste Castor-Transport nach Gorleben – vermutet wird als Transporttermin der November – wirft seine Schatten voraus. Die Kripo forscht die Anti-Atom-Szene im Wendland aus und sucht dafür informelle Mitarbeiter. Ein Fall wurde jetzt bekannt, weil die angesprochene sich dem Ermittlungsausschuss Gorleben (EA) anvertraute. „Möglicherweise ist das nur die Spitze des Eisbergs“, kommentiert die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI). Der EA und die BI verurteilen in einer Erklärung die Anwerbungsversuche und appellieren an mögliche weitere Angesprochene, sich an den EA zu wenden.
Am 16. Juni 2010 wird eine Aktivistin aus dem Gorleben-Widerstand auf ihrem privaten Handy von einer ihr unbekannten Person angerufen. Der Anrufer stellte sich als Herr M. von der Polizei vor. Er wolle sich mit der Aktivistin über den nächsten Castor unterhalten, sagt er und erwähnt dabei einige Informationen, die aus polizeilichen Ermittlungen und videographischen Aufnahmen von Demonstrationen stammen.
Überrumpelt und auch eingeschüchtert von dem Anruf eines scheinbar allumfassend informierten Apparates stimmt die Aktivistin einem Treffen zu, um für sich selbst in Erfahrung zu bringen, woher die Informationen über sie stammen und was die Polizei von ihr wolle.
Bei einem Treffen einen Tag später weist sich der Anrufer als Kriminalhauptkommissar Karl M. durch einen mutmaßlich vom Bundeskriminalamt ausgestellten Dienstausweis aus. Er erscheint in Begleitung einer weiteren Mitarbeiterin dieser oder einer anderen Behörde. Herr M. verhält sich während des ca. 45-minütigen Gespräches freundlich, zeigt sich gut informiert und behält die Quellen seiner Informationen unter Verweis auf die Polizei stets für sich.
Er bezeichnet es als sein Anliegen, in Bezug auf den für November geplanten Castor-Transport ins Wendland „gewalttätige Ausschreitungen“ bereits „im Vorfeld unterbinden“ zu können. Er macht dabei deutlich, dass es ihm nicht um die polizeiliche Gewalt tausender bewaffneter Uniformierter geht. Die Aktivistin sei als mögliche Informantin ausgewählt worden, weil sie gemäß polizeilichem Profil zwar eine „militante Demonstrantin“ sei, persönlich „aber nicht zu Gewalttaten“ neige. Was er genau damit meint, sagt er nicht.
Konkret fragt Karl M. die Aktivistin nach Kenntnissen über die Beteiligung antifaschistischer Gruppen aus Hamburg und Berlin sowie über „studentische Gruppen in Lüneburg“. Hauptaugenmerk seiner vielen Nachfragen sind jedoch lokale Initiativgruppen, die BI sowie die Bäuerliche Notgemeinschaft. Herr M. erwähnt Bildaufnahmen aus den letzten Jahren, welche die Aktivistin im Zusammenhang mit einigen dieser Gruppierungen zeige. Ganz besonders sind Herr M. und seine unbekannte Begleiterin am von ihnen angeblichen „Gewaltpotenzial“ der Bäuerlichen Notgemeinschaft interessiert. Hier fragen sie nach Namen, wollen sie konkretes zu Aktionen mit Treckern wissen.
Herr M. ist an einer „Zusammenarbeit“ mit der Aktivistin interessiert. Sie würde bei „Informationen“ schließlich „keinen Verrat begehen“, sondern „positiv einwirken“ helfen. Herr M. bietet eine spezielle Handynummer für die Aktivistin an und stellt eine bestimmte Summe für jede „Information“ in Aussicht. Er gibt sogar Hinweise zum unauffälligen Umgang mit den erhaltenen Geldern. Nach weiteren Nachfragen zu Details der persönlichen Verhältnisse der Aktivistin (z.B. zur Nutzung von nicht auf sie zugelassenen PKW) lehnte diese jede Zusammenarbeit mit der Polizei eindeutig ab.
Als die zunehmend empörte Aktivistin einen klaren Vergleich zu Spitzeldiensten für Geheimdienste wie der Stasi zeiht, zeigen sich Risse in der freundlichen Fassade der Schnüffler. Das Gespräch wird daraufhin beendet. Die Behörde und Herr M. versuchten noch mehr als eine Woche lang durch mehrere Telefonversuche täglich, die Aktivistin umzustimmen und für ein weiteres Treffen zu gewinnen. Erst nach einer weiteren klaren Absage durch die Aktivistin hörten die telefonischen Belästigungen durch Karl M. gegen Ende Juni auf.
Stellungnahme des EA
„Das Eindringen der Überwacher in das private Leben“
Der Ermittlungsausschuss Wendland sieht in dem Eindringen polizeilicher und sonstiger Agenten in das Privatleben von Aktivistinnen und Aktivisten einen Versuch, politisch aktive Menschen zu verunsichern und ihr lobenswertes Engagement in den Geruch des „Kriminellen“ zu drängen. Wir sagen klar und deutlich:
Kriminell sind nicht die Proteste und der Widerstand gegen die Atomanlagen, kriminell sind die Akteure des Atomstaates.
Das Anfertigen von sogenannten „Profilen“ von politischen Aktivist_innen ist ein Indiz für die enge Verquickung von Polizei und Geheimdiensten und in dem von den Behörden betriebenen Rahmen höchstwahrscheinlich rechtlich unzulässig. Eine Analogie zu Aktivitäten der „Stasi“ drängt sich durch den Sachverhalt auf, ein solches Vorgehen war aber auch den Geheimdiensten der alten BRD stets zu eigen. Polizei und Verfassungsschutz schützen bei der Bespitzelung des Anti-AKW-Widerstandes die Interessen der Atomindustrie.
Die in dem Gespräch mit der Aktivistin durch die Mitarbeiter_in der Polizei / Geheimdienste erwähnten Erkenntnisse über das politische Engagement der Aktivistin und ihre persönlichen Lebensumstände lassen vermuten, dass diese Behörden seit vielen Jahren Bild- und Videoaufnahmen systematisch auswerten, Bankdaten anzapfen, Telekommunikationsdaten auswerten und daraus persönliche „Profile“ erstellen, um Aktivist_innen anquatschen, überwachen und einschüchtern zu können.
Das sind für Interessierte keine wirklich neuen Erkenntnisse, und in der Geschichte der Auseinandersetzung um Gorleben ist diese Suche nach Spitzeln und Informanten auch kein Einzelfall. Für die Aktivistin stellt dieses Vorgehen jedoch einen erlebten massiven Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte dar. „Das ist kein Märchen, das gibt es wirklich“, sagte sie gegenüber dem Ermittlungsausschuss Wendland.
Der Ermittlungsausschuss Wendland rät:
Keine Aussagen und keine Zusammenarbeit mit Polizei und Geheimdiensten!
Macht das Ausspähen und Anquatschen durch Mitarbeiter der Repressionsorgane öffentlich!
Meldet euch beim Ermittlungsausschuss, wenn ihr von der Polizei um Informationen zum Castor-Widerstand angefragt werdet!
EA Wendland, August 2010
c/o BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg
Sprechzeiten mittwochs 19.30-21.00 Uhr unter 05841-97 94 30
http://ea-gorleben.nadir.org/
KONTAKT
Pressesprecher
Wolfgang Ehmke
Tel. 0170 510 56 06