„Gorleben eignet sich nicht als Endlager“ – Dokumentation

Obernkirchen. Schon 1980 hat der Obernkirchener Physiker Heinz Nickel die Gesteinsschichten des potenziellen Endlagers Gorleben untersucht. Und er ist zu dem Ergebnis gekommen, dass sich der Salzstock nicht für ein Atommüll-Endlager eignet. Doch seine Erkenntnisse wurden nicht etwa freudig aufgenommen, sondern von den unterschiedlichsten Stellen vertuscht. Er erlebte Zurückweisung durch Ämter, Unverständnis von Politikern und sogar Zensur seiner wissenschaftlichen Texte. Erst im Alter von 80 Jahren bekommt Heinz Nickel jetzt doch noch die Gelegenheit, seine Forschungsergebnisse zu präsentieren: Am 11. November ist er als Zeuge vor den Bundestags-Untersuchungsausschuss „Gorleben“ in Berlin geladen.

„Die Aussage vor dem Ausschuss ist das i-Tüpfelchen auf meiner Karriere“, sagt Heinz Nickel. Und er hat lange für diese Möglichkeit gekämpft. 1958 machte der Diplom-Physiker seinen Abschluss an der Universität Hannover. Noch im selben Jahr fand er eine Stelle bei der neu eingerichteten Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover. „Ich war froh, sofort einen Job gefunden zu haben“, erinnert sich Nickel. „An Promotion war damals nicht zu denken. Dafür fehlte so kurz nach dem Krieg einfach das Geld.“

Einen ersten Schritt Richtung Gorleben machte Nickel von 1967 bis 1977, damals jedoch ohne zu wissen, in welch brisantem Gebiet seine Erfindung einmal zum Einsatz kommen würde. „Ich entwickelte eine elektromagnetische Messmethode, die es ermöglicht, im Kalibergbau mittels Radiowellen das geplante Abbaugebiet zwischen zwei Bohrlöchern zu untersuchen.“ Bei dieser Methode wird mit Radiowellen ein Bild des Abbaugebietes erzeugt, das in etwa dem eines Computer-Tomographen ähnelt. Gefährliche Wassereinschlüsse in dem Berg können so schon ausgemacht werden, bevor die Bergleute ein Abbaugebiet anfahren, was die Sicherheit im Bergbau enorm erhöhte.

„1977 begann man dann, über ein Endlager für die hoch radioaktiven Abfälle der Atomkraftwerke nachzudenken.“ Nickel wurde beauftragt, seine bisher nur im Bergbau angewandte Methode so zu verändern, dass sie auch bei den Bohrungen in Gorleben eingesetzt werden kann. „Das war gar nicht so einfach“, sagt er heute. „Im Bergbau waren die Geräte etwa 50 Kilogramm schwer. Jetzt mussten wir sie so verändern, das sie in einer Bohrlochsonde Platz fanden, die nur einen Durchmesser von 90 Millimetern hatte.“ Doch mithilfe eines Elektroniklabors, das sich auf Bohrlochsonden spezialisiert hatte, gelang die Aufgabe.

Die ersten Messungen im Frühjahr 1981 machten den Physiker jedoch gleich stutzig. In vergleichbaren Salzschichten konnten die Radiowellen der Anlage problemlos eine Strecke von 4000 Metern überwinden. In Gorleben kam aber schon nach 2000 Metern nichts mehr bei den Empfängern an. Nickel kam folglich zu der Erkenntnis, dass sich das Salzgestein in Gorleben in seinem Aufbau von allen anderen bisher bekannten unterscheiden müsste. „In dem Salz muss etwas drin sein, was untypisch ist und was zu einer Gefahr für den Salzstock werden könnte“, erklärt er seine damalige Schlussfolgerung. „In der Salzschicht könnten kleine Wassereinschlüsse sein. Wenn man dort einen Castor-Behälter hineinstellt, der durch den radioaktiven Inhalt Hitze produziert, könnte das dazu führen, dass sich das Salzgestein verändert.“ Kleine Salzkristalle könnten sich auflösen, die eingeschlossene Flüssigkeit könnte sich ihren Weg Richtung Castor bahnen und den Behälter zum Rosten bringen. „Auf diesem Weg könnte die radioaktive Strahlung das Grundwasser erreichen.“

Nickel erstellte für seinen Arbeitgeber, die BGR, einen Bericht über seine Messungen und wies dabei auf die „zechstein-untypischen“ Messergebnisse hin. „Und genau der Begriff ,zechstein-untypisch‘ begleitete mich dann in den nächsten Jahrzehnten.“ Denn der Empfänger des Berichtes, die Physikalisch-technische Bundesanstalt (PTB), schien mit Nickels Ergebnis nicht glücklich zu sein. „Die haben mein Gutachten 1983 in der Stellungnahme, anhand der die Politiker über Gorleben entscheiden sollten, einfach unter den Tisch fallen lassen.“ Selbst seine Zusammenfassung, die nur eineinhalb Seiten lang war, sei nicht beachtet worden.

1986 und 1989 bestätigte er seine Ergebnisse dann noch einmal, indem er Bohrkerne, also Gesteinsproben, aus Gorleben untersuchte und deren elektrische Eigenschaften bestimmte. „Später machte ich dann einen erneuten Versuch, meine Erkenntnisse an die Öffentlichkeit zu bringen.“ Er schrieb im Jahr 1991 einen Beitrag für das geologische Jahrbuch, in dem er auch auf die Ergebnisse aus Gorleben einging. „Doch alle kritischen Passagen wurden auch hier einfach herausgelassen.“ Nickel erfuhr davon erst, als er nach dem Druck ein Exemplar in den Händen hielt. „Das war Zensur“, sagt er heute. „Aber ich hätte nicht erwartet, dass es acht Jahre nach meinem ersten Bericht immer noch einen so starken Wunsch gibt, meine Erkenntnisse zu verheimlichen.“

Auch nachdem er 1992 aus dem aktiven Berufsleben ausschied, ließ Nickel das Thema nicht los. Er schrieb an das Bundesamt für Strahlenschutz und an das Bundesumweltministerium. „Die Antworten waren entweder inhaltslos oder ich erhielt gar keine.“ Doch im September dieses Jahres konnte er sich Gehör bei Sebastian Edathy, dem Schaumburger Abgeordneten des Bundestages und stellvertretenden Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses, verschaffen. Edathy reiste nach Obernkirchen und hörte sich Nickels Erkenntnisse an. „Er fragte mich schließlich, ob ich vor dem Untersuchungsausschuss aussagen würde.“

Natürlich wollte er. „Das gibt mir doch nach fast 30 Jahren endlich die Möglichkeit, vor Menschen zu sprechen, die vielleicht etwas ändern können.“ Doch auch hier gibt es wieder Ungereimtheiten. Denn eigentlich sollte Nickel schon am 28. Oktober aussagen. Der Termin wurde jedoch abgesagt – als er sich schon in einem Fahrzeug des Bundestages auf der Autobahn befand, 150 Kilometer von der Heimat entfernt. Die SPD nennt die Absage des Ausschusses in einer Pressemitteilung „unbegründet und unzulässig“. Weiter heißt es: „Die heutige Vernehmung des Physikers Heinz Nickel wäre sicherlich eine sehr spannende Sache geworden. Er gilt laut Aktenlage als einer der wichtigen kritischen Wissenschaftler, der bereits Anfang der 1980er Jahre vor schnellen Entscheidungen für Gorleben gewarnt hat. […] Wir hätten ihn heute gerne gefragt, warum? Doch das wollte offensichtlich die schwarz-gelbe Bundesregierung mit ihrer Mehrheit verhindern.“

Besonders prekär: Am selben Tag, an dem der Untersuchungsausschuss so kurzfristig abgesagt wurde, hat der Bundestag den neuen Atomgesetzen zugestimmt.

Gefahr durch zu viel Wasser – aus diesem Grund hält der Physiker Heinz Nickel Gorleben als Atommüll-Endlager für ungeeignet.
Von Jessica Rodenbeck
Quelle Landes-Zeitung.de (Schaumburg-Lippe) 3.11.2010