Der Uranberg
Die sowjetische Bombe, die aus Deutschland kam
Das Uran für die sowjetische Atommacht wurde in der DDR geschürft. Der Film „Der Uranberg“ wirft ein Schlaglicht auf ein dunkles deutsches Kapitel.
Das Piepsen wird schneller und lauter. Doch die sowjetische Offizierin ist misstrauisch; sie vertraut ihrem Geigerzähler nicht. Und tatsächlich: Kaum kippt sie das Gestein aus der Lore auf den Boden und misst erneut, bleibt das hektische Piepsen fast ganz aus.
Ein vergessenes Kapitel deutscher Geschichte
Der Regisseur Dror Zahavi hat sich in seinem Film „Der Uranberg“ eines beinahe vergessenen Kapitels deutscher Geschichte angenommen. Der Film, der jetzt in die Kinos kommt, ist schon einmal versteckt im deutsch-französischen Kulturkanal Arte gezeigt worden. Doch am besten aufgehoben ist die Produktion des MDR im Kino: Anders als die meisten TV-Regisseure hat Zahavi tatsächlich Bilder zustande gebracht, die nach der großen Leinwand gieren.
Dass der Uranbergbau einmal ein wichtiger Wirtschaftszweig in Deutschland war, weiß heute fast niemand mehr. Seit der Wiedervereinigung werden die ehemaligen Bergwerke im Erzgebirge rückgebaut und die zerstörte Landschaft renaturiert. Vergessen ist auch, dass es ohne das Uran aus Thüringen und Sachsen wohl keinen Kalten Krieg gegeben hätte.
Bald nach dem Sieg über Hitler-Deutschland wurden die Spannungen zwischen den demokratischen USA und der kommunistischen Sowjetunion deutlich. (…) Um diese Überlegenheit der westlichen Vormacht auszugleichen, brauchte Stalin eigene Atomwaffen. Über die notwendigen Informationen zum Prinzip der Bombe, in den USA während des Zweiten Weltkrieges im „Manhattan Project“ für mehrere Milliarden Dollar erarbeitet, verfügte
er schon: Mehrere Spione hatten der Sowjetunion die entscheidenden Einsichten verraten. Aber außer dem Wissen benötigte man unbedingt einen Rohstoff: Uran.
In der Sowjetunion und der von ihr beherrschten Ländern Osteuropas gab es jedoch seinerzeit keine bekannten Lagerstätten dieses schweren, radioaktiven Elements. Mit einer Ausnahme: Im Erzgebirge, vor allem auf
deutscher Seite bei Schneeberg, war seit Jahrhunderten neben verschiedenen Metallen auch vermeintlich wertloses Material gefördert worden, das man „Pechblende“ nannte.
Einfache Sicherheitsmaßnahmen ignoriert
In Wirklichkeit handelt es sich dabei um Uranoxid. Schon im September 1945 begann die sowjetische Besatzungsmacht mit einem Programm, um hier schnellstmöglich eine nennenswerte Uranproduktion in Gang zu bringen. Da es nicht genügend Freiwillige gab, wurden geeignete Bergleute mit Druck rekrutiert.
Allein zwischen Herbst 1946 und Ende 1947 wurden 43.590 deutsche Arbeitskräfte zur Arbeit für die Wismut AG gezwungen, davon stammten 31.626 aus dem Land Sachsen. Anders als in sowjetischen Kohle- und Eisenerzgruben wurden jedoch keine Kriegsgefangenen eingesetzt. Allerdings gab es Aushänge in den Kriegsgefangenenlagern in der UdSSR, die eine baldige Freilassung versprachen, wenn man sich freiwillig für den Einsatz bei der 1947 offiziell gegründeten Gesellschaft Wismut verpflichtete.
Doch die Arbeit unter Tage war extrem hart; selbst einfache Sicherheitsmaßnahmen ignorierten die sowjetischen Verwalter der reaktivierten alten Bergwerke. „Allein in den ersten drei Jahren des Uranbergbaus flohen ungefähr 50.000 Personen vor einer Einweisung zur Wismut AG oder brachen den Arbeitsvertrag“, schreibt der Wirtschaftshistoriker Rainer Karlsch in seinem Standardwerk „Uran für Moskau“ (Ch. Links Verlag Berlin 276 S., 14,90 Euro): „Weitere 15.000 mussten aus Krankheitsgründen entlassen werden.“
Doch das war Stalin gleichgültig. Er brauchte die Atomwaffe, und ohne Uran bekam er sie nicht. Also wurde ohne Rücksicht auf Verluste und mit allen anderen Mitteln einer Diktatur gefördert. Gearbeitet wurde rund um die Uhr, in drei Achtstunden-Schichten sechs Tage in der Woche.
Von 1948 bis 1953 fuhren viele Bergleute auch angeblich „freiwillige“ zusätzliche Schichten an Sonn- und Feiertagen. Die Produktion stieg von 17,2 Tonnen Uran im Probebetrieb 1946 über 321 Tonnen 1948 auf fast 3100 Tonnen 1953.
Dramatik wie im Bergbau-Drama „Das Wunder von Lengede“
Bis zum Ende der DDR wurden fortan jährlich zwischen 4000 und 6600 Tonnen Uran gefördert und an die Sowjetunion geliefert. Ohne diese Lieferungen hätte es weder ein sowjetischen Kernbombenprogramm gegeben noch die jahrzehntelange Konfrontation der beiden Supermächte mit der ständigen Gefahr eines atomaren Overkill.
Die Männer unter Tage waren wenigstens in den ersten 15 Jahren in eine geradezu militärische Disziplin eingebunden. Zudem wurden, ganz kapitalistisch, Prämien für gefördertes Uranoxid ausgelobt. Das brachte
manche Bergleute dazu, faule Tricks zu versuchen. Etwa, indem Loren mit Pechblende eingerieben und mit Abraum gefüllt wurden, auf das die Männer wenig Uranoxid legten. Bald aber kamen die sowjetischen Kontrolleure hinter diese Methode.
Diesen Trick greift Dror Zahavi in seinem Spielfilm auf, der ansonsten über die üblichen Ingredienzien eines „TV-Events“ verfügt: bekannte Bildschirmgesichter wie Henry Hübchen, eine Liebesgeschichte, dramatische Bilder in Anlehnung an das Bergbau-Drama „Das Wunder von Lengede“ (2003).
Zu den Stärken des Drehbuchs von Hans-Werner Honert aber zählt, dass er auf das gewohnte Happy-End verzichtet: „Der Uranberg“ ist ein Film, an dessen Ende es nur Verlierer gibt. Ob so ein Programm mindestens sechs Millionen Fernsehzuschauer vor den Bildschirmen hält, ist jedoch offen.
Unfreiheit der Preis für Frieden
Auch in der Realität hatte der Uranbergbau im Erzgebirge nur Verlierer. Mindestens 772 Bergleute kamen bei Unfällen ums leben, etwa 25.000 Arbeiter litten an dem radioaktiven Staub, den sie bei schwerer körperlicher Arbeit einatmeten. Allein zwischen 1954 und 1985 flossen aus dem DDR-Staatshaushalt 17 Milliarden Ostmark Subventionen in die Uranproduktion.
Die Stasi betrieb bis 1982 eine eigene Abteilung im Range einer Bezirksverwaltung, um die Mitarbeiter der Wismut zu überwachen und Proteste gegen die Umweltzerstörung zu unterdrücken. Seit der Einheit schließlich wurden mehr als sechs Milliarden Euro in die Renaturierung gesteckt; Uran gefördert wird im Erzgebirge seit 1990 nicht mehr.
Quelle: Die Welt 2.02.11