Gruselt es Sie auch nach dieser Europawahl? Grundsätzlich sollten der Pluralismus und die breite Palette an Ideen und Lösungsansätzen für die erdrückenden Probleme unserer Zeit und Welt ja gerade der lebensbejahende Standortvorteil einer liberalen Demokratie sein. Voraussetzung dafür wären allerdings zuerst das Vorhandensein überhaupt eines „demos“, eines am gemeinsamen, friedlichen, gerechten und in eine nachhaltige Zukunft gerichteten Lebens interessierten Staatsvolkes, zum Weiteren eine wenigstens in den Grundzügen politisierte Bevölkerung. Darüber hinaus braucht es auch stets einen (ausreichenden) Raum des offenen politischen Diskurses, in dem rationale Argumente ausgetauscht und abgewogen werden können und – nicht zuletzt! – auch die direkte und unmittelbare Beteiligung daran durch eben die Menschen, die schließlich diese Wahl- und Zukunftsentscheidungen treffen sollen.
Spätestens seit dem Datenskandal von Cambridge Analytica, der den Brexit ermöglichte und Donald Trump an die Macht spülte, sollte uns allen klar sein, dass es den Betreibern Sozialer Medien inzwischen längst gelungen ist, einen derartigen Raum perfekt zu simulieren und ihren unzählbaren Kund:innen ein Gefühl der Selbstwirksamkeit zu vermitteln, welches diese offenbar in der realen Kommunikation inzwischen schmerzhaft vermissen. Während aber die Demokratie auf solidarisches Zusammenleben, sozialen Ausgleich und letztlich auf ein gutes Leben für alle abzielt (oder abzielen sollte), treibt die großen Konzerne der Wettbewerb um Marktanteile und damit um die Konzentration von Macht und Kapital an. Staatliche Regulation, die dem im öffentlichen Interesse entgegenwirkt, wird folgerichtig als störend empfunden und systemisch bekämpft.
Nach Putin, Xi Jinping, Bolsonaro und Trump betritt nun mit dem Rechtspopulisten Javier Milei in Argentinien ein weiterer „autoritärer Modernisierer“ die Weltbühne, der sich selbst als „Anarchokapitalist“ bezeichnet und der clownesk verdeutlicht, um was es (auch) geht: Neoliberalismus steht als „imperialistische Marktwirtschaft“ dem Gleichheitsprinzip der Demokratie feindlich gegenüber. Egoistische Privatinteressen und das „Recht auf Konsum“ überlagern zunehmend die freiheitlichen Ideale partizipativer politischer Kultur.
Immerhin ein Fünftel der „Generation Lockdown“ soll sich in dieser Wahl den nationalistischen, rassistischen und totalitären Idealen ihrer Urgroßeltern angeschlossen haben. Mit angeblichem „Jugendprotest“ hat das wohl weniger zu tun, vielmehr scheint diese konsumgewohnte Generation in Teilen mehr von Ängsten als von Zukunftsvisionen geleitet zu sein, dabei aber die konkreten und realen Folgen ihrer virtuell anmutenden Wahlentscheidung nicht überblicken zu können. Die „Regelkonformität“ der GenerationZ resultiere aus Unsicherheit, nicht aus Reife, was sie älter wirken ließe; und ihre Bevorzugung von Sicherheit sowie das Getriebensein von digitalen Inhalten ließe sie tatsächlich schneller altern, sagt die Forschung …
Was für ein Glück doch, dass sich vier Fünftel der Erst-wählenden im demokratischen Spektrum bewegtenund damit immer noch mehrheitlich ihr Votum für eine nachhaltige Zukunft abgegeben haben.
Und was machen wir? Wir fordern zivilgesellschaftliche Beteiligung, stellen uns dem politischen und wissenschaftlichen Diskurs und betreiben Aufklärung. Seit Jahrzehnten.
Martin Donat
Vorsitzender der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.