Atomexperte: "Wir haben die gleichen Reaktoren wie in Japan"

Das Mitglied der Reaktorsicherheitskommission, Michael Sailer, hält einen schweren Reaktorunfall wie in Japan auch in Deutschland nicht für ausgeschlossen. Der Diplomingenieur und Geschäftsführer des Öko-Instituts sieht zudem Parallelen zwischen der Havarie und der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Mit Sailer sprach dapd-Korrespondent Jürgen Voges.
Welchen Folgen für die Umwelt kann der schwere Atomunfall in Japan haben?

Michael Sailer: Die Auswirkungen hängen stark von der weiteren Einwicklung in der Schlussphase der Kernschmelze im Atomkraftwerk Fukushima 1 ab. Im schlimmsten Fall wird ein hoher Prozentsatz des radioaktiven Inventars freigesetzt. Bei ungünstigen Wetterbedingungen können große Landstriche verseucht werden. Im weniger schlimmen Fall gelangen nur einige Prozent der Radioaktivität in die Umwelt. Zentral für die Folgen ist auch die Windrichtung. Entweder wird das radioaktive Material in Richtung Ozean oder nach Japan hinein getrieben. Ein großflächige Verseuchung der Umgebung hatte vor 25 Jahren die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl zur Folge.

Ist der Unfall in Fukushima 1 mit
Tschernobyl vergleichbar?

Sailer: Das hängt vor der weiteren Entwicklung der Kernschmelze in Japan ab. Technisch ist die Havarie dort anders abgelaufen. Wenn nun, was wir alle hoffen, nur ein geringer Teil des radioaktiven Inventars freigesetzt wird, ist auch die Belastung sehr viel kleiner als bei der Katastrophe in Tschernobyl. Das genaue Ausmaß der Kontamination wird man wohl erst nach Tagen oder einigen Wochen nach einer Bestandsaufnahme kennen. Vom technisch-theoretischen Potenzial her ist in Fukushima das Schlimmste möglich. Wir alle hoffen aber, dass es nicht das Schlimmste wird.

Wie unterscheiden sich die Havarien in Tschernobyl und in Japan technisch?

Sailer: Anders als in Tschernobyl wurde Fukushima 1 aufgrund des Erdbebens zunächst abgeschaltet. Dann hatten wir durch das Beben einen Ausfall der Kühlung des Reaktorkerns, weil die Kühlungssysteme nicht mehr mit Strom
versorgt wurden. Dadurch konnten sich die ungekühlten Brennelemente stark aufheizen. Das wäre die klassische Kernschmelze. In Tschernobyl kam es dagegen zu einer nuklearen Explosion. Der Effekt, dass möglicherweise große Teile des radioaktiven Materials nach außen gelangen, kann aber in Japan ähnlich sein. Nur der zugrunde liegende physikalische Prozess ist ein anderer.

Sind solche schweren Unfälle in deutschen Kernkraftwerken ausgeschlossen?

Sailer: Wir haben im Grundsatz die gleichen Reaktoren wie in Japan und es ist daher falsch, zu sagen, dass in Deutschland solche Unfälle unmöglich sind. Wenn in deutschen Reaktoren die Kühlsysteme nicht mehr funktionieren, etwa weil ihnen die gesamte Stromversorgung fehlt, landen wir in der gleichen Lage, mit der Japan jetzt kämpft. Es gibt natürlich in den Reaktoren mehrere gestaffelte Sicherheitssysteme. Manchmal versagen das erste und das zweite System und man hat das Glück, dass die nächste Sicherung noch funktioniert. Wenn allerdings alle Sicherheitssysteme versagen, ist man in einer katastrophalen Lage und das kann auch in Deutschland passieren.

Sind schon Konsequenzen absehbar, die man in Deutschland ziehen sollte?

Sailer: Wir müssen für die deutschen Reaktoren durchspielen, was bei einem Ausfall der Stromversorgung aller Sicherheitssysteme passiert. Wir müssen prüfen, ob wir genug Schutzmechanismen haben. Wichtig ist auch die
Platzierung der Sicherheitssysteme im Kraftwerk, damit diese nicht wie in Japan durch ein einzelnes Ereignis insgesamt zerstört werden können.

Deutschland ist aber nun kein Erdbebengebiet wie Japan.

Sailer: Technisch denkbar sind andere Ursachen, die auch in Deutschland das gesamte Kühlsystem eines Reaktor außer Funktion setzen könnten. Es kann etwa einen unerkannten Konstruktionsfehler geben. Eine schlechte Wartung von Notkühlsysteme kann dazu führen, dass sie gerade dann nicht funktionieren, wenn man sie braucht. Auch die Frage nach den möglichen Folgen eines Flugzeugabsturzes auf einen Reaktors muss man in diesem Zusammenhang neu stellen.

Quelle: www.epochtimes.de/articles/2011/03/12/688188.html

12.03.11