Anti-Atom-Protest der 70er und 80er Jahre
„Harter Kern besteht aus Terroristen“
Die Energiewende verdankt sich auch den lokalen Kämpfen der Antiatomkraftbewegung der 70er und 80er Jahre. Nun sind die ersten zwei Bände zu ihrer Geschichte erschienen. Der Verlag kündigt an, dass die Folgebände noch in diesem Jahr gedruckt vorliegen. Gern dokumentieren wir eine Rezension von Rudolf Walther aus der TAZ vom 2.4.12 , fügen aber noch lieber hinzu, dass Gerhard Has und Wolfgang Ehmke an diesen Bänden mitgewirkt haben.
Als erstes Merkmal geht aus der Analyse der historischen Antiatomkraftbewegung hervor, dass es sich nicht um eine homogene Protestbewegung handelte, sondern um eine Vielfalt von Bewegungen. Das trifft auch auf ihre soziale Zusammensetzung und politische Orientierung zu.
Der erste Band analysiert den Verlauf der Protestbewegungen gegen den Bau von Atomkraftwerken in Wyhl, Brokdorf, Kalkar und Grohnde sowie die Wiederaufbereitungsanlagen in Gorleben und Wackersdorf.
Es gehört zu den Stärken dieser Bewegung, dass sie ihren Weg in heftigen inneren Auseinandersetzungen über Ziele und Methoden des Kampfes suchten und fanden. Am Beginn stand die Opposition gegen den Bau des Atomkraftwerks Wyhl am Oberrhein. Diese Opposition zeichnet sich – etwa im Unterschied zum Protest in Brokdorf – durch starke ländliche Zusammensetzung (Bauern, Winzer, Dorfbewohner) aus, während in Brokdorf die meisten Demonstranten aus städtischen Gebieten stammten.
Die Protestbewegung am Oberrhein operierte außerdem von Anfang an grenzüberschreitend mit Gruppen aus dem Elsass und der Nordwestschweiz. Das elsässische Atomkraftwerk Fessenheim und das im Elsass geplante Bleichemiewerk Marckolsheim wie das geplante Atomkraftwerk Kaiseraugst in der Nähe von Basel standen in allen drei Ländern im Zentrum des Protests.
Das intensive Zusammenwirken der drei Regionen, die sprachgeschichtlich die Region Alemannien ausmachen, führte zu einer Widerentdeckung der gemeinsamen Sprache und Kultur und zur Entfaltung einer „eigenen Bewegungskultur“ mit Zeitungen, Protestsongs, Radiosendern.
Dass sich der Protest gegen die Atomkraft am Oberrhein konzentrierte, ist kein Zufall. Der Landesentwicklungsplan für Baden-Württemberg sah das Rheintal zwischen Frankfurt und Basel als „Wirtschaftsachse“, entlang der nur noch Platz blieb für „gewerbliche und industrielle Nutzung“, während die Bewohner in die „Vorbergzone und Seitentäler des Rheins“ umgesiedelt werden sollten.
Zwischen den ersten Demonstrationen in Fessenheim (April 1971) und der Bauplatzbesetzung in Wyhl (Februar 1975) wuchs die Protestbewegung zu einer politischen Kraft, vor der Energiekonzerne und Landesregierung schließlich kapitulierten. Die Atomkraftwerke Kaiseraugst und Wyhl wurden nicht gebaut, jenes in Fessenheim läuft allerdings bis heute. Die 21 Bürgerinitiativen aus Baden und dem Elsass, die sich 1974 zusammenschlossen, arbeiten bis heute am Umbau der Region zu einer Solarregion.
Nicht alle Kämpfe der Protestbewegung waren so erfolgreich. In den Auseinandersetzungen um das Atomkraftwerk Brokdorf (1976–1986) wurde die Bewegung gelähmt durch interne Querelen um die Führungsansprüche von maoistisch-stalinistischen Studentenparteien, die sich in Scharmützeln mit der Polizei und gewalttätigen Attacken zu profilieren versuchten und der Bewegung damit mehr schadeten als nützten.
Viele Kämpfe gegen die Atomkraftpolitik fielen zeitlich fast zusammen mit den terroristischen Anschlägen der RAF im Jahr 1977. Die zeitliche Koinzidenz beeinflusste vor allem das Medienecho. Die Springerpresse rückte den Protest gegen die Atompolitik in einen Zusammenhang mit dem Terrorismus: „Der harte Kern besteht aus reinen Terroristen, ja sogar aus Verbrechern“, so die Bild-Zeitung vom 16. 2. 1977. Der zweite Band rückt dies in den Blick. Er enthält neben einer differenzierten Chronologie eine umfassende Filmografie und Bibliografie. Auf den 6 DVDs sind über 900 Minuten dokumentarische Filme zu sehen.
Insgesamt bieten die beiden Bände ein ebenso umfassendes wie authentisches Bild des lokalen, regionalen und nationalen Protests der 70er und 80er Jahre. Die Dokumentarfilme belegen das Gefälle zwischen den mit primitiven Mitteln operierenden Demonstranten und der technisch hoch gerüsteten Polizei, die Demonstranten sogar mit Tränengaspetarden aus Hubschraubern angriff und dabei militante und friedliche Demonstranten gleichermaßen traf. Ein wichtiges Stück Zeitgeschichte.
„Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv“. Laika Verlag, Hamburg 2011/2012. 2 Bände, 232 S. und 165 S., sowie 6 DVDs, je Band 29,90 Euro.