Es gibt kein sicheres Endlager – aber Gorleben geht gar nicht

Ein Debattenbeitrag
Die Anti-AKW-Bewegung soll sich angesichts der Endlagerdebatte auf zwei Ziele konzentrieren: Eine umfassende Atommülldebatte müsse eingefordert und durchgesetzt werden und Gorleben muss als Endlagerstandort aufgegeben werden, findet Wolfgang Ehmke.

Eine Große Koalition will Gorleben planreif machen
Die Hoffnung oder Überzeugung, dass 2012 Schluss ist mit Gorleben bzw. dass das Ende dieses Endlagerprojekts eingeleitet würde, ist ein Trugschluss. Die Regierung und die Oppositionsparteien SPD und Grüne (die Linke wurde gar nicht erst eingeladen) feilschen um und feilen am „Endlagersuchgesetz“ und selbst, wenn Gorleben am Ende nicht mehr explizit im Gesetzesentwurf vorkommen sollte, weiß jeder, dass entscheidende Passagen auf Gorleben zugeschnitten sind, dass Gorleben der (heimliche) Referenzstandort bleibt.
Noch klarer wäre das, lägen die Sicherheitskriterien vor, die angeblich auch neu verhandelt und vom Bundestag verabschiedet werden sollen. Unter Sigmar Gabriel als Bundesumweltminister (SPD) wurden diese – auf Gorleben – zugeschrieben und sein Nachfolger Norbert Röttgen (CDU) hat diese gern übernommen: Es wurde bei der Tiefenlagerung auf eine zweite geologische Barriere verzichtet (die gibt es nämlich in Gorleben nicht, wie bei den Tiefbohrungen offensichtlich wurde), dafür soll ein „einschlusswirksamer Gebirgsbereich“ die Gewähr bieten, dass die hochradioaktiven und hochgiftigen Abfälle für eine Million Jahre weitgehend sicher von der Biosphäre abgeschlossen werden. „Weitgehend“ meint, ein prospektiver (Krebs-) Toter auf eintausend Bewohner ist demnach genehmigungsfähig… – ein Beispiel von vielen für das Anpassen der Sicherheitskriterien an die Befunde.
Festlegung auf Gorleben geht weiter
Gerade in dieser Situation halten wir an unserer Forderung fest, „Gorleben muss vom Tisch, Gorleben geht gar nicht“. Das ist keine Maximalforderung, das ist eine Minimalforderung, ohne die Erfüllung dieser Forderung kann es keine umfassende Atommülldebatte und keinen fairen neuen Suchprozess geben, denn die Lage rund um Gorleben ist ziemlich prekär.
Für kurze Zeit schien es nach dem letzten Castortransport im Herbst 2011, als würde die historische Wahrheit als Folge des nun 35 Jahre andauernden Protests und als Folge all der Enthüllungen, dass Gorleben aus politischen Gründen gewählt wurde, sich endlich durchsetzen, als käme da wirklich etwas in Bewegung.
Röttgen hatte als Bundesumweltminister einen ersten Entwurf vorgelegt für ein „Endlagersuchgesetz“, er wollte Gorleben ganz offen und unverblümt als Referenzstandort, dann einen oder zwei weitere Standorte, um am Ende nur einen mit Gorleben zu vergleichen. Dieses Endlager soll übrigens – abwei¬chend von bisherigen Konzepten – auch alle Arten von Atommüll aufnehmen, da¬mit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass die Abfälle aus Gronau und die aus der Asse II, sollten sie geborgen werden, nicht Konrad-gängig sind. Niemand hat bisher debattiert, welche geänderten Sicherheitsanforderungen damit an ein Endlager gerichtet werden müssen.
Gepaart mit der vorläufigen Sicherheitsanalyse Gorleben (vSG) ist damit – vor allem, wenn mit Gorleben der einzige Salzstandort erhalten bliebe – dieser Standort genehmi¬gungsreif, denn ein großer Planungsmangel liegt darin, dass Gorleben von Anfang an ohne Auswahlverfahren festgelegt wurde. Dazu kommt die Sicherheitsprognose seitens der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), die von einer Eignung Gorlebens ausgeht und die Defizite konsequent leugnet. Das nennt man „Aktenlage“.
Gleichzeitig würden Klagebefugnisse ausgehebelt, weil ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren durch Beschlüsse des Gesetzgebers ersetzt würde: Eine Öffentlichkeitsbeteiligung würde sich auf ein wenig Mitreden (Bürgerbüro etc.) beschränken.
Für die SPD-geführten Länder erläuterte die rheinland-pfälzische Wirtschaftsministerin Eveline Lemke (Grüne), das Gegenkonzept: Gorleben ist nicht vom Tisch, ist aber nicht als Referenzstandort gesetzt. „Verwunderlich“ nennt es Lemke, dass in dem Gesetzesentwurf das Thema Gorleben „faktisch ausgeklammert“ sei. Es müsse klar geregelt werden, dass der umstrittene Standort in Niedersachsen „in jeder Phase der Suche aufgrund vorab definierter Kriterien … ausscheiden kann“. (Berliner Zeitung 2.2.12)
Damit gibt sie die Linie der Grünen wieder, wie sie auch von Sylvia Kotting-Uhl mit Streitgespräch mit Wolfgang Ehmke in der TAZ am 1.2.12 darlegte: Es müs¬se geologisch begründet werden, warum Gorleben nicht geht, ein politischer Be¬schluss ginge nicht, also könne Gorleben, damit es rausfällt, nur im Vergleich rausfallen. Darauf sollen wir reinfallen.
Industriepolitische Fossile der 70er Jahre
Dass dieses Vorgehen doppelbödig ist, wenngleich es sich von der andauernden Festlegung auf Gorleben, wie es die Regierungsmehrheit wollte, unterscheidet, ist klar. Es macht in einer solchen Situation, wo sich die Positionen verfestigen, zwar Sinn, weiter auf all die geologischen, politischen und planerischen Schwachpunk¬te Gorlebens zu verweisen, und diese zu unterfüttern. Noch hält sich der Nachfolger Norbert Röttgens, Peter Altmaier (CDU) bedeckt. Aber es zeichnet sich ab, dass die große Chance, in ei¬nem parteienübergreifenden Prozess, der weit entfernt von einem „gesellschaft-lichen“ Konsens ist , das indus¬triepolitische Handeln und Denken der 70er Jahre endlich fallen zu lassen, verspielt wird. Für diesen Irrweg, die Festlegungen ohne Vergleich, stehen die havarierten Atommüllendlager Asse II, Morsleben, der Schacht Konrad und Gorleben. In der Polit-Sprache nennt sich das „Vertrauen“ schaffen, denn nach 35 Jahren Lug und Trug glaubt es einfach niemand mehr, dass es ab sofort ehrlich und transparent zugeht. So zeichnet sich ab, dass die Verhandlungsführer sich einander nur noch annähern in der Frage, ob Gorleben explizit oder implizit als Referenzstandort genannt wird und ob zumindest auch noch ein weiterer Salzstandort erkundet wird.
Das Geschäftsmodell Gorleben
Es ist davon auszugehen, dass die Bundesregierung so handelt, weil in Gorleben bereits 1,6 Mrd. Euro versenkt wurden und weil das ausgeklügelte Geschäftsmodell, dass die DBE, die zu 75% im Besitz der Gesellschaft für Nuklearservice (GNS) ist und die mit einer Gewinnformel allein und auf Dauer in Gorleben agiert, Fortbestand haben soll, hier geht Profit vor Sicher¬heit. Bei der SPD und den Grünen spielt der politische Druck, der entsteht, wenn andere Standorte in Bundesländern, in denen es eine Regierungsbeteiligung von SPD und/oder Grünen gibt, benannt werden und Gorleben definitiv raus ist, die größere Rolle.
Es ist wichtig, alle Anstrengungen jetzt darauf zu richten, dass Gorleben vom Tisch kommt. Alles andere ist nur die Fortsetzung der Tricks, nur auf höherem Niveau, die die staunende Öffentlichkeit in den letzten 35 Jahren erlebt hat. Da soll ein neues Bundesamt eingerichtet werden mit Mi¬chael Sailer an der Spitze. Sailer ist Ingenieur und hält den Bau eines Endlagers, das eine Million Jahre Sicherheit garantieren soll, für machbar. Er ist ein Verfechter der „einschlusswirksamen Gebirgsbereichs“ (siehe oben). Für oder gegen Gorleben hat er nichts. Da hat ja auch die BGR ein Monopol auf die wissenschaftliche Expertise, eine Behörde, die sich in der Asse II auch schon bekleckert hat, die auf Salz fi¬xiert ist und Gorleben schön redete.
Ausbau zum NEZ
Da wird Gorleben trotz all der Diskussionen weiter ausgebaut als Nukleares Entsorgungszentrum (NEZ): zum Fasslager, der Castorhalle, der Pilotkonditionierungsanlage kommt nun noch ein sogenanntes „Qualifizierungsgebäude“, ein Atommüllverpackungsanlage. Die GNS kündigt die nächsten Castortransporte für das Jahr 2015 an. Das alles nährt das Misstrauen, denn neben der Geologie spielt bei der Endlagersuche auch die Infrastruktur eine ausschlaggebende Rolle.
Gorleben, so ernüchternd das ist, ist also noch lange nicht, erst recht nicht schon 2012 vom Tisch. Deshalb unterscheiden wir zwischen Sofortmaßnahmen und grundsätzlichen Forderungen in der Atommülldebatte.
Sofortmaßnahmen
Eine Atommülldebatte muss einer Endlagersuche vorgeschaltet werden. In Gorle¬ben dürfen nicht weiter Fakten geschaffen werden.
Ein Ausbau- und Transportestopp nach Gorleben muss her. Auf der Endlagerbaustelle muss ein Bau- und Erkundungsstopp, und zwar als erster Schritt zum Rückbau (!) der Anlagen durchgesetzt werden, überfällig ist ein Abbruch der vorläufi¬gen Sicherheitsanalyse. Denn die vSG ist das Instrument der Gegenseite, Gorle¬ben planreif zu machen.
Dass das Ringen um einen Gesetzestext wieder nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit gehen soll – die SPD mahnt sogar an, dass bisher die Parlamentarier völlig außen vor sind – macht stutzig.
Grundsätzliche Forderungen
Deshalb wird es auch möglich sein, die Öffentlichkeit mit folgenden grundsätzlichen Forderungen zu überzeugen, die im Wendland im „Schulterschluss“ (ein Zusammenschluss der Kreistagmehrheit, von Umweltverbänden, Bäuerlicher Notgemeinschaft, Kirchenkreisen und BI) formuliert wurden und die wir um den vierten Punkt erweitern:
1. Alle Entscheidungen, die seit Beginn der Endlagervorbereitungen willkürlich in Deutschland getroffen worden sind, müssen entsprechend des heutigen Standes von Wissenschaft und Technik überprüft und neu bewertet werden: Wirtsgestein, Rückholbarkeit, Verzicht auf eine systematische vergleichende Endlagersuche an mehreren Standorten, Sicherheitsanforderungen u.v.m. .
2. Die Arbeiten der Untersuchungsausschüsse zur Asse und zu Gorleben müssen abgeschlossen sein. Erst wenn die Berichte vorliegen und Erkenntnisse und Ent¬scheidungsfindung der Ausschüsse nachvollziehbar sind, können sie den notwen¬digen Beitrag zu den Grundlagen für das weitere Vorgehen mit dem Atommüllproblem liefern. In einem ersten Schritt sind sämtliche Akten zur Endlagerung aus allen beteiligten Ministerien, Forschungseinrichtungen und Firmen scho¬nungslos zu veröffentlichen.
3. Angesichts der schockierenden Skandalgeschichte des Endlagers Asse, das als Prototyp für das Endlager im Salzstock Gorleben betrieben wurde, halten wir es für unabdingbar, dass die Kompetenz und Glaubwürdigkeit aller Beteiligten, die zu Asse und zu Gorleben Verantwortung tragen, überprüft wird. Wir fordern auch, deren straf- und zivilrechtliche Verfolgung zu betreiben.
4. Es gibt kein sicheres Endlager. Unter allen schlechten Lösungen muss deshalb die beste gefunden werden. Und es muss die Prämisse stimmen: Schluss mit der Atommüllproduktion.
Rolle der Anti-AKW-Bewegung
Wir sind keine Akzeptanzbeschaffer, wir werden uns niemals für ein Wirtsgestein stark machen („Ton ist viel besser“) und wir organisieren Protest und Widerstand, solange Atomkraftwerke in Deutschland laufen. Das ist der Grundkonsens der Anti-AKW-Initiativen. Die Rolle von Bürgerinitiativen und außerparlamentarischem Protest lässt sich mit „Wächterrolle“, „Frühwarnsystem“, politischem Korrektiv und ähnlichen Begriffen umreißen. Aber der Kern liegt viel tiefer: Achten wir nicht mehr auf die ökonomischen Interessen der Player und Profiteure in der Industrie, gerät das internationale Atom- und Atommüllgeschäft aus dem Fokus der Debatte, geht es nur noch um Öffentlichkeit und Beteiligung, dann geben wir diese grundlegende Rolle auf. Arbeiten wir gar konstruktiv an der „Lösung“ des Atommüllproblems mit, hat die Gegenseite ein leichtes Spiel: es fehlt das Gegenüber im politischen Prozess.
Wolfgang Ehmke 18.06.12
Atom-Endlager
SPD-Länder greifen Röttgen-Ministerium an Von Joachim Wille
Die SPD-geführten Bundesländer kritisieren die Pläne des Bundesumweltministeriums. Zudem moniert die Grünen-Ministerin Lemke per Brief die Bewertungskriterien – und be¬klagt die Ausklammerung von Gorleben.
Bei den Vorbereitungen für eine neue Atomendlager-Suche, die Bund und Länder ge¬meinsam verabredet haben, knirscht es heftig. Die SPD-geführten Bundesländer haben jetzt die Pläne des Bundesumweltministeriums in mehreren Punkten kritisiert: Die Öffent¬lichkeitsbeteiligung bei dem Neustart der Suche komme zu kurz, die Finanzierung der neuen Standortauswahl sei unklar, und es fehlten Aussagen, wie mit dem Salzstock in Gorleben umgegangen wird.
Das Haus von Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) hat jüngst der Bund-Län¬der-Arbeitsgruppe „Endlagerung“ den ersten Entwurf für das neue Endlagersuch-Gesetz vorgelegt, das bis zum Sommer verabschiedet werden soll. Die Suche würde danach in vier Phasen ablaufen, es würde eine völlig neues „Bundesinstitut für Endlagerung“ ge¬gründet und eine begleitende „Ethik-Kommission eingesetzt.
„Strategie des Weichspülens“
In einem Brief an Röttgen kritisiert die Koordinatorin der SPD-geführten Länder, die rheinland-pfälzische Wirtschaftsministerin Eveline Lemke (Grüne), das bisherige Verfah¬ren. Man habe in den Sitzungen „umfangreichen Änderungsbedarf“ angemeldet, schreibt sie. In dem vom Bundesministerium angefertigten Protokoll finde sich das aber nicht hin¬reichend wieder, heißt es in dem Brief, der dieser Zeitung vorliegt.
Von einer „grundsätzlichen Zustimmung“ zu dem Gesetzesentwurf, wie es in dem Proto¬koll heißt, könne keine Rede sein, sagte Lemke dieser Zeitung. „Ich halte es in diesem sensiblen Prozess für grob fahrlässig, Kritik und Diskussionsbedarf der Länder so unter den Tisch zu kehren“. Die Ministerin forderte Röttgen auf sicherzustellen, dass die Forde¬rungen der Länder berücksichtigt werden. Die „Strategie des Weichspülens“ von Konflik¬ten werde nicht funktionieren.
Schwarz-Gelb will Gorleben im Spiel halten
Lemke moniert in dem Brief, der Bund wolle die Kriterien zur Bewertung von Endlager-standorten „ausschließlich auf Behördenebene“ treffen lassen. Richtig sei es, sie per Ge¬setz zu verankern, um „größtmögliche demokratische Legitimation sicherzustellen“. Zu¬dem müsse die Öffentlichkeit „umfassender, stärker und frühzeitiger“ einbezogen wer¬den. Der Bund sehe das erst bei der konkreten Auswahl der Regionen zur oberirdischen Erkundung vor.
„Verwunderlich“ nennt es Lemke, dass in dem Gesetzesentwurf das Thema Gorleben „faktisch ausgeklammert“ sei. Es müsse klar geregelt werden, dass der umstrittene Standort in Niedersachsen „in jeder Phase der Suche aufgrund vorab definierter Kriterien … ausscheiden kann“.
Gorleben dürfe „in keinem Fall als Referenzstandort etabliert werden“, fordert Lemke. Der Hintergrund: Die schwarz-gelbe Koalition will Gorleben unbedingt weiter im Spiel hal¬ten. Dort ist die Erkundung bereits weit fortgeschritten, und es sind bereits 1,6 Milliarden Euro ausgegeben worden.
Lemke verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die Finanzierung der neuen Standortauswahl „durch die Betreiber kerntechnischer Anlagen“ zu erfolgen habe – also die Stromkonzerne. Dies müsse in dem neuen Gesetz sichergestellt werden.
In der Tat geht es dabei nicht um Peanuts. Die neue Endlagersuche, die bis 2040 dauern dürfte, wird mehrere hundert Millionen Euro kosten.