Durch das Land geht ein tiefer Riss…

… und der heißt „Kompromiss“. Mathias Edler, Greenpeace-Aktivist und BI-Mitglied, analysiert den Grünen-Beschluss zur „Endlagersuche“.

Es klingt doch so logisch , dass man Gorleben lieber anhand von Kriterien in einem Endlagersuchverfahren ausscheiden lässt, anstatt eine politische Entscheidung für einen Ausschluss vorab zu treffen, oder?

Mit einer Endlagerbaustelle im eigenen Bundesland lässt sich auf der Politikbühne kein Blumentopf gewinnen – im Gegenteil: Erkundungen in Bayern oder Baden-Württemberg wären bei den nächsten Wahlen das politische Ende für die verantwortlichen Politiker auf Landesebene – egal von welcher Partei.

Deshalb gibt es in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten eine große politische Mehrheit, die trotz aller gegenteiligen salbungsvollen Beteuerungen und vor allen Dingen trotz aller negativen wissenschaftlichen Befunde zur (Nicht-)Eignung des niedersächsischen Salzstocks auf Teufel komm raus an Gorleben festhalten wollen.

Bleibt der Salzstock im Rennen bei der Endlagersuche, wird es nie politische Mehrheiten für strengste Auswahlkriterien geben, mit denen Gorleben rausfallen könnte. Denn dann würde eine Endlagerbaustelle in anderen Bundesländern tatsächlich realistisch – das Karriereende für die beteiligten Politiker, wie eben beschrieben.

Bleibt die Politik bei der Wahl der Kriterien im Ungefähren (der Parteipolitiker nennt das dann “Kompromiss”), so zählt für Gorleben der Erkundungsvorsprung von 35 Jahren gegenüber anderen Standorten: Selbst wenn der Wissenschaftler Mängel gefunden hat, dann weiß er in Gorleben, wo die Mängel liegen und damit weiß er mehr, als über einen Vergleichsstandort, der noch gar nicht soweit untersucht worden ist und für ihn ein schwarzes Loch darstellt. Dieser “Erkundungsvorsprung” sorgt dafür, dass Gorleben in einem Vergleichsverfahren bis zur Endrunde überhaupt nicht rausfliegen kann – ebenfalls im Gegensatz zu allen politischen Beteuerungen.

Die geschilderten Mehrheiten in der Bundesrepublik Pro-Endlager-Gorleben werden spätestens dann dafür sorgen, dass der marode Salzstock in Niedersachsen doch noch zum Endlager wird – diesmal gerichtsfest, weil angeblich einem “fairen” und “ergebnisoffenen” Vergleichsverfahren” entsprungen. Damit hätten die alten Pro-Gorleben-Kräfte ihr Ziel mit einem kleinen Umweg doch noch erreicht.

Dass ausgerechnet die niedersächsischen Grünen in diesem Theaterstück auch noch die Hauptrolle übernehmen, irritiert den fachkundigen Beobachter. Dass die Grünen kurz vor der Landtagswahl in Niedersachsen das höchste Faustpfand für die kommenden Verhandlungen mit Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) schon vor Beginn aus der Hand geben, kommt einem Kotau vor der alten Gorleben-Garde gleich, die auch die Desaster in den havarierten Atommülllagern Asse und Morsleben zu verantworten haben. Nicht umsonst “begrüßt” Altmaier heute das Ergebnis des Grünen-Parteitags vom Wochenende.

Mit diesem mehr oder weniger unscheinbaren Beschluss haben ausgerechnet die aufrechten Kämpfer für eine Aufarbeitung des Asse-Desasters, wie der niedersächsische Grünen-Fraktionsvorsitzende Stefan Wenzel, der Endlagerdebatte einen Bärendienst erwiesen. Sie haben damit vor allem dem Druck der baden-württembergischen Grünen und ihrem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann nachgegeben, die zwar die gesamte Debatte um einen Neustart bei der Endlagersuche im Juli 2011 dankenswerter Weise angestoßen haben, seitdem aber innerhalb und außerhalb ihrer Partei verbissen darum kämpfen, dass Gorleben im Verfahren bleibt.

Warum wohl? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Angesichts der Tragweite der Atommüll- bzw. Endlagerfrage – immerhin geht es um die Sicherheit der kommenden 30.000 Generationen – wird diese “kleine” Entscheidung vom vergangenen Wochenende auf einer Bundesdelegiertenkonferenz der Partei, deren Aufstieg untrennbar mit dem Kampf gegen Atomkraft verbunden ist, unter Umständen einen traurigen historischen Höhepunkt bei der Zementierung des maroden Salzstocks und innerhalb der Geschichte von 35 Jahren Manipulation zur Durchsetzung von Gorleben spielen. Jedenfalls, wenn es außer Parteien in diesem Land niemanden gäbe, der sagt: So nicht!

Einmal mehr hat sich gezeigt, wie Sachfragen in der parteipolitischen Interessensmühle bis zur Unkenntlichkeit zerquetscht werden. Umso wichtiger ist die Einmischung der Zivilgesellschaft! Heute wird dieses abstrakte Wort “Zivilgesellschaft” gerne ausgerechnet von denjenigen Parteipolitikern inflationär benutzt, die eine Einmischung von Bürgern in ihre parlamentarische Welt jenseits des alle vier Jahre ausgefüllten Stimmzettels eigentlich als Störung empfinden.

Die dauernd zitierte “Zivilgesellschaft” sind wir, die Bürger und Bürgerinnen dieses Landes. Wir sind die Betroffenen der Entscheidungen von Parteipolitikern und wir haben die Pflicht, wie in den vergangenen 35 Jahren Streit um Atommüllendlager den Finger in die Wunde zu legen und verantwortbare Entscheidungen zu verlangen.

Wir tun dies eben nicht nur alle vier Jahre beim Ausfüllen des Wahlzettels. Wir tun dies auch außerhalb der Parlamente, wenn es nötig ist, auch auf der Straße oder vor Gericht. Wir sind diejenigen, die Konzepte zur Endlagersuche vorgelegt haben, die einen wirklichen Neustart bei der Endlagersuche markieren würden, obwohl wir weder den Atommüll produziert noch die Fehlentscheidungen der vergangenen Jahrzehnte zu verantworten haben.

Gefragt sind jetzt all diejenigen Bürger, denen die Zukunft der nachfolgenden Generationen nicht egal ist. Gefragt sind jetzt die großen außerparlamentarischen Gruppen und Verbände, eindeutig “Nein” zu sagen zu einem Theaterstück mit dem Titel “Endlagersuche”, bei dem im letzten Akt nur wieder Gorleben herauskommen soll. Gefragt sind die Kirchen, weil die Atommüllfrage wegen der riesigen Zeitdimensionen eine zutiefst ethische Frage ist, gefragt sind Gewerkschaften und Umweltverbände, eindeutig Position für ein faires Suchverfahren zu beziehen.

Vor allen Dingen gefragt sind aber alle Bürgerinitiativen der Anti-AKW-Bewegung, auch an den Zwischenlagerstandorten, an denen der Atommüll jetzt oberirdisch lagert. Natürlich will keiner den Müll vor seiner Haustür haben, schon gar nicht in einer Betonhalle neben an. Aber eine schnelle und übrigens auch billige Lösung Gorleben kann nicht im Interesse von Atomkraftgegnern sein – egal wo sie wohnen. Sie kann nicht im Interesse von allen Bürgern sein, egal, ob sie jetzt Atomkraftgegner sind oder nicht. Denn die Auswirkungen von Fehlentscheidungen – siehe Asse -, werden unterschiedslos alle treffen.

Radioaktivität kennt keine Grenzen – und schon gar keine Parteizugehörigkeit. Schreiben Sie ihren zuständigen Abgeordneten, dass sie das Spiel durchschaut haben und nicht bereit sind, sich für eine Pro-Forma-Endlagersuche instrumentalisieren zu lassen! Briefe klingen nach einem stumpfen Schwert – sind sie aber nicht. Ihren (Grünen-)Abgeordneten werden die Stimmen aus seinem Wahlkreis sehr wohl interessieren! Gerne können Sie als Beispiel den Greenpeace-Vorschlag für ein verantwortbares Suchverfahren beilegen. Damit es aus Parteimund nicht wieder heißt, das Vorgehen in Berlin sei “alternativlos”.

Auch wenn der Greenpeace-Vorschlag sicherlich noch nicht in allen Punkten der Weisheit letzter Schluss sein sollte, eines zeigt dieses Konzept schon heute: Der Bürgerbeteiligung und dem sauberen Verfahren in klar definierten Schritten kommt die größte Bedeutung zu – damit man am Ende den relativ besten Standort für die radioaktive Hinterlassenschaft der Atomgemeinde findet und damit diese Entscheidung auch von den Bürgern akzeptiert wird.

Echte Beteiligung bedeutet, dass der Bürger Einfluss auf das Ergebnis des Verfahrens haben muss. Wie Bürger beteiligt werden sollen, mit einem eintägigen mediengerechten Alibi-Symposium oder mit Entscheidungsrechten in Gremien über den gesamten Verfahrenszeitraum ausgestattet, auch daran werden die kommenden Vorschläge von Altmaier, Trittin und Co. zur Endlagersuche gemessen werden müssen.

Und natürlich daran, ob am Ende nach dem Altmaier-Trittin-Plan überhaupt mehr als ein Standort erkundet werden soll: Denn bisher ist lediglich von “mindestens einem Standort”, “einem oder mehreren Standorten” oder gar “einem Standort, wenn Gorleben sich nicht als geeignet erweist”, die Rede. Wenn es nicht so ernst wäre, dann könnte man glatt schallend darüber lachen, so etwas als “ergebnisoffenes” und “faires” “Vergleichsverfahren” zu bezeichnen. Vielleicht werden am Ende ja gar zwei Standorte verglichen: Gorleben Nordost und Gorleben Südwest.