Zwischenruf

„Was mir am Entwurf des Standortfindungsgesetzes die größten Sorgen macht“  Nikolaus Piontek nimmt Stellung zur geplanten Bund-Länder-Kommission und fordert angesichts der Aufgaben der Kommission eine völlig andere Besetzung. „Die Fraktionen des Bundestags feiern ihren gemeinsamen Entwurf eines Gesetzes für die Findung des Standorts zur Entsorgung des hochradioaktiven Atommülls (nur Die LINKE ist nicht dabei) als historischen Durchbruch. Sie verkünden das Ende der Vorfestlegung auf Gorleben. Endlich soll ohne jedes Vorurteil allein dem Primat von Wissenschaftlichkeit und Sicherheit folgend in ganz Deutschland gesucht werden. Transparenz und Öffentlichkeitsbeteiligung von Anfang an werden zugesichert.

Skeptisch äußerten sich nach 37 Jahren Gorleben-Erfahrung die Begleiter der bisherigen Endlagerdiskussion. So wurde ihnen noch in letzter Minute eine Kommission neben der vorgesehenen staatlichen Regulierungsbehörde eingeräumt. Sie soll die „für das Auswahlverfahren relevanten Grundsatzfragen für die Entsorgung radioaktiver Abfälle“ untersuchen und bewerten und Handlungsempfehlungen erarbeiten. So soll also nachgeholt werden, was selbstverständlich vor die Herstellung des unermesslich lange gefährlichen Materials gehört hätte. Für die Politik hatte das Interesse an zentral gesteuertem und wirtschaftsfreundlichem Stromreichtum Vorrang vor der Entsorgungsproblematik. Kann die Kommission dafür sorgen, dass das Versprechen der Politik wenigstens jetzt noch eingehalten wird?

Mehrere Grundfragen der Entsorgung hochradioaktiver Abfälle wurden bislang nicht geklärt. Sie wurden mit dem Vorgehen in Gorleben durch Schaffen von Fakten übergangen und das Ergebnis gegen Kritik verteidigt. Zum Beispiel sind die Optionen sofortige Endlagerung in tiefem Gestein mit oder ohne Rückholbarkeit/Bergbarkeit und längere Zwischenlagerung mit Entwickeln neuer Techniken nicht gegeneinander abgewogen worden. Die Bedeutsamkeit der gewählten geologischen Formation für die Langzeitsicherheit wurde nie ernsthaft geprüft, stattdessen mit dem Konstrukt des „einschlusswirksamen Gebirgsbereichs“ relativiert. Anforderungen an Lagertechnik und Konditionierung der Abfälle sind nicht in dem Zusammenhang mit der geologischen Beschaffenheit möglicher Standorte geprüft worden.

Vor allem aber fehlt die Auseinandersetzung mit der ethischen Frage danach, wie viel Optimierung bei Suche und Herstellung des Endlagers verlangt werden muss und was die Suche nach dem „bestmöglichen Standort“ begrenzt. Naturschutz? Kosten? Bürgerprotest? Standortbesiedlung? Oder was sonst? Sich hiermit auseinander zu setzen haben die Endlagerplaner bislang gescheut. Sie behaupten, Endlager werden nicht gesucht sondern gebaut. Der Standort spiele keine Rolle also und Vergleiche seien ohnehin nicht möglich. Jeder einschlusswirksame Gebirgsbereich hinreichender Größe und Beschaffenheit komme in Frage.

Das ist eine naheliegende Strategie zur Verteidigung von Gorleben und zum Vermeiden der Kosten einer sorgfältigen Suche und Abwägung. Dieses Konzept verzichtet auf Optimierung unter Inkaufnahme radioaktiver Belastung bis zu den Grenzwerten und des nüchtern betrachtet kaum berechenbaren Risikos (1 Million Jahre Prognosezeitraum) der Überschreitung dieser Werte.
Die Kommission wird diese Frage beantworten müssen, wenn sie Sinn haben soll. Sie wird prüfen müssen, wie viel unsere Gesellschaft bei der Endlagerung zu Lasten der Zukünftigen sparen darf. Das kann sie nur, wenn sie für diese Aufgabe richtig besetzt ist.

Atompolitik und Entsorgungsstrategien haben lebhaftes Hin und Her hinter sich. Sie waren nie konsistent über die erforderlichen Planungszeiträume, sondern Spielball von Interessen und Politik. Das Parlament hat gerade wieder erschreckend bestätigt, dass es auch bei der Entsorgung über sein Alltagsgeschäft hinaus zu denken nicht in der Lage ist. Die grotesk gegensätzlichen Abschlussbewertungen der Parteien beim Untersuchungsausschuss zur Geschichte Gorlebens zeigen das wieder einmal deutlich. Viele dieser Akteure haben nur den jeweils von der Partei vorgegebenen Standpunkt im Sinn. Zu sehr sind Politiker auch Interessenvertreter, z.B. der Wirtschaft, die Gorleben verteidigt mit dem Konzept wir liefern die notwendige Qualität, mehr nicht.

Die Kommission wird deshalb ihre Aufgabe nicht erfüllen können, wenn sie zur Hälfte von Politikern besetzt bleibt. Ihnen fehlen nicht nur die Kenntnisse, um das komplexe Gebilde von technischen Daten, naturwissenschaftlichen Details einerseits und Interessen und Argumenten andererseits zu durchschauen. Das lässt sich erwerben, wenn man sich die Zeit dazu nimmt. Schwer vorstellbar ist aber, dass sie alle die notwendige Unabhängigkeit von der kurzfristigen politischen Wetterlage und regionalen sowie wirtschaftlichen Interessen aufbringen werden. Hinzu kommt: selbst wenn sich die Kommissions-Politiker um eine gute Arbeit bemühen, wird die Öffentlichkeit nach den bisherigen Erfahrungen ihnen das nicht zutrauen und jedes Ergebnis nur schwer akzeptieren.

Wir brauchen deshalb eine andere Besetzung der Kommission. Es müssen in der Mehrheit Menschen berufen werden, die so unabhängig, kenntnisreich und vertrauenswürdig sind, dass ihr Votum zu den Grundfragen der Entsorgung der hochradioaktiven Wärme entwickelnden Abfälle für die Gesellschaft akzeptabel wird. Wenn der Politik der Mut fehlt das zuzulassen, wird sie ihre so stolz mit dem Entwurf gegebene Ankündigung der Lösung der Endlagerproblematik vergessen müssen. Besetzt also die Kommission bitte nicht mit Politikern und Interessenvertretern, sondern mit kundigen, geachteten und unabhängigen Menschen, die den versprochenen neuen Weg bei Endlagersuche wirklich ebnen können.“

Nikolaus Piontek ist Anwalt in Hamburg und vertritt die Belange der Gorleben-Gegner in vielen verwaltungsrechtlichen Verfahren