Gemüsebauer Kanno aus Iitate

Herr Kanno, ein leiser, bescheidener und freundlicher Mann, war Gemüsebauer im Dorf Iitate. Er habe dort ein einfaches Leben als Bauer gelebt, sein wichtigster Lebensinhalt sei die tägliche Arbeit mit der Erde und den Pflanzen gewesen.

Mr. Hiroshi Kanno, Gemüsebauer aus Iitate

Mr. Hiroshi Kanno, Gemüsebauer aus Iitate

Im März 2011 änderte sich das Leben Herrn Kannos schlagartig, als den 13., 14. und 15. des Monats radioaktive Partikel auf sein Dorf nieder regneten. Offizielle Informationen über das Ausmaß der Katastrophe waren allerdings nicht zu bekommen, junge Leute aus dem Dorf brachten aber über Twitter und andere soziale Netzwerke Näheres in Erfahrung und begannen schockiert die Evakuierung auf eigene Faust. Am Abend des 15. März regnete die höchste Dosis mit 44,7 MicroSievert/h auf das Dorf nieder…

Darauf wurden andere Bewohner in das Haus von Herrn Kanno evakuiert. Prof. Noburo Tahada von der Universität XXX erschien vor Ort und erklärte Iitate für „sicher“. Auch andere Wissenschaftler instruierten 1.200 Personen, dass der Aufenthalt in der Region völlig ungefährlich sei. Allein in diesen wenigen Tagen wurden die Dorfbewohner einer viel höheren Dosis, als der höchstzulässigen Jahresdosis ausgesetzt. erst in den letzten Tagen des April, also nach eineinhalb Monaten in der stark kontaminierten Zone, wurde die öffentliche Evakuierung eingeleitet. Besonders schwer war diese für die Milchbauern. Ihre Milchkühe, zu denen sie ein inniges Verhältnis wie zu Familienmitgliedern hatten, wurden sämtlich getötet. Es fiel ihnen sehr schwer sich von den Tieren zu trennen.

An dieser Stelle musste der Gemüsebauer Kanno inne halten, und wir alle verharrten in schweigenden Andenken an die Tiere, an das einfache, aber nachhaltige Leben, welches die Menschen von Iitate zurück lassen mussten.

So sehr aus Herrn Kanno’s Erzählung die Überforderung und Hilflosigkeit der Behörden deutlich wurde, stellte er fest, dass es auch jetzt, drei Jahre nach der Katastrophe, in Japan immer noch keine Katastrophenschutzpläne gebe. Statt dessen verkündete der japanische Premierminister in Anbetracht der bevorstehenden Olympischen Spiele im Land, Japan sei sicher, Niemand müsse sich Sorgen machen. „Um uns paar Leute kümmert sich das Land nicht. Wir sind nicht wichtig…“, so das Resümee von Herrn Kanno. Junge Leute hätten die Energie zum Neuanfang, alte Leute nicht mehr. Deshalb wünschten sich viele Alte die Rückkehr in das Dorf, auch wenn dieses unverändert verstrahlt sei. Vermutlich allerdings könnten sie niemals wieder in diesem wundervollen Ort mit seiner wunderschönen Natur leben können. Keiner könne vorhersehen, wie lange es dauern werde… „Ich möchte Ihnen mitteilen, wie sehr die Einwohner von Iitate leiden“, erklärte Herr Kanno seine Bereitschaft, uns gegenüber die Ereignisse des März 2011 zu bezeugen.

Auf die Frage, ob er eine Botschaft an die Menschen der Länder seiner Gäste habe, antwortete der japanische Bauer mit großer Einfachheit und Weisheit: „was wir aus dieser Katastrophe verstanden haben, ist, dass Menschen diese Atomanlagen zwar starten können, aber nicht dazu in der Lage sind, sie wieder zu stoppen….Ich weiss genau, AKW’s dürfen nirgendwo in der Welt gebaut werden!“ Atomkraft als Energielieferant hinterlasse radioaktiven Abfall, den man eben nicht wie die Asche eines Feuers wegkehren könne. Die Menschen benähmen sich die meiste Zeit auf der Erde sehr dominant und hätten eine Art Hybris. Wir lebten zunehmend atomisiert und nicht mehr in funktionierenden Gemeinschaften, diese Individualisierung sei Ursache dafür! dass Menschen ihre ethischen Grundsätze verlören.

Herr Kanno ließ offen, ob er selber jemals nach Iitate zurückkehren werde, in 10 Jahren sei er 74. Der Satz „vielleicht in 20 oder 30 Jahren“ zeigte, wie sehr dieser Bauer in Generationen denkt. Das schlimmste sei für ihn die Zerstörung seines „Homelands“ gewesen. Wer den alten ruhigen Gemüsegärtner beim Aussprechen dieses Wortes gesehen hat! weis, dass man dieses nicht mit „Heimatland“ übersetzen kann. Treffender ist sicher der Ausdruck „Muttererde“ oder „Land, das uns getragen und ernährt hat“…

Auf meine Frage ob er nicht unermessliche Wut auf die Verantwortlichen habe und deren Zynismus und Ignoranz ihn nicht unendlich zornig machten, antwortete er, dass sie es in dieser Gegend gewohnt seien, sich zu beherrschen, und dass man mehr erreiche, wenn man seine Gefühle zurück halte. Wenn sich allerdings die Kompensationen der Verluste durch TEPCO nicht verbessere, könne selbst hier in Japan der Punkt kommen, an dem der Ärger ausbreche…