Pressemitteilung der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.

Rückbau des Jülicher Versuchsreaktors:

Ein Großexperiment beginnt – Der Ausgang ist offen
Am 11.11.2014 haben in Jülich die Arbeiten zur Verlagerung eines radioaktiv belasteten Reaktorbehälters begonnen. Es verweist auf die Schlamperei beim Betrieb der Anlage. Die Maßnahme ist notwendig und ein Teil des Atommülldilemmas, aber es geht nicht ohne Risiken.
Der WDR berichtet am gleichen Tag:
„Dabei soll ein radioaktiver Reaktorbehälter, das „Herzstück“ des Reaktors, herausgehoben und anschließend 30 bis 35 Meter weiter abgestellt werden. Das geschieht alles innerhalb der Materialschleuse, einer geschlossenen Halle aus Stahl, die schon vor zehn Jahren errichtet wurde, als mit dem Abbau anderer Großkomponenten begonnen wurde.
Die Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor (AVR), die den Rückbau betreibt, betont, dass sie alle Sicherheitsvorkehrungen getroffen hat, die einen Unfall beim Herausheben verhindern sollen. So wird der Behälter, der 26 Meter hoch und 2.100 Tonnen schwer ist, an vier sogenannten Litzenhebern angehängt, die insgesamt 4.000 Tonnen halten können. Und selbst wenn eines dieser Seile reißen und der Behälter ins Kippen geraten sollte, könnte er nach den Worten des Pressesprechers Wilfried Hubrich nur nach vorne und damit in die Materialschleuse fallen, weil an den Seiten Führungsschienen angebracht sind.
Leichtbeton: Vom Sicherheitsfaktor…
Dann könnte, wie Hubrich zugibt, der Behälter aufplatzen, sodass der radioaktive Inhalt austreten könnte. Dabei handelt es sich um Leichtbeton, der eingefüllt wurde, um die Radioaktivität im Inneren zu binden und dem Behälter mehr Stabilität zu verleihen. Die Strahlung sei aber gering und könnte auch nicht nach außen gelangen, weil die Materialschleuse mit Filtern versehen sei, die die Radioaktivität aus der Luft saugen.
… zum Risikofaktor
„Das reine Verfahren wird nicht dazu führen, dass die Umgebung in großem Umfang belastet wird“, sagt Rainer Moormann gegenüber dem WDR. Moormann hat im Forschungszentrum gearbeitet und gilt als ausgewiesener Experte der Anlage. Er hat in der Vergangenheit immer wieder intern und in der Öffentlichkeit auf Schwachstellen hingewiesen und den Störfall im Versuchsreaktor publik gemacht. Anders als AVR-Sprecher Hubrich glaubt er, dass ein Umfallen des Behälters oder ein Brand in der Materialschleuse zu einem Zustand führen würde, „der nicht mehr leicht zu beseitigen ist“.
Radioaktives Gas aus dem Inneren des Behälters
Das eigentliche Problem sieht er aber in der Betonfüllung – egal, ob die aus dem Behälter fällt oder nicht. Denn der Beton reagiere mit dem Graphit im Inneren zu radioaktivem Methangas – „was eine sehr ungünstige Mischung ist, die man vermeiden muss“. Die Gase würden ständig austreten und würden das auch im Zwischenlager tun, wohin der Behälter im Frühjahr 2015 gebracht werden soll. Dieses Zwischenlager liegt außerhalb der Materialschleuse und in 200 Meter Entfernung. Moormanns Schlussfolgerung: „Man muss den Behälter die ganze Zeit kontrollieren. Man muss da sehr sorgfältig arbeiten, denn wenn was verloren geht – das Lager ist ja nicht dicht – dann hätte man das in der Umgebung.“ Machbar, aber aufwändig, so der Experte. Moormann: „Aus heutiger Sicht würde man sagen, die Betonverfüllung war nicht richtig.“ Er geht davon aus, dass auch der AVR das Problem kannte: „Ich vermute, das ist einfach übersehen worden.“
Der AVR-Forschungsreaktor Jülich, der 1988 abgeschaltet wurde, ist der erste Kugelhaufen-Hochtemperaturreaktor, der zurückgebaut wird. Nach der Stilllegung 1988 war der sichere Einschluss geplant. Die Maßnahmen dafür hatten bis 2003 knapp 200 Millionen Euro gekostet. Nachdem aber 1999 eine radioaktive Belastung in Boden und Grundwasser festgestellt wurde, vereinbarten Bund und Land den vollständigen Rückbau. Der vollständige Rückbau soll bis Ende 2022 abgeschlossen sein. Die kalkulierten Kosten dafür sind mit 360 Millionen Euro veranschlagt.“ (gekürzt, der Bericht in voller Länge siehe:
http://www1.wdr.de/themen/panorama/juelich-versuchsreaktor100.html

BBU-Pressemitteilung

Kritik an intransparenter Verlagerung des AVR-Reaktordruckbehälters in Jülich

(Bonn, Jülich, 11.11.2014) Heute Mittag wurde bekannt, dass die hochgefährliche Verlagerung des AVR-Reaktordruckbehälters in Jülich heute (11. Nov.) begonnen hat und bis Donnerstag (13. Nov.) andauern soll. Anti-Atomkraft-Initiativen und Umweltverbände haben immer wieder vor dieser Aktion gewarnt. Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) übt scharfe Kritik an der intransparenten Planung und Durchführung der Verlagerung.

Mehrere nordrhein-westfälische Anti-Atomkraft-Initiativen schrieben Anfang Oktober in einer Pressemitteilung: „Der mit 2100 Tonnen extrem schwere und hochgradig u.a. mit Strontium-90, Cäsium-137 und Kohlenstoff-14 radioaktiv belastete AVR-Atomreaktorbehälter neben dem Forschungszentrum Jülich soll ab November 2014 in einem riskanten und weltweit einzigartigen Verladeverfahren gekippt und 300 m weiter in eine unsichere Billig-Lagerhalle transportiert werden und dort 60 Jahre oder länger bleiben. Nach einem jahrelang vertuschten schweren Störfall im Jahr 1978 ist nämlich nicht nur der Reaktordruckbehälter (RDB) bis heute stark verstrahlt, sondern auch der Boden darunter. Der RDB kann wegen der Verstrahlung nicht zerlegt werden. Das enorme Gewicht des RDB und sein extrem hohes strahlendes Inventar stellen ein großes Sicherheitsrisiko bei dem geplanten Manöver dar. Andere Möglichkeiten, die radioaktive Bodenbelastung z. B. durch chemische Reinigung des Bodens zu beseitigen, sind vom Betreiber nie ausreichend geprüft worden. Bis heute ist die Bevölkerung über die konkreten Zeitpläne, Kosten und Maßnahmen der Verladung und Sanierung nicht hinreichend informiert.“

Quelle und vollständiger Text: http://www.westcastor.de/pmavrk.pdf

Die Anti-Atomkraft-Initiativen und auch der BBU kritisieren, dass eine umfassende Prüfung von Alternativen zur riskanten Verlagerung des stark verstrahlten Druckbehälters nicht erfolgten. An dieser Alternativen-Prüfung hätte die Bevölkerung seitens der Landesregierung von NRW und von der Bundesregierung umfassend beteiligt werden müssen. Der BBU kritisiert, dass nach wie vor Transparenz im Atombereich offenbar nicht erwünscht ist. Die kritische Öffentlichkeit ist aufgerufen genau hinzusehen, was derzeit in Jülich passiert.

Der BBU betont, dass derzeit in Jülich erneut deutlich wird, dass die Nutzung der Atomenergie von A – Z mit Problemen und Gefahren verbunden ist. „Wir benötigen den sofortigen Atomausstieg, damit nicht ständig noch mehr Atommüll produziert wird. Das bedeutet die unverzügliche Aufhebung der Betriebsgenehmigungen der noch immer laufenden Atomkraftwerke und der unbefristet laufenden Uranfabriken in Gronau und Lingen“, so Udo Buchholz vom Vorstand des BBU.

Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) e. V.

www.bbu-online.de

BBU-Bonn@t-online.de

www.facebook.com/BBU72

Der WDR-Bericht hat eine umfassende Debatte ausgelöst, wir dokumentieren drei Zuschriften:

G.P. schrieb am 11.11.2014, 19.42 Uhr:
Die dramatische Fotomontage mit einer Grenzüberschreitenden Radioaktiven Verseuchung der Region durch den Rückbau des Versuchsreaktors in Jülich ist eine unverantwortliche Panikmache! Was denkt sich eine Redaktion bei so etwas! Will man informieren oder nur Panik verbreiten. Der WDR „Panikexperte“ warnt mit diffusen Bildchen vor der Gefahr, ohne aber konkrete Zahlen zu nennen. Welche Spaltprodukte in welchen Konzentrationen vermutet er im Reaktor? Welches Freisetzungspotential ( in Bq) stellt das dar. Welche Äquivalentdosis (Sv) könnte schlimmstenfalls durch die Bevölkerung aufgenommen werden. Nichts von alledem, statt dessen Fotomontagen unterlegt mit dramatischer Musik. Das ist primitive Angstpropaganda, aber nichts neuen beim WDR, bei dem Thema hat man eben nichts Besseres zu bieten. Da ist jeder € GEZ Zwangsgebühr ein e zuviel….

Jülicher schrieb am 11.11.2014, 21.45 Uhr:
@G.P. Zur angeblichen Panikmache: Der Reaktor enthält immer noch ca. 80 TBq (also 1000 Milliarden !) Bq der gefährlichsten Nuklide Cs-137 und Sr-90 in einer Suspension mit einem nicht besonders stabilen Porenleichtbeton, sowie 300 TBq C-14. Zumindest bezogen auf das giftigste Nuklid Strontium sowie auf C-14 ist das einsamer Weltrekord und das Ergebnis massloser Stümperei der sich selbst überschätzenden Jülicher Atompropheten. Katastrophenschutzmassnahmen (Verzehrverbote, Verbleiben im Haus, Evakuierung, Umsiedlung) wären im Nahbereich schon erforderlich, wenn etwa 1 % des Inventars in die Umgebung gelangten. Wenn man dann noch dazurechnet, dass der Reaktorbehälter durch die Strahlung stark versprödet ist und daher leicht zerbricht, ist das absolut keine schöne Sache. Es besteht jedenfalls kein Anlass, den Beschwichtigungen der AVR-Leute auf dem Leim zu gehen, die sind durch den AVR-Expertenbericht vom April d.J. als unglaubwürdig überführt.

Rainier schrieb am 11.11.2014, 16.33 Uhr:
360 Mio € sind nur die Kosten, die seit 2003 angefallen sind, seit EWN den AVR betreut und Eigentümer ist. Vom Betriebsende 1988 bis 2003 sind aber bereits zusätzliche Rückbaukosten von 200 Mio € angefallen, die auch die öffentliche Hand finanziert hat, allerdings durch Zahlungen an die damaligen Eigentümer (diverse Stadtwerke). Das wird von der Nuklearlobby gern verschwiegen.

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