Pressemitteilung der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.

Schlafen verboten

Die Protestwellle zum G20-Gipfel startet mit einem Putsch der Polizei

Eigentlich hatte alles heute morgen so gut angefangen. Während Hunderte von Wasserfahrzeugen bunt die Alster enterten, versammelten sich Tausende trotz anhaltendem Dauerregen zur Protestwelle bei politischen Reden und guter Musik auf dem Hamburger Rathausmarkt. Die Polizei sprach von nur „8000 Teilnehmern“, wobei sie wie gewohnt übersah, dass viele Hanseaten das Schietwetter erst noch abwarteten und viele Angereiste in ihren Fahrzeugen den Schauern trotzten. Über Achtzehntausend waren es dann tatsächlich, die Binnenalster und Innenstadt umrundeten und am Jungfernstieg eine Armada aus phantasievollen Booten begrüßten.

entenwerder stieg


Die Auftaktreden reichten von den Naturfreunden, „Mehr Demokratie“, Greenpeace, dem DGB und Campact auch zu einer Aktivistin aus Brooklin von „Resist Trump!“, zum Abschluss fanden sich neben NABU, BUND, Solidarischer Landwirtschaft und OXFAM auch eine Klimaaktivistin von den Marshall-Inseln, ein Gewerkschafter aus Ghana und ein Journalist aus der Türkei ein. Begleitet wurden die inhaltsschweren und aktuellen Beiträge, in denen auch die Kanzlerin und die Bundesregierung nicht so gut wegkamen, wie sie uns gerne glauben machen würden, vom tanzbaren Berlin Boom Orchester, dem wachen Liedermacher Stoppok und der Band Großstadtgeflüster.  Das Bild von der „Klimakanzlerin“ wackelte angesichts auch bei uns weit verfehlter Klimaziele doch erheblich und im jüngsten geheim verhandelten Freihandelsabkommen mit Japan waren es auch nicht nur die Arbeitnehmerrechte, die in der Eile vom Verhandlungstisch gerutscht waren…
Wendländer Delegationen waren sowohl beim Protestmarsch, als auch auf der Binnenalster in Hamburg dabei- wie sollte es auch anders sein!

Während allerdings einige der heutigen Organisatoren  prinzipiell derartige internationale Treffen befürworten, halte ich es eher mit dem Soziologen und Ex-UN-Diplomaten Jean Ziegler, der die G20 für eine total illegitime und illegale Zusammenkunft erklärt und deren Abschaffung fordert. Entstanden aus einem Treffen der Finanzminister fassen die mächtigsten Staatschefs, die 85 Prozent des Weltbruttosozialprodukts kontrollieren, Beschlüsse, über deren Ausführung keinerlei Kontrolle besteht und deren legitimer Ort eigentlich die Vereinten Nationen wären, deren Demokratie durch die G20 untergraben wird. Und obwohl alle fünf Sekunden weltweit ein Kind verhungert, lehnt Wolfgang Schäuble als Finanzminister der drittgrößten Finanzmacht der Welt die Entschuldung für die 50 ärmsten Länder dieser Welt kategorisch ab.

Während Innenminister de Mazière (CDU) mit einer Rhetorik von „deutlich über 8000 Extremisten aus dem In- und Ausland“ ankündigte „die Gewalt im Keim zu ersticken“ und der Justizminister Maas (SPD) Demonstranten mit „aller Härte des Gesetzes“ droht, sprechen Medien und „die Sicherheitsbehörden“ gleich von „Zehntausend Gewaltbereiten“ und geben den braven Hamburger Bürgern Empfehlungen, zu welchen der über 30 angemeldeten Demonstrationen sie „familienfreundlich“ gehen dürfen und zu welchen eben nicht. Die heutige Demonstration in der Hamburger City, da sind sich Presse, Politik und Polizei einig, zählte zu den „guten“ Demonstrationen, dabei wurde auch auf dieser Veranstaltung am Ende deutlich, wie der Hamburger Senat wohl gedenkt, legitimen Protest am Orte des Geschehens während des Gipfels der Waffenhändler, Kriegstreiber und Klimaschänder zu unterbinden.
Derweil der Saudische König, reich geworden am unbegrenzten Handel mit fossilen Brennstoffen,  die Veranstaltungshallen des Hotels Vier Jahreszeiten in private Thronsäle umwandeln lässt und die Delegationsvertreter der 20 schamlosen Profiteure des globalisierten Welthandels alle Hotels der Hansestadt nach ihrem Gusto aufgekauft haben, soll den Protestlern Versorgung und Übernachtung verwehrt werden.  Überfordert von der gesamten durch die schwachsinnige Hamburger Olympia-Bewerbung ererbten Situation stimmt leider auch der rot-grüne Hamburger Senat in den antidemokratischen Chor mit ein: Die Demonstranten könnten sich ja (kurzfristig noch?) in Hamburger Hotels und Jugendherbergen einmieten… Camps und Volksküchen errichten dürfen sie nicht.
Recht auf Versammlungsfreiheit also nur bei entsprechendem Geldbeutel? Kein Protestmarsch unserer Geschichte, von Mahatma Ghandi über Martin Luther King bis zum jüngsten Womans march, hätte auf diese Weise funktionieren können. Eine perfide Verhinderungstaktik also. Aber irgendwie folgt das einer Hanseatischen Logik: während die Hamburger Pfeffersäcke an der Beherbergung der Upper Twenty (und der dazu geladenen Claqueure und Jubel-Perser) noch den Reibach machen, werden die Armen aus der Stadt getrieben (wie am Weihnachtsabend 1813, als man diese Schandtat noch den Franzosen in die Schuhe schob…).

Nach den Erfahrungen des G8-Gipfels vor zehn Jahren in Heiligendamm drängt sich mit den martialischen Ankündigungen von Innen- und Justizministerium, sowie Sicherheitsbehörden, der Eindruck auf, dass schon im Vorfeld von vielfältigen G20-Protesten Exzesse der Polizei (und hier sind keine, wie in Bad Segeberg gemeint…) legitimiert werden sollen. Von Trump lernen, scheint die Devise zu sein. Alternative Fakten lassen grüßen.
Da verwundert es nicht, dass auch die obligatorische „Gefahrenprognose“ der Hamburger Polizei auf „Fake-news“ basiert. Von 455 verletzten Beamten auf dem Gipfel von Heiligendamm war da in den polizeilichen Anträgen die Rede, dabei ergab ein Untersuchungsausschuss des Schweriner Landtags seinerzeit eindeutig, dass höchstens ein Zehntel dieser Zahl sich damals krank gemeldet hatte- die überwältigende Mehrheit davon wegen mangelnder Trinkwasserversorgung und exorbitant übeschrittener Dienstzeiten…
So kippte auch das Hamburger Verwaltungsgericht noch in der Nacht ein generelles Camp-Verbot und erlaubte eine rudimentäre Infrastruktur (inklusive Schlafzelten!) auf der weit abgelegenen und leicht abriegelbaren Elbinsel Entenwerder. An dieser Stelle bemächtigte sich der Hamburger Leitende Polizeidirektor Hartmut Dudde aber selber und hob im Vorgriff auf den Widerspruch der Sicherheitsbehörden mal eben die Gewaltenteilung auf. Bekommt man in unserem demokratischen Rechtsstaat von einem derartigen Vorgang in einem anderen Land der Welt Kenntnis, nannt man das für gewöhnlich einen Putsch… Von Erdogan lernen, scheint hier die Devise zu sein.
An der Zufahrt zu Entenwerder schuf die Hamburger Polizei eigenmächtig Fakten.

Diejenigen Aktivisten, die gemeinnützig und selbstlos aus Wendland und Altmark zum Aufbau des „Wendmark-Camps“ in Hamburg angereist sind, hatten heute schon eine polizeiwillkürliche Odysee hinter sich, die sich nur mit dem Grundrechts-Marathon eines Castortransportes vergleichen lässt: bereits gestern in Harburg in der Nähe der Käfige der Gefangenensammelstelle in Harburg unsanft gestoppt wurde ihnen das Betreten der Freien und Hansestadt untersagt. Es sei nicht gewünscht und (polizeilich) erlaubt, dass die (legitimen!) G20-Demonstranten eine Infrastruktur, wie Lautsprecherwagen, Volksküchenversorgung und Campstrukturen (also die normalen Strukturen demokratischer Versammlungsfreiheit) aufbauen.  Nach langen Verhandlungen sah es so aus, dass zumindest Teile der für eine ordnungsgemäße Großdemonstration erforderlichen Fahrzeuge und Ausrüstung zu einem Hamburger Platz weiterfahren dürften, um dort eine (spontan angemeldete) Kundgebung durchzuführen; aber die Polizei bestand darauf, dort erstens nur eine halbstündige Demonstration zuzulassen und zweitens, dass alle Fahrzeuge auf verstreuten (unbeaufsichtigten) Parkplätzen in der dortigen Umgebung abzustellen seien. Die Forderung der Aktivisten, die Fahrzeuge angesichts des teuren und technisch aufwändigen Inhalts auf einem ihnen zur Verfügung stehenden bewachten Privatgelände in der Max-Brauer-Allee abzustellen, ein für Wirtschaftsunternehmen wie Messebauer völlig normaler Vorgang, wurde von der Polizei begründungslos abgelehnt.  Die Nähe zur Hamburger „Roten Flora“, so wird zumindest angenommen, hatte da den „gefahrenprognostischen“ Ausschlag gegeben… Als Alternative bot die Polizei unbestimmte Flächen in Hamburg-Bergedorf an: mit 25 Kilometern weit entfernt vom Ort des Geschehens, also faktisch unerrreichbar für relevante Demonstrationen… Von Putin lernen, scheint hier die Devise zu sein.
Während der Winterolympiade in Sotschi hatte der russische Oligarch (vorübergehend) dem internationalen Druck für fundamentale Bürgerrechte nachgegeben und „legale“ Versammlungszonen weitab des Geschehens eingerichtet, in denen eine vorher anzugebende begrenzte Anzahl von Unzufriedenen sich, natürlich öffentlich irrelevant, eine eng begrenzte Zeit versammeln durfte. Ein zutiefst antidemokratischer Vorgang, der von unseren Politikern damals einhellig verurteilt wurde.

Und nun die Vorgänge an den Hamburger Elbbrücken: trotz gerichtlicher Verfügung unterbindet der Hamburger Einsatzleiter der Polizei seit Mittag faktisch und eigenmächtig ein Camp und eine (angemeldete, gerichtlich genehmigte!) Versammlung auf Entenwerder. Die Betroffenen taten übrigens das einzig Vernünftige in dieser unbegreiflichen Situation: sie errichteten ihre Zelte einfach an Ort und Stelle, also direkt auf der Straße… Umstellt von martialisch bestückten Hundertschaften der Polizei harrten sie heute abend der Dinge, die da kommen.
Zeitgleich demonstrierten Camp-Aktivisten am Ende der Demo „G20-Protestwelle“ auf dem Hamburger Rathausmarkt und errichteten dort kurzerhand ihre Schlafzelte. Den Hamburger Innensenator Andy Grote (SPD) forderte die Aktivisten und die Veranstalter der „Protestwelle“ auf, auf den Rathausmarkt zu kommen und für Hamburg zu entscheiden: Rechtsstaat oder Polizeistaat? Brutal und mit der altbekannten „einfachen körperlichen Gewalt“ wurde diese zutiefst gewaltlose Aktionsform gnadenlos von der Polizei geräumt. „Schlafen verboten“ heißt die neue polizeiliche Devise und erinnert doch so hautnah an die weltweite Realität: während die Handvoll Profiteure schlemmen, schlummern und konferieren, müssen 65 Millionen Geflüchtete jederzeit fürchten, dass die willigen Gewalten ihnen Zelt oder Schlauchboot unter dem Hintern wegreißen…

Unter dem öffentlichen Druck und angesichts der unzweideutigen Rechtslage billigten die Hamburger Einsatzkräfte heute abend doch zähneknirschend die Dauerkundgebung auf Entenwerder, aber erweiterten den freiheitlich-demokratischen Rechtsrahmen um eine persönliche Note des Einsatzleiters Dudde: Übernachten bleibt verboten! Konsequenter Weise riefen Hamburger Aktivisten nun zu einer Dauervollversammlung „Gegen die Kriminalsisierung des Schlafes- Protestcamps in Hamburg möglich machen!“ auf Entenwerder auf.

Bereits gestern wurde mit dem Aufbau eines zweiten Camps in Lurup im Altonaer Volkspark nach wochenlangem juristischen Tauziehen begonnen.  Auch hier wurde die Auflage erteilt: keine Schlafzelte!
Die Organisatoren weisen aber alle Interessierten darauf hin, dass der Besitz und das Herumtragen von Schlafsäcken und Isomatten (noch) völlig legal sei und auch reine Versammlungs- und Veranstaltungszelte Schutz vor dem Regen böten. Die jüngste Entwicklung zeigt allerdings, dass Anreisenden Versammlungsteilnehmer_innen entgegen der Auflagen von der Polizei Schlafutensilien abgenommen und beschlagnahmt wurden.
Das spektrenübergreifende Protestcamp im Altonaer Volkspark hat nach den Vorkommnissen heute die Fraktion  Bündnis 90/Die Grünen der Hamburger Bürgerschaft dazu eingeladen, im Protestcamp eine Fraktionssitzung abzuhalten und sich für den legitimen Protest einzusetzen (http://g20-camp.de/offener-brief-an-die-buergerschaftsfraktion-buendnis-90die-gruenen/).

Anwälte und freiheitliche Politiker sprechen bereits von einer staatlichen Politik der Nadelstiche, mit welcher legaler und legitimer Protest gegen die skrupellose Politik der „Gruppe der Zwanzig wichtigsten (= reichsten und gierigsten) Länder für die Kooperation des Internationalen Finanzsystems“ (G20) diskreditiert, delegitimiert und kriminalisiert werden soll. Die Bereitschaft zum Protest soll durch drastische Gewaltankündigungen unterdrückt, die Anreise von Protestlern durch willkürliche polizeiliche Kontrollen, angebliche Sicherheitsüberprüfungen und skandalöse Auflagen schikaniert und die eigentlichen Demonstrationen durch skurrile Schlafverbote und willkürliche Verfügungen kriminalisiert und faktisch unterbunden werden. Eine „Gefangenensammelstelle“ für Hunderte Personen, eine euphemische Umschreibung für Menschenkäfige aus Stacheldraht, hat der Hamburger rot-grüne Senat schon auf industriellem Brachland in Harburg-„Neuland“ angelegt… Orwell lässt grüßen.

Was können Sie tun gegen diese staatlich verordnete Verrohung der Welt?
Lassen Sie sich um Himmels und der Erde willen nicht abschrecken!
Versammeln Sie sich, spontan, angemeldet und unangemeldet! Machen Sie von Ihren freiheitlich-demokratischen Rechten Gebrauch!
Demokratie bekam noch nie von den Mächtigen geschenkt. Demokratie muss das Volk sich nehmen und zwar durch die ständige, fortgesetzte und kollektive Ausübung von Grundrechten.

Und schlafen Sie, wenn Ihnen danach ist!
In der Bahn, im Konzert, Mittags im Park und auf Versammlungen!
Die revolutionärste Tat, die Sie im Hamburg des 21. Jahrhunderts begehen können, ist ein gesundes Nickerchen!

„Wenn ich nicht schlafen kann, dann ist es nicht meine Revolution“!
Wir sehen uns. In Hamburg. Nächste Woche.
Noch ist es Traum, bald ist es Wirklichkeit.
Eine bessere Welt ist möglich.
Aber nur ohne die G20.

Martin Donat

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