Rückblick 2014

Das Jahr, in dem (wieder einmal…) kein Castor fuhr.

Seit dem Beginn der Einlagerungen von hochradioaktivem Atommüll im Zwischenlager Gorleben vor 20 Jahren haben wir Menschen im Wendland viel entfesselte Staatsgewalt zur Durchsetzung dieser privatwirtschaftlichen Transporte auf unseren sonst so verschlafenen Kreisstraßen erleben müssen. Die Begründung für massive Grundrechtsverletzungen im öffentlichen Raum war stets: hier müssen zwingend Staatsverträge eingehalten werden. Vor diesem Hintergrund muss die sonderbare Ruhe verwundern, die nach dem letzten fünfeinhalb-tägigen Castortransport vom November 2011 eingekehrt ist. Für den Rücktransport der letzten fünf Atommüllbehälter aus dem französischen La Hague und den 21 Behältern aus der „Wiederaufarbeitung“ (= Waffen-Plutonium-Produktion) im englischen Sellafield besteht offenbar mit einem Mal keine Eile mehr. Der schöne Schein trügt. Nicht allein, dass jedes Jahr 24 weitere Castorbehälter voll Atommüll, ein jeder mit dem 200fachen Inventar der Asse, in deutschen Atomkraftwerken produziert werden, auch für die Altlast der 26 Castoren ist eine Einigung zur „Zwischenlagerung“ nicht in Sicht. Dass diese nicht mehr in das Zwischenlager Gorleben gebracht werden dürfen, hatte die rot-grüne Landesregierung in Niedersachsen als Preis für ihre Zustimmung zum Standortauswahlgesetz ausgehandelt. Verankert ist dies zwar im Atomgesetz, aber dass das auch so bleibt, ist ungefähr so sicher, wie der Betrieb von Atomkraftwerken.

Ostern

Bis „Ostern“ wollte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks eine Lösung für die ausstehenden 26 Castoren präsentieren. Was einst als Scherz begann, sie habe schließlich nicht dazu gesagt, welches Ostern sie denn meine, wurde nun bereits zur bitteren Realität. Bund und Länder, eben noch so einig darin, ohne Vorfestlegungen auf einer blütenweißen Landkarte „ergebnisoffen“ in allen Ländern nach einem Endlager suchen zu wollen, konnten sich noch nicht einmal auf den Verbleib dieser Transporte verständigen. Und noch während der laufenden Debatte schaffte die Bestätigung des Urteils zum Zwischenlager Brunsbüttel nach elfjährigen Klagen von Anwohnern neue Fakten: erstmals verliert ein Zwischenlager seine Betriebsgenehmigung. Wer nun allerdings glaubt, dass die Atomkraftwerke abgeschaltet werden müssen, weil der erforderliche „Entsorgungsnachweis“ jetzt weggefallen ist, hat die Logik bundesdeutschen Behördenhandelns noch nicht verstanden. Es müssen lediglich die geforderten Nachweise und Unterlagen nachgeliefert werden, solange gilt eine vorläufige Notgenehmigung bis 2018. Was einen beim heimischen Carport-Bau erfreut, findet auch beim gefährlichsten aller Abfälle mit dem Potential zum zigfachen „Overkill“ Anwendung.

Fehler sind wie Korken…

… sie kommen immer wieder an die Oberfläche. Hat man verstanden, dass die gesamte Atomtechnologie ein einziger Fehler ist, muss einen diese so wahre Volksweisheit in Bezug auf ein tiefengeologisches Endlager zutiefst beunruhigen. Aber auch die Fehler im bisherigen Verfahren fallen den Machern nun mit Macht vor die Füße. Die „Endlagerkommission“ des Bundestages, als Feigenblatt für ein Standortdurchsetzungsgesetz der Parteien nachgeschoben, wird von allen Seiten von der Atommüllrealität, wie Uranproduktion auch nach 2022, Atommüll-Export ins Ausland, durchrostenden Fässern und steigenden Müllmengen, eingeholt. Im Frühjahr hatte die BI die Beteiligung an der Alibi-Kommission nach reiflicher Überlegung abgelehnt und sich an der Seite der überwältigenden Mehrheit der Umweltverbände und Initiativen in einer gemeinsamen Tagung dafür ausgesprochen, die angebotenen zwei Plätze überhaupt unbesetzt zu lassen. Es fanden sich unter der Bearbeitung der Parteienvertreter dennoch zwei Personen, die bereit waren, der zahnlosen Kommission den Nimbus der konstruktiven Begleitung durch die Umweltbewegung zu verleihen. Die BI erteilte aber im Herbst auch der Anfrage zu einer zehnminütigen Anhörung zum Gesetz im Schulterschluss mit ausgestrahlt! und Greenpeace eine klare Absage. Als Kofferträger eines „Gorleben-Findungs-Gesetzes“ stehen wir nicht zur Verfügung.

Fett schwimmt oben

Während wir drei Umweltinitiativen damit eine ein-eindeutige Haltung zur Kommission und zum Gesetz eingenommen haben, verlegt die Atomindustrie sich altgewohnt darauf, mitzunehmen, was es mitzunehmen gibt. Derweil die Öffentlichkeit noch eine kontroverse Debatte zur „Bad-Bank“ und zum öffentlich-rechtlichen Entsorgungsfond erwartet, hat Eon schon einmal vorsorglich den nun unrentablen Atombereich abgespalten und ausgelagert. Und während sich zwei Atomvertreter in der Kommission mit Engelszungen und im Schafspelz bemühen, den Diskussionsprozess zu ihren Gunsten zu beeinflussen, bombardieren ihre Konzerne im Hintergrund die Vertragsgrundlagen der Kommission mit 23 kostspieligen Klagen. Der Kommission selber war diese wesentliche Änderung gerade einmal 20 Minuten Wortbeitrag wert.

Sand im Getriebe

sind und bleiben wir natürlich, auf gar keinen Fall stecken wir zumindest den Kopf in selbigen. Für uns ist es nicht wichtig, ob das Glas in puncto Gorleben nun halb voll oder halb leer ist, denn mit halben Gläsern geben wir uns ohnehin nicht mehr zufrieden. Ein geologisch ungeeignetes „Endlager“ wird auch nicht dadurch geeignet, dass man die Öffentlichkeit beteiligt. Das einzige Beteiligungsrecht, was uns noch interessiert, ist das Recht, „nein“ zusagen. Ob formal oder informell, könnte am Ende gar nicht mehr so maßgeblich sein. Mit den anderen Standortinitiativen haben wir uns darauf verlegt, nicht mehr wie das Kaninchen vor der Schlange auf die Kommission zu starren, sondern „eigenmächtig“ zu handeln. Aus dem „Sorgenbericht“ unter Federführung der AG-Schacht Konrad ist beispielsweise vergangenes Jahr die Herbstkampagne „Atommüllalarm“ erwachsen. Die konsequente Offenlegung der tatsächlichen Abfallmengen hat die Verantwortlichen genötigt, eine Verdoppelte Atommüllmenge zuzugeben.

Über den Tellerrand

müssen wir schauen, weil wir die Suppe nicht auslöffeln wollen. Trotz des Brunsbüttel-Urteils ist es immer noch wahrscheinlich, dass die Atommüll-Brennpunkte und -Transporte auch in naher Zukunft anderswo liegen, als in Gorleben. Die Solidarität, die uns unsere Besucher stets bewiesen haben, könnten wir dann vielleicht einmal zurück tragen. Und neben vielen solidarischen Aktionen in der Republik werfen auch der Weltklimagipfel 2015 in Paris und europäische Endlager- und AKW-Pläne ihre Schatten voraus. Das alles entbindet uns natürlich nicht der Verantwortung, unsere Hausaufgaben zu machen und beispielsweise weiter an der aberwitzigen vorsorglichen Betriebsgenehmigung der völlig veralteten Pilotkonditionierungsanlage zu rütteln.

Gemeinsam sind wir unausstehlich, oder: warum es die „kritische Masse“ braucht. Ohne das BI-Büro, unsere „Haupt-“ und ehrenamtlichen MitstreiterInnen, die Castorgruppen vor Ort, unsere Zu- und Austräger, die AG-Fracking, die Fachgruppe Radioaktivität, die Redaktion der Gorleben Rundschau, die Besuchergruppen, Pressearbeit und überregionale Repräsentation, internationale Zusammenarbeit und Arbeit gegen Uranabbau, befreundete Organisationen und Initiativen, Vernetzungstreffen und Konferenzen und nicht organisierte Zusammenschlüsse, wie Sonntagsspaziergang und Fukushima-Mahnwache, Multiplikatoren und Additoren, würden alle eure Mitgliedsbeiträge und Spenden einfach im Rottlebener Sand versickern. Es sind die Menschen und damit seid es ihr, die unseren gemeinsamen Widerstand mit Leben erfüllen. Und auch nach dem dritten Jahr ohne Castor zeigt sich, dass unsere Energie allen Unkenrufen zum Trotz nicht abebbt.

 

GORLEBEN SOLL LEBEN! Der Rest der Welt soll’s auch.

Rückblick 2013

Passend zum Mai 2013 hätte doch im Wendland allgemeine Jubelstimmung herrschen müssen. Endlich sollte ergebnisoffen, fair und transparent auf der weißen Landkarte der Republik nach einem atomaren Endlager gesucht werden. Gorleben könnte, sollte, müsste da schon irgendwie anhand von ominösen „Kriterien“ herausfallen. Nur von Beginn an ausschließen konnte man den Standort natürlich nicht. Sonst hätten ja die ganzen süddeutschen Atomländerchefs ihre weißen Landkarten auch gleich wieder zurückgezogen. Atommüllentsorgung am Spieletisch sozusagen: Spitz, pass auf!

Man fragte sich nicht nur, wo denn da noch eine Landkarte weiß sein sollte. Wer genauer hinschaute, sah, dass die ganze Republik voller Atommeiler und Atommüll steht. „Man hätte vor 50 Jahren niemals in diese Technologie einsteigen dürfen, ohne zu wissen, wo man mit dem Müll bleibt“, sagte Umweltminister Peter Altmaier den Wendländern bei seinem ersten Besuch im Januar 2013. Ein Satz, der sonst immer in der anderen Richtung Verwendung gefunden hat. Herr Altmaier kam mit dem Ziel, für das Endlagersuchgesetz zu werben. Er schmierte den Wendländern auch an anderen Stellen Honig um den Bart.

Wissen Sie, was man unter dem Fremdwort „perfide“ versteht? Während man sich bei einem offensichtlichen Betrug, der arglistigen Täuschung oder Heimtücke der Arglosigkeit der Opfer bedient und deren Unkenntnis der Gefahr voraussetzt, wird bei der früher auch „Niedertracht“ genannten Unredlichkeit der „Perfidie“ Vertrauen erst erzeugt, um dieses zum eigenen Vorteil zu missbrauchen. Im Krieg gilt ein solcher Angriff unter der weißen Parlamentärsflagge übrigens völkerrechtlich als Kriegsverbrechen. In der Politik könnte es sich allerdings bedauerlicher Weise inzwischen um einen ganz alltäglichen Vorgang handeln.

Das sogenannte Endlagersuchgesetz (ESG), welches weniger ein Endlager suchen, als vielmehr am Ende ein solches durchsetzen soll, ist so ein perfider Vorschlag. Vordergründig wird den jahrzehntealten Forderungen von Umweltverbänden und Initiativen Rechnung getragen, endlich eine alternative Endlagersuche jenseits von Gorleben auf den Weg zu bringen. Soweit das erzeugte Vertrauen.

Um zu verstehen, was dieses Gesetz jedoch bei näherem Hinsehen mit sich bringt, muss man erst einmal verstehen, in welcher Situation es aus dem Hut gezaubert wurde. Nach nunmehr nahezu 100 Sitzungen beendete der Parlamentarische Untersuchungsausschuss „Gorleben“ 2013 in Berlin seine Arbeit mit nichtöffentlichen Beratungen über das weitere Vorgehen. Während man sich zwischen Regierung und Opposition nicht auf einen gemeinsamen Abschlussbericht einigen wollte, ist das Ergebnis inzwischen klar. Die allerälteste Gorleben-Lüge, der Standort sei das Ergebnis eines Abwägungs- und Auswahlverfahrens gewesen, ließ sich aufgrund erdrückender Beweise und der Befragung der Kanzlerin über ihre Zeit als Umweltministerin einfach nicht mehr aufrecht erhalten. Die einstige politisch motivierte Vorfestlegung auf den Standort gefährdete aber das gesamte Projekt der Gorleben-Befürworter, denn bei einer späteren gerichtlichen Überprüfung würde es eine wesentliche Rolle spielen, ob Handlungsalternativen abgewogen und eine Auswahl getroffen wurde. Genau diese „Abwägungsentscheidung“ lieferte das Standortsuchgesetz nach. Verstehen Sie nun, warum Gorleben auf keinen Fall aus diesem „Topf“ fallen sollte?

Aber damit war es nicht genug. Beklagen könnte ein solches womöglich unzureichendes Verfahren nur, wer in seinen Rechten betroffen ist. Auch damit sollte nun Schluss sein! Anstelle eines atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens dürfe die interessierte Öffentlichkeit “mitreden”, aber nicht entscheiden. Eine Klagemöglichkeit wurde ausgeschlossen durch einen Verfahrenstrick: Jede Stufe der Entscheidung bei einer Standortsuche wurde per Gesetz geregelt. Eine Anhörung, Erörterung und Klagemöglichkeit entfiel. Mit dem neuen Gesetz wurde jedoch auch diese schlagartig ihres verwaltungsrechtlichen Schutzes beraubt. Das ist vordemokratisch!

Dämmert Ihnen etwas? Nun war es natürlich verwunderlich, warum ausgerechnet die Oppositionsparteien im Bund (bis auf die Linke) ebenfalls Werbung für diesen „Endlagerkonsens“ machten. Ein Konsens in der Politik ist aber immer ein Formelkompromiss, der möglichst alle Türen offen hält. Damit wir uns also richtig verstehen: mit diesem Gesetz könnte man Gorleben als Endlager ebenso durchsetzen wie auch verhindern. Die Entscheidung dazu träfe jeweils die Mehrheit des Bundestages. Allein die Kriterien, anhand derer Gorleben doch noch aus dem Rennen scheiden sollte, sind ausgerechnet diejenigen geworden, welche seit 35 Jahren auf diesen Standort maßgeschneidert worden sind…

Atommüll strahlt nach wie vor für die menschliche Ewigkeit. Da kam es weder auf ein paar Monate, noch ein paar Jahre an. Worauf es allerdings sehr ankam, war die Sorgfalt und die Reihenfolge des Verfahrens. Einen Konsens der Politik über das Vorgehen herzustellen, wäre sicher kein Fehler gewesen. Aber bereits alles in ein Gesetz zu gießen, bevor die gesellschaftliche Verständigung darüber, mit welchem Risiko wir leben und was wir unseren Nachfahren zumuten wollen, stattgefunden hatte, nützte nur Wenigen. Nämlich denen, welche die Spuren menschlicher Hybris- womöglich ihrer eigenen- schnell und damit billig verscharren wollten.

Sie möchten diesem atomaren Entsorgungs-Wahnsinn ein Ende bereiten? Sie wünschen sich eine Menschheit mit Zukunft? Was können Sie tun?
Fragen Sie doch mal Ihren örtlichen Bundestagsabgeordneten oder -abgeordnete, ob sie das Gesetz gelesen und verstanden haben und dem Gesetz zustimmen werden. Dann fragen Sie doch auch gleich, ob es in Ihrer Nähe Kristallin-, Ton- oder Salzformationen gibt, die für ein Endlager in Frage kämen. Und ob sie es denn richtig finden, dass Sie als Anwohner gar keinen Rechtsschutz mehr haben, wenn die Mehrheit des Bundestages, die ja nicht in Ihrer Nähe leben, dort ein Endlager beschließen würde. Und warum denn keine Öffentlichkeitsbeteiligung nach Internationalen Standards mehr vorgesehen wurde. Oder ob sie ein Risiko für einen von zehntausend Menschen, ernsthaft zu erkranken, als „sicher“ betrachten würden.

Dann fragen Sie doch auch gleich einmal, was denn dagegen sprach, ein solches Gesetz mit einer der Tragweite der Entscheidungen angemessenen Ruhe und Zeit durch einen Ethik- oder Zukunftsrat unter Beteiligung der Öffentlichkeit vorzubereiten.

Spätestens, wenn Ihnen dann ein dreißigjähriger Abgeordneter nach fast 60 Jahren Atomspaltung angesichts von 1 Million Jahre Endlagerung etwas von zuschlagenden Zeitfenstern und einem Konsens der Politik erzählt, anstatt auf ihre Fragen einzugehen, sollten Sie doch wieder einmal stutzig werden und den Zugang durch die Tür fordern.

Denn: Ein faules Ei verdirbt den ganzen Kuchen.