Wie kam der Salzstock Gorleben-Rambow in die „engere“ Wahl?
Wie kam der Salzstock Gorleben-Rambow in die „engere“ Wahl?
Das Jahr 1976 war entscheidend. Die Bundesregierung unter Helmut Schmidt drängte die niedersächsische Landesregierung, einen Standort für ein sogenanntes „Nukleares Entsorgungszentrum“ (NEZ) zu bestimmen. Hinter diesem Kürzel verbarg sich ein industrieller Nuklearkomplex mit Wiederaufarbeitungsanlage, einer Brennelementefabrik, oberirdischen Pufferlägern für die flüssigen und festen Abfälle aus dem „Recycling“ der abgebrannten Brennelemente – und schließlich ging es auch um das heute so umstrittene Endlager. Es sollten ursprünglich alle Arten von Abfall – schwach- und mittelaktive wie auch die wärmeentwickelnden hochaktiven Abfallstoffe in eine einzige Deponie.
Die Schmidt-Regierung drängte deshalb so sehr, weil das ehrgeizige Atomprogramm ohne nukleare Entsorgung juristisch und politisch angreifbar war. Allerdings war die SPD/FDP Koalition in den 70er Jahren noch im Oktober 1976 für ein Auswahlverfahren. Das bekräftigte der damalige Bundesinnenminister Gerhard Baum (FDP) vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu Gorleben. Die Landesregierung in Hannover wollte ein eigenes Auswahlverfahren und danach einen Standort vorschlagen. Der Bund gab nach. Allerdings ging die Bundesregierung noch immer davon aus, dass mehrere Standorte benannt und mittels Bohrungen geprüft würden. Dies war die Position von Bundeskanzleramt und Innenministerium noch im Oktober 1976. Mindestens fünf Tiefenbohrungen sollte es an jedem der auszuwählenden Standorte geben, so steht es in einem Gesprächsprotokoll. Einen Monat nach diesem Treffen jedoch erhielten die Ministerialbeamten in Hannover den Auftrag, lediglich einen einzigen Standort auszuwählen. Vier (!) Wochen Zeit blieb den Ministerialbeamten in Hannover, eine Auswahl zu treffen und dem Kabinett einen Vorschlag zu machen. Das Auswahlverfahren, an dessen Ende Gorleben benannt wurde, lief als streng vertrauliche interne Angelegenheit der Landesregierung ab. Lediglich das Oberbergamt in Clausthal und das Landesamt für Bodenforschung wurden einbezogen und auch der TÜV. Der erstellte im Rahmen des Auswahlverfahrens im Oktober/November 1976 das einzige Gutachten unter sicherheitstechnischen Aspekten. Gorleben kam auch darin zunächst gar nicht vor.
- „Sieger des Castings war ein Salzstock in Schleswig-Holstein. Gorleben wurde nachträglich, ebenso wie die Grube Mariaglück bei Celle, handschriftlich in der Expertise nachgetragen„, fasst Friedrich-Karl Kassel seine Recherche zu den entscheidenden Momenten der Standortwahl zusammen (Elbe-Jeetzel-Zeitung 20.10.10).
Am 22. Februar 1977 wurde das Ergebnis bekanntgegeben: Gorleben. Seitdem hat keine Nachfolgeregierung ernsthaft die Auswahlgründe in Frage gestellt, schlimmer noch: alle Negativbefunde, die Qualität des Salzstocks und seiner mangelnden Rückhaltefähigkeit betreffend, wurde geleugnet, klein geredet oder schlicht ignoriert, bis heute!
Wie sieht die geologische Situation des designierten Endlagers Gorleben aus?
Genau das ist der Punkt: Schlecht! Auf 300 Seiten legte Prof. Dr. Klaus Duphorn bereits 1982 fundiert und akribisch dar, welche Risiken der Salzstock Gorleben als Folge der komplizierten geologischen Struktur und der Wasserkontakte für die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle birgt. Auftraggeber war die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB), also die Vorgängerbehörde des BfS. Im Mai 1983 hatte der Amtsleiter Professor Helmut Röthemeyer in Hannover gegenüber Journalisten eine Zusammenfassung der bis dahin vorliegenden Untersuchungsergebnisse mit einer „internen Gesamtbewertung“ verbunden, die zu der Empfehlung gelangte, „das Erkundungsrisiko breiter zu streuen.“ Ziel der PTB war es, auch andere Salzstöcke zu erkunden.
- Für eine Behörde war das ein unerhört mutiger Schritt, konsequenter wäre gewesen, ganz auf die Einbahnstraße Gorleben zu verzichten. Erst zwei Jahre später erfuhr die Presse, dass die Bundesregierung der PTB per Weisung untersagt hatte, derartige Überlegungen anzustellen (FR 25.7.85 „Maulkorb für kritische Äußerung über Gorleben“).
Heute wissen wir, dass sogar Permafrostrisse bis in die möglichen Einlagerungsbereiche hineinreichen. Übrigens: Unverritzt wäre das Endlagerbergwerk Gorleben bei einer möglichen Inbetriebnahme 2050 oder später ohnehin nicht mehr. Mit dem Ausbau der Schachtanlage wurden Wasserwegsamkeiten eröffnet. Spätestens während einer Betriebsphase wäre ein solches Argument hinfällig.
Gasvorkommen im Salzstock Gorleben-Rambow waren bei der Standortwahl im Jahre 1976 schon bekannt.
- Dieses K.o.-Kriterium wurde aber nach der Standortbenennung im Februar 1977 nicht weiter verfolgt.
Das berichtete der Historikers Anselm Tiggemann vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) Gorleben. Der Preussag AG und der Brigitta Elwerath wurden daraufhin Probebohrungen, um neue Gasfelder aufzuschließen, im Raum Gorleben untersagt. Die Aussagen des Historikers Anselm Tiggemann, der für die CDU-Fraktion im PUA Gorleben arbeitet, sind hochbrisant. Die Bohrungen nach Gasvorkommen unter dem Salzstock Gorleben-Rambow hatten 1969 auf DDR-Seite direkt an der Elbe zu mehreren Explosionen und Havarien geführt.
Bisher stand der Salzstock Gorleben vor allem wegen des Wasser durchlässigen Deckgebirges in der Kritik, auch wegen der Permafrostrisse bis in den prospektiven Einlagerungsbereich hinein und wegen der Gasvorkommen. Ginge es um wissenschaftliche Erkenntnisse, wäre der Salzstock Gorleben-Rambow auch jetzt, bei dem angeblichen Neustart der Endlagersuche (StandAG) raus, denn über dem Salzstock liegt auf der anderen Elbseite der Einbruchsee Rudow. Ja, Sie lesen richtig, der Salzstock führt unter der Elbe hindurch…Ginge es fair zu, würde Gorleben schon bei einer Vorauswahl als möglicher Endlagerstandort gestrichen werden müssen.
- Für uns ist klar: Gorleben gehört auf den Misthaufen der Nukleargeschichte und nicht in den Pool möglicher Standorte
Welche Voraussetzung müsst ein taugliches Endlager für hochradioaktive Abfälle mit sich bringen?
Die Frage konnten Fachleute bisher nicht beantworten, obwohl seit Anfang der 60er Jahre Atomkraftwerke Strom – also auch Atommüll – produzieren. Von uns sind keine positiven Antworten zu erwarten, weil wir unsere Rolle als Kritiker verstehen, die leider – siehe Asse II – die wunden Punkte begriffen haben. Es wird weltweit kein sicheres Endlager geben, weil es nicht gelingen kann, die radioaktiven Isotope sicher – also dauerhaft – gegen die Biosphäre abzuschirmen. Das heißt, schon der Begriff „Endlager“, der ja suggeriert, man könne das Problem lösen, ist irreführend. Das heißt nicht, dass wir keine Vorschläge oder Vorstellungen hätten, wie in einer solchen Lage zu verfahren sei.
- Wir treten dafür ein, dass angesichts des weltweiten Atommülldesasters kein weiterer Müll produziert wird und dass eine umfassende und schonungslose „Atommüllbilanz“ gezogen wird.
Die Suche nach einer Atommülldeponie setzt voraus, dass man weiß, mit welchen Müllmengen und welchem Gefährdungspotential zu rechnen ist. Deshalb ist der stotternde Atomausstieg, von der schwarz-gelben Bundesregierung beschlossen wurde, wenig förderlich, Kritikerinnen und Kritiker bei der Endlagersuche einzubinden. Die damalige Bundesregierung und die Fraktionsspitzen von SPD und Grünen setzen sich über die Forderung hinweg, vor einem Neustart der Endlagersuche eine schonungslose Atommüllbilanz zu ziehen und die Fehler der Vergangenheit einzugestehen. Stattdessen wurde im Eilverfahren im Juli 2013 das Standortauswahlgesetz (StandAG) verabschiedet. Die Kriterien für eine „sichere Endlagerung“ sollen nun in einer Kommission erarbeitet werden, die ihre Ergebnisse im Jahr 2015 vorlegen soll – unsere Position zur Kommission lesen Sie unter der Rubrik „Themen!“.
Wir werden uns weiterhin massiv in der Atommülldebatte einmischen: Die Tatsache, dass in Gorleben bereits rund 2 Mrd. Euro verbaut wurden, dass Gorleben im StandAG als erster möglicher Standort festgeschrieben wurde und dass mit der Pilot-Konditionierungsanlage und der Castor-Halle bereits eine nukleare Infrastruktur geschaffen wurden, werten wir als Indiz dafür, dass eine vergleichende Endlagersuche am Ende nur den Verfahrensfehler der 70er Jahre „heilen“ soll: jetzt wird verglichen, um Gorleben am Ende gerichtsfest durchzusetzen. Hinzu kommt die Aktenlage, die die Bundesanstalt für Geowissenschaften (BGR) geschaffen hat die bereits 2007 in einer Studie behauptet, Gorleben sei als Atommüllendlager geeignet. Auf ihrer Homepage heißt es vorsichtiger und schwammiger, Gorleben sei eignungshöffig. Quelle: http://www.bgr.bund.de/…
Die BGR hat immer einseitig Salz favorisiert. Nach der Havarie der Atommülldeponien Morsleben und Asse II ist diese Behörde, die dem Wirtschaftsministerium untersteht, samt ihrer Salzlinie jedoch komplett diskreditiert.
Wolfgang Ehmke, aktualisiert 18.11.2017