Rückblick 2017: 40 Jahre und immer noch weise(r)…

Auch im 41. Jahr nach der willkürlichen und fatalen Standortbenennung des kleinen verschlafenen wendländischen Elbdorfs Gorleben als Standort für ein nukleares Massengrab einer von technokratischem Größenwahn, militanter Umweltzerstörung und staatlicher Allmacht geprägten Energiepolitik sind wir vor Ort nicht „in die Jahre gekommen“, sondern können immer noch stetigen Zuwachs verzeichnen- nicht nur an Kindern und Enkeln, sondern auch an FreundInnen, Mitgliedern und UnterstützerInnen (und an Erkenntnis).

Der für die Ewigkeit strahlende Atommüll ist dagegen während dieses epochalen Wimpernschlages wider Erwarten schon weitaus mehr gealtert, als die großspurigen Ingenieure der deutschen Atomindustrie es in entblößender Kurzsichtigkeit einst annahmen- bzw. die Umhüllungen, Behälter und Lagerhallen sind es, die 23 Jahre nach dem ersten Castortransport schon mehr als die Hälfte ihrer konzipierten Lebensdauer und ihrer Genehmigungszeit hinter sich haben. Deren üppig mit Steuer- und Stromgeldern subventionierte Entwicklung fiel noch in eine Zeit, als Computer der letzte Schrei waren und das Internet ein „closed job“ der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN).

Auch wenn antinukleare Großereignisse derzeit nicht mehr ganz oben auf der Agenda einer kritischen öffentlichen Politikbegleitung stehen, weil es der atomaren „community“ und dem willfährigen Teil der Politik gelungen ist, die Illusion eines nahe bevorstehenden Atomausstiegs mit konsensualer Beilegung des Endlager-Streits zu erzeugen, so sind wir doch noch weit entfernt von einer „Befriedung des Konflikts“ oder gar von einem gesellschaftlich verantwortbaren Umgang mit einer demokratischen Atommüllpolitik. Vor diesem Hintergrund ist es besonders eindrucksvoll, wenn sich doch jährlich Tausende im Wendland versammeln und sind wir unseren FreundInnen aus aller Welt zu großem Dank verpflichtet, dass sie immer noch jedes Jahr am Gorleben Tag auf der Widerstands-Party ein deutlich hör- und sichtbares Statement gegen die nukleare Zerstörung der Welt und gegen ein Endlager in Gorleben abgeben- und wir haben dabei den unauslöschlichen Eindruck, sie hätten sogar Spaß dabei!

Es war niemals unser alleiniges Anliegen, nur zivilgesellschaftlich gegen die Atompolitik, die Castortransporte und die Grundrechtsverletzungen der Polizei aufzustehen, sondern stets auch ein beherztes Bekenntnis zu einem gemeinschaftlichen, solidarischen und ökologischen Leben, welches sich in vielfältigen Daseinsformen und Lebensmodellen äußert und unsere universellen Lebensgrundlagen respektiert und bewahrt.

So ist es auch nur folgerichtig, dass die Bürgerinitiative ein vielleicht sogar nur kleiner Teil des vielfältigen wendländischen Widerstandes ist, der im Rahmen der kulturellen Landpartie diese unmissverständliche Lebensäußerung auf die Beine stellt.

Vorsehen, vorstehen und vorgehen

Es ist glücklicher Weise nicht immer nur der BI-Vorstand, von dem Initiativen ausgehen, aber die Vorstandssitzungen dienen unverzichtbar der vorausschauenden Einschätzung der politischen Lage, dem Diskurs über gute Wege und Formen, der Organisation von Information und eines sprechfähigen Widerstandes auf der politischen Ebene und der Delegation zu Veranstaltungen, Aktionen und Verbändetreffen. Ohne unseren unersetzlichen und bewundernswert strukturierten Mitarbeiter Torben, bei dem alle Fäden zusammenlaufen, wären wir da hoffnungslos aufgeschmissen.

Nach mehreren Jahrzehnten kreativer fruchtbarer Vernetzungsarbeit sind wir integraler Bestandteil eines derart komplexen Netzwerkes von Anti-Atom-Initiativen und Umweltverbänden, das das Jahr eigentlich oft schon verplant ist, bevor es angefangen hat. So undurchdringlich ein derartiges Netz auch bisweilen für die „Atomhaie“ sein mag, ist ein Netz eben auch manchmal geeignet, dass wir uns selber darin verheddern…

Vor diesem Hintergrund ist es erfreulich, dass im vergangenen Jahr wieder einmal einige Aktivisten außerhalb des Vorstandes und ehemalige VorständlerInnen das Heft des Handelns in die Hand genommen haben und mit dem „Internationalistischen Anti-Atom Sommercamp“ und „Free-Flow-Festival“ die Tradition Wendländischer Widerstandscamps (wieder-) belebt und einen Ort der Vorbereitung auf die Kontroversen und Aktionen zum Weltklimagipfel in Bonn geschaffen haben- Wiederholung erwünscht!

Nuklearer Todeskampf oder Wiederbelebungsversuche?

Die altbekannten Atomkonzerne und ihre internationale Dachorganisation IAEO hält trotz (oder wegen!) eines weltweit nachweisbaren Niedergangs der Atomenergie an dem Alptraum ihrer Wiedergeburt fest und versucht hartnäckig, auch noch die letzten Uranvorkommen auszubeuten und Schwellenländern ihre Todestechnologie als Klimaretter anzudrehen. Vor diesem Hintergrund war das Engagement und die Anwesenheit der BI bei der internationalen Kampagne „Don’t nuke the climate“ unverzichtbar und schreit nach einer Fortsetzung, solange eine Weltklimakonferenz in Europa stattfindet (z.B 2018 in Katowice).

Auch auf Endlagerveranstaltungen tauchen nun alte Nuklearingenieure auf, die ein Endlager für verzichtbar erklären und Transmutation und Partitionierung propagieren. Was sie aber meinen, ist der Zugriff der Atomindustrie auf das Wirtschaftsgut Atommüll und ihre Vision vom Atommeiler der IV. Generation… Es ist die „Anglosphäre“, die unter ihrem durchgeknallten maximo leader diese Halluzinationen hat, es sind die Chinesen die sich im englischen Hinkley-Point engagieren und es ist die russische Rosatom, die Erdogan zum ersten türkischen (Staatsjubiläums-) AKW verhilft. Da verwundert es nicht, dass zum Treffen der nuklearen großen 20 weiträumige Demonstrationsverbote erlassen wurden und Sondereinheiten einmal ihr gesamtes Equipment zur Aufstandsbekämpfung vorgeführt haben- sind wir doch schließlich Weltmarktführer auch bei dieser Technologie…

Ohne Mampf kein Kampf

Es sind immer noch die vielen fleißigen Hände (und Füße!), die unseren Widerstand ermöglichen und lebendig halten. Ob es das Tragen der Wendlandsonne auf Pullover und T-Shirt ist, das Sortieren und Verpacken dieser Materialien, der Auf- und Abbau von Zelten, Anlagen und Komposttoiletten, Standdienste, Bühnenbetreuung, Catering, Planung, Organisation, Telefondienst, Busbegleitung… oder „nur“ das aktive Nutzen dieser Angebote: ohne Klamotten-AG, Demo-HelferInnen, SpendensammlerInnen, Volxküche, Standdienst und Bürodienst wären wir nicht. Ohne Fachgruppe Radioaktivität wären wir nicht so informiert, ohne AG gegen Fracking nicht im Grundwasserschutz verwurzelt. Unsere Pressemitteilungen, in denen stets hochaktuelle Meldungen und Statements aus unseren Themenbereichen und aus unseren Netzwerken zusammenlaufen, sowie die grandiose Gorleben Rundschau mit redaktionellen Artikeln relevanter Autoren erreichen fortwährend Tausende Gleichgesinnte in der Republik (…Freies Wendland und in der anderen…)

Und zu den eigenständigen unabhängigen Initiativen und Aktionen, wie der Fukushima-Mahnwache, dem Sonntagsspaziergang und der Wachstumswende Wendland zählen wir uns – mindestens als Partner – auch dazu.

Ohne eure Unterstützung und euer Engagement wäre das alles nicht möglich.

Was wir uns von euch wünschen, ist natürlich eure zahlreiche Beteiligung bei Demonstrationen und Aktionen aber auch, dass ihr uns mal wissen lasst, wo ihr euch mehr oder vielleicht auch mal weniger Engagement wünscht (auch wenn wir euch die Ressourcen für eine Umsetzung 1:1 natürlich nicht garantieren können).

Martin Donat, Vorsitzender der BI