Ein Gastbeitrag: Wenn einer Laufzeitverlängerungen durchsetzen kann, dann Norbert Röttgen

Eine Analyse der Debatte rund um das „Süddeutsche“-Interview des Umweltministers von Jochen Stay

Kurz nach seiner Ernennung zum Bundesumweltminister gab das Handelsblatt eine erste Einschätzung über Norbert Röttgen ab: „Der Umweltminister wird dafür sorgen, dass die CDU ihre Image als Pro-Kernkraft-Partei verliert, obwohl sie die Laufzeiten verlängert.“ Seither arbeitet er intensiv daran.

Neuester Streich in dieser Sache war sein Interview mit der Süddeutschen Zeitung, das seit dem Wochenende für Aufregung sorgt. Es ist schon kurios, dass dieses Interview fast einmütig so wahrgenommen wird, als habe Röttgen jetzt die atompolitische Position der Grünen angenommen.

Da schreibt „Spiegel Online“ vom „Anti-Atom-Minister“, der sich angeblich für einen „rascheren Atomausstieg“ ausgesprochen habe. Auch viele andere, gerade auch diejenigen aus Union und FDP, die Röttgen attackieren, reden so, als wolle der nun AKW reihenweise abschalten.

Acht Jahre Laufzeitverlängerung sind kein Ausstieg

Aber was hat der Minister wirklich gesagt? Zum Beispiel, dass er die Grenze für Laufzeitverlängerungen bei 40 Jahren sieht. Das würde also eine zusätzliche Betriebszeit von acht Jahren bedeuten. Das Ganze wird rhetorisch umwölkt von einer Menge für einen CDU-Minister durchaus erstaunlicher Aussagen, die aber nicht neu sind, sondern von Röttgen zum Teil bereits in einem Interview mit der „Zeit“ im November 2009 geäußert wurden.

Einige Zitate aus dem aktuellen Interview:

„Der Wunsch, staatliche Einnahmen zu erzielen, kann kein tragender Gedanke eines energiepolitischen Konzeptes sein. Das wäre eine Form von Deal-Politik, die ich ablehne. Im Übrigen kann ich nicht erkennen, was eigentlich die verfassungsrechtlich einwandfreie Grundlage für solche Abschöpfungen ist.“

„Der Staat muss jeden Anschein vermeiden, er schöpfe Sondergewinne ab und mache dafür Zugeständnisse bei der Sicherheit. Wir wollen keine Cashcow, sondern eine sichere, wettbewerbsfähige Energieversorgung.“

„In dem Umfang, in dem Erneuerbare sich aufbauen, wird Kernenergie zurückgehen. Wir haben heute 16 Prozent Anteil erneuerbarer Energie in der Stromerzeugung, 23 Prozent Kernenergie. In dem Augenblick, in dem die Erneuerbaren 40 Prozent ausmachen, also 23 plus 16, ist die Kernenergie abgelöst.“

„Im Übrigen muss sich eine Partei wie die Union, die vielleicht einzige verbleibende Volkspartei, gut überlegen, ob sie gerade die Kernenergie zu einem Alleinstellungsmerkmal machen will. Es wäre besser, man würde uns mit der ökonomischen und ökologischen Modernisierung unseres Landes verbinden. Wir sollten unsere Akzeptanz in der Bevölkerung nicht an den störungsfreien Betrieb von Kernkraftwerken knüpfen.“

Alles durchaus beachtlich für einen CDU-Minister – und entsprechend gehen die Wogen in den Koalitionsparteien seit dem Interview hoch. Aber am Ende zählt dann doch einzig und alleine, ob AKW abgeschaltet werden oder nicht. Und da könnte Röttgens Rhetorik allen aus dem atomkritischen Lager, die sich jetzt darüber freuen, kräftig auf die Füße fallen.

Politischer Placebo-Effekt

Röttgen hat von seinen Vorgängern gelernt. Auch die sprachen immer vom Atomausstieg, ohne dass er in den zwölf Jahren seit dem Antritt von Rot-Grün 1998 nennenswert stattgefunden hätte. Aber die Auseinandersetzung um die Atomkraft wurde dadurch ein Stück weit befriedet. Also nennt nun auch der Christdemokrat den Ausstieg als sein Ziel, ohne automatisch an die Stilllegung von AKW zu denken – in der Hoffnung, dadurch den Protest klein zu halten. Das wäre eine Art politischer Placebo-Effekt.

Meine These: Die gesellschaftliche Ablehnung der Atomenergie ist inzwischen so groß (selbst 51 Prozent der Unions-AnhängerInnen sind für einen Ausstieg bis 2021), dass Laufzeitverlängerungen nur noch nach der Methode Röttgen durchsetzbar sind.

Würden die Atom-Hardliner aus Union und FDP die öffentliche Debatte bestimmen, wäre der Widerstand dagegen so gewaltig, dass der Weiterbetrieb der AKW daran scheitern könnte. Röttgens Aufgabe ist es deshalb, einen Teil des atomkritischen Lagers zu beruhigen: „Ist ja alles gar nicht so schlimm. Der Minister versteht uns ja. Und er wird dafür von der Atomfreunden auch noch heftig angegriffen.“ Und am Ende könnten dann eben doch Laufzeitverlängerungen auf breiter Front herauskommen. Die acht Jahre, die Röttgen nennt, würden den Stromkonzernen erstmal völlig reichen. Nachlegen kann man dann später immer noch.

Koppelung Atomenergie und Erneuerbare ist kontraproduktiv

Seine Festlegung, dass bei 40 Prozent Erneuerbaren die Atomkraft nicht mehr benötigt wird, lies gleich einige euphorisch vorrechnen, dass es dann gar keine Laufzeitverlängerungen mehr braucht. Ich bin an dieser Stelle skeptisch, weil es Röttgen hier m.E. vor allem darum geht, die Koppelung von Erneuerbaren-Ausbau und Weiterbetrieb der AKW als „Brückentechnologie“ in den Köpfen festzusetzen. Das ist gefährlich, denn natürlich ist die Stilllegung der Reaktoren nicht erst dann nötig, wenn die Erneuerbaren bei 40 Prozent sind. Ja der prognostizierte Ökostrom-Ausbau würde gefährdet, je länger die AKW am Netz sind.

Was ich an den Äußerungen von Röttgen trotzdem hilfreich finde: Seine kritische Haltung zu einem Deal von abgeschöpften Zusatzgewinnen gegen Zugeständnisse bei der Sicherheit lässt sich zukünftig gut ins Feld führen, wenn es doch anders kommen sollte.

Wir müssen weiter Druck machen

Beachtlich ist am Röttgen-Interview schließlich, wie deutlich der gesellschaftliche Druck gegen die Atomenergie in Berlin inzwischen wahrgenommen wird. Die neu erwachte Anti-Atom-Bewegung ist insofern erfolgreich, dass sie sehr ernst genommen wird. Aber auch hier gilt: Wir müssen weiter Druck machen, denn erst, wenn der Weiterbetrieb der Reaktoren tatsächlich gestoppt ist, haben wir wirklich etwas erreicht.

Jochen Stay / .ausgestrahlt