„Wir müssen uns endlich mit der Sonne vertragen“

Seit einigen Jahren fahre ich immer wieder in ein Tagungshaus im niedersächsischen Wendland, das Gerhard Harder gemeinsam mit seiner Frau betreibt. Gerhard Harder ist außerdem Dozent für interkulturelle Pädagogik in Berlin und gehört dem Vorstand der Bürgerinitiative in Lüchow-Dannenberg an. Bei meinem vorläufig letzten Seminar treffe ich Gerhard Harder zu einem Interview über Atomausstieg und Endlagerung für das LichtBlickBlog.

Ich möchte gleich zur Sache kommen: kannst Du in einigen Punkten zusammenfassen warum Du für die Energiewende bist?

(nachdenklich): Wir müssen uns endlich mit der Sonne vertragen. Und aufhören unsere Energieressourcen durch die halbe Welt zu fahren und zentral zu erzeugen, wo sie am Ende dann doch dezentral verbraucht werden. Vor allem wo Energieträger an den Orten schon lange und in ausreichender Menge vorhanden sind. Da ist ein riesiger Umbau nötig, der uns aber mit einhergehendem technischem Fortschritt die Schaffung von Arbeitsplätzen und einen Innovationsvorsprung garantiert.

Das würde uns gut zu Gesicht stehen und wir brauchen diesen Schritt dringend. Die alte Industrie ist zudem extrem gefährlich. Das zeigt aktuell ja die Ölkatastrophe im Golf von Mexico auf tragische Art und Weise.

Vielleicht haben wir durch den Vorfall im Golf von Mexiko endlich die Möglichkeit, umzusteigen und zwar in allen Bereichen. Es muss ja leider immer erst was passieren, der Vorfall in Tschernobyl ist verblasst und zu lange her. Ich glaube, wenn nur ein weiterer ernsthafter Störfall passieren würde – was ich mir natürlich nirgendwo wünsche – wäre der Spuk über Nacht vorbei.

Dann wird es niemand gewesen sein wollen, dann waren alle eh schon immer für den Ausstieg aus den risikoreichen Technologien. Die Befürworter der Kernenergie werden dann sagen: „Wir haben ja schon immer von Brückentechnologie geredet.”

„Die Energielücke kann nicht eintreten“

Ein Hauptargument weiter Teile der Regierung in der Diskussion um Laufzeitverlängerungen ist ja, dass es ohne Atomkraftwerke noch nicht geht. Was sagst Du zum Thema Energielücke?

Zur so genannten Energielücke käme es nur, wenn wir über Nacht einen totalen Störfall hätten. Dazu müssten wirklich alle Atom- und Kohlekraftwerke zusammen ausfallen. Dann hat man kurzfristige Lücken in der Stromversorgung.

Ich war kürzlich in Dortmund auf dem so genannten e.day. Da sind Energieversorger, Kommunen, Stadtwerke auf einem ziemlich hochrangigen Kongress angetreten. Die sind sich einig, dass die Energielücke zwar propagiert wird aber nicht ernsthaft eintreten kann. Selbst die Kraftwerksbetreiber sind ja schon so weit, dass sie von einer “Brückentechnologie” sprechen. Das hört sich gut an, das soll die Menschen ein bisschen beruhigen. Nebelkerzen werfen ist das, damit die Bevölkerung still hält und sagt: “Lass uns doch noch 20 -30 Jahre die schöne, saubere Atomkraft nutzen – weil es noch nicht anders geht”. Das genau stimmt nicht.

Die Energiewende ist eine technische Herausforderung, dass ist richtig.

Ein Ausstieg ist ohne weiteres kurzfristig möglich. Selbst von Ministerien gibt es Studien, dass wir den Ausstieg sofort verkraften könnten.

„Das schwach und mittel radioaktive Material in der Asse ist ganz eindeutig havariert“

Ein Thema das eure Region und damit natürlich die Bürgerinitiative sehr beschäftigt, ist die Frage der Endlagerung des Atommülls in Gorleben und Asse II. Warum sind die beiden Orte deiner Meinung nach als Endlagerungsstätte ungeeignet?

Das schwach und mittel radioaktive Material in der Asse ist ganz eindeutig havariert. Es wurde nicht Buch geführt, 27 Kilogramm Plutonium sind einfach verschwunden. Das sind unglaubliche Vorgänge. Die wollen die Zuständigen natürlich nicht mehr wahrhaben, verantwortlich sind immer irgendwelche Leute, die es schon lange nicht mehr gibt. Klaus Kühn (ehem. Wissenschaftlicher Leiter der Atommülldeponie Asse II) hat die Asse vor 25 Jahren trocken gegutachtet – wahrscheinlich in hüfthohen Anglerhosen. Der hält auch heute noch Gorleben als Endlagerungsstätte für geeignet. Das ist unglaublich.

Damit komme ich zu Gorleben: wie uns kritische und unabhängige Wissenschaftler schon Anfang der 80er Jahre bestätigten, ist Gorleben eine riesige Badewanne mit Laugennestern und Wasserzuläufen. Also all die Kriterien, die vorher von den Behörden als Sicherheitsrisiko aufgestellt wurden. Gorleben kam damit schon vom ersten Moment an als Endlager nicht in Frage. Es musste aber in Frage kommen, weil man nicht wusste wohin mit dem Atommüll. Und damit der Weiterbetrieb der AKW’s sofort zu unterbinden worden wäre. Man muss sich das mal vorstellen: die Dinger (AKW’s) dürfen nur laufen mit dem Hinweis, dass in Gorleben ein mögliches Endlager entstehen kann.

Man vergleiche das mal mit alltäglichen Gegebenheiten: wenn ich mit meinem Auto zum TÜV fahre ohne Bremsen und dann behaupte, mein Onkel werde in ein paar Jahren eine Werkstatt errichten und die Bremsen anbringen und deswegen fordere, dass ich schon mal die Plakette und damit die Fahrerlaubnis bekomme. Das ist völlig absurd!
„Wir haben hier Tausende von Störfällen über die Jahre hinweg gehabt“

Warum bist Du für den schnellstmöglichen Ausstieg aus der Atomkraft?

Erstens die Gefährdung um die Atomkraftwerke herum, die dauerhaft vorhanden ist, also Strahlung. Die Kinderkrebsstudie hat nachgewiesen, dass es nicht geheuer ist, in der Nähe von Atomkraftwerken zu wohnen. Und wir haben in Deutschland noch 17 solcher Atomkraftwerke, die betrieben werden dürfen.

Der zweite Grund ist die Gefährdung durch den Betrieb selber. Man erzählt uns immer die deutschen Atomkraftwerke seien die Sichersten. Das halte ich für chauvinistisch. Wir haben hier Tausende von Störfällen über die Jahre hinweg gehabt. Also immer wieder zu erzählen, wir hätten das im Griff und die Dinger seien sicher, ist völlig daneben.

Der dritte Punkt ist, dass es Arbeitsplätze vernichtet bzw. deren Schaffung verhindert, auf die alten Technologien zu setzen. In der Atom- Kohlebranche gibt es grade mal 30.000 Beschäftigte. Die Erneuerbaren haben in den letzten Jahren aus dem Stand 500.000 Arbeitsplätze geschaffen. Und das würde noch weiter in die Höhe gehen, wenn die unsägliche Diskussion um Laufzeitverlängerungen beendet werden würde.

Der vierte Grund ist ein Technologie-Stopp. Wir entwickeln ja nicht oder weit weniger als möglich, da Subventionen für erneuerbare Energien gekürzt und die Mittel in die Produktion von Atom- und Kohlestrom und den anhängenden Technologien gesteckt werden. Die Kosten für Endlagerung und den Transport von Müll kommen auch noch hinzu. Damit ist Atomstrom sicher der teuerste Strom überhaupt. Ganz zu schweigen davon, dass die Erzeugung nicht versichert ist. Wenn Atomstrom versichert werden müsste – was kein Mensch je machen wird – dann würde sofort die Produktion einzustellen sein.

Ganz grundsätzlich steht unser Umgang weltweit mit Energieerzeugung auf dem Prüfstand. Wir beuten mit einem riesigen technischen Aufwand die letzten Ressourcen aus, nehmen unkalkulierbare Gefahren in Kauf. Zusätzlich entstehen dabei extrem hohe Kosten, die natürlich an die Verbraucher weitergegeben werden. Beim Entwickeln moderner und alternativer Technologien sind andere Länder zum Teil schon viel weiter als wir. Wir müssen aufpassen, dass wir anderen nicht komplett das Feld überlassen.

Mich interessiert wie die aktuelle Stimmung in der Bürgerinitiative ist. Die politische Lage im Lande ist ja latent angespannt bis indifferent…

Die Stimmung bei uns ist sehr gut. Wir verbuchen einen riesigen Zulauf und werden getragen von einer Welle der Zustimmung – vor allem seitens der jüngeren Generation. Es gibt eine Renaissance des Widerstandes und nicht der Atomkraft. Ich glaube, viele werden nur dadurch ruhig gehalten, dass man ihnen vorgaukelt die Kosten und Sicherheitsfragen seien geregelt. Wenn erstmal rauskommt, dass auch das nicht stimmt dann wird – wie die ehrwürdige Dame des Widerstandes Lilo Wollny sagt – das Ganze wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Wir sind kurz davor: in Berlin waren 50.000 Menschen auf der Straße, die Menschkette mit 120.000 Menschen, schwarz-gelb ist am Wackeln, alle Oppositionsparteien propagieren einen schnellstmöglichen Ausstieg. All das spiegelt die Euphorie wieder, endlich in eine neue Zeit einzusteigen und den Großkonzernen ihre tödlichen Spielzeuge wegzunehmen.

„Das ist ganz phantastisch, dieses Schwarmstromkonzept“

Wir haben ja immer wieder auch über meinen Arbeitgeber LichtBlick gesprochen. Gibt es von deiner Seite Wünsche und Anregungen an uns? Was können wir tun, um eure Arbeit zu unterstützen?

Was wir noch mehr voran treiben wollen – und das dürfte LichtBlick ja freuen – ist der Wechsel hin zu den vier Ökostromanbietern in Deutschland. Die Verbraucher haben wesentlich mehr Macht und Einfluss auf den Markt als viele Menschen glauben. Das Schwarmstromkonzept und die Zuhausekraftwerke von LichtBlick gefallen uns richtig gut und wir hoffen, dass das naheliegend Früchte trägt und los geht. Der Erfolg dieses Projektes würde untermauern, dass mit diesem Schritt, mit dem von LichtBlick und Volkswagen anavisiertem Ziel, 100.000 Zuhauskraftwerke ans Netz zu bringen, zwei Atomkraftwerke ersetzt werden können. Das hat eine große und nicht zu unterschätzende Signalwirkung. Das ist ganz phantastisch, dieses Schwarmstromkonzept!

Und hast Du konkrete Wünsche an die Leserinnen und Leser des LichtBlickBlogs?

Verantwortung zu übernehmen und die Energiewende so aktiv wie möglich mit zu gestalten. Es sind nicht nur Politiker die Entscheidungen treffen und Realitäten schaffen können. Vor allem können das die Bürgerinnen und Bürger im Lande. Wichtig zu erwähnen finde ich, dass der Atomausstieg weiterhin Handarbeit ist und auf der Straße stattfindet. Wir vertrauen eben nicht mehr nur der Politik oder ausschließlich der Einsicht und der Vernunft von Wirtschaftstreibenden. Das hielte ich auch für fatal. Wir bleiben am Ball und investieren unsere Zeit, nutzen unsere Ressourcen. Sehr froh wären wir nicht zuletzt deswegen über ein gesteigertes Spendenaufkommen. Auf der Homepage der Bürgerinitiative (http://www.bi-luechow-dannenberg.de) gibt es neben aktuellen Infos und dem Gorleben Newsletter auch einen Link dazu.

Gerhard, ich danke Dir herzlich für das informative Gespräch und wünsche der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg weiterhin viel Erfolg. Auch LichtBlick wird am Ball bleiben!

Achim Vogt (Lichtblick) im Gespräch mit Gerhard Harder (BI Lüchow-Dannenberg), am 15. Juli 2010