Zeugen sprudeln
Untersuchungsausschuss Gorleben
Seit fast einem Jahr wird die Eignung von Gorleben aufgeklärt – die Scharmützel nehmen zu
Vielleicht ist es ihm einfach nur herausgerutscht. „Ich bin Innenpolitiker“, sagte Reinhard Grindel am Rande einer Zeugenvernehmung, „den Ausschuss hier würde ich auch gern mal wieder loswerden“. Das war im Gorleben-Ausschuss vor eineinhalb Wochen, und Sylvia Kotting-Uhl von den Grünen fixierte den CDU-Obmann finster, als wollte sie sagen: Den Gefallen werden wir sicher nicht tun.
Der Erste Untersuchungsausschuss des Bundestags feiert Ende März seinen ersten Geburtstag, und es wird wohl nicht sein einziger bleiben. 6000 Akten sind auszuwerten: Sie und die Zeugen sollen klären, ob es bei der Entscheidung der Bundesregierung im Jahr 1983, sich bei der Suche nach einem Endlager für Atommüll auf den Standort Gorleben zu beschränken, zu Manipulationen und politischer Einflussnahme auf Wissenschaftler gekommen ist. Was auf den ersten Blick wie eine Historikerkommission daherkommt, ist in Wirklichkeit hochpolitisch und aktuell brisant – heute steht der Standort Gorleben wieder im Mittelpunkt hitziger Debatten wie vor 30 Jahren. Auch heute gerät die Suche nach einem Endlager zum Chiffre für den Streit um Atomkraft an sich, diktiert dieses kleine Dorf Gorleben mit seinen unbeugsamen Wendländern die politische Agenda in Berlin.
Und so wird Grindels Wunsch sich nicht in Windeseile erfüllen. Die Opposition sucht in den Akten nach Informationen, welche die Entscheidung für Gorleben zweifelhaft erscheinen lassen. Und sie will im Superwahljahr 2011 die Atomdebatte weiter lodern lassen; der Ausschuss soll hierfür Argumente liefern.
Unterschiedliche Motive
Naturgemäß kommen die Motive von Koalition und Opposition in Untersuchungsausschüssen nicht daher wie Zwillinge. Im Gorleben-Ausschuss aber sprechen sie zuweilen nicht einmal eine gemeinsame Sprache. „Tapferkeit vor dem Feind“, attestierte die Ausschussvorsitzende Maria Flachsbarth (CDU), als sie ihrem Parteikollegen Hermann Schnipkoweit zum Abschied die Hand gab; gerade hatte der Ex-Sozialminister Niedersachsens seine Vernehmung absolviert. Und wenige Minuten später posierten Mitarbeiter der Linksfraktion für ein Erinnerungsfoto mit der nächsten Zeugin Marianne Fritzen, der Veteranin der wendländischen Widerstandsbewegung gegen ein Endlager in Gorleben – wie Fans neben ihrem Star. Manchmal erscheint der Rundtisch im Sitzungssaal 4.900 des Paul-Löbe-Haus wie ein einziger Schützengraben. Die Opposition klagt, Akten würden nur kurz vor den jeweiligen Zeugenvernehmungen zugesandt, die von ihr benannten Zeugen im Zweifelsfall auf den Nachmittagstermin gelegt; so lässt die Berichterstattung darüber Redaktionsschlussbedingt nach. Und die Koalition wittert Polemik. Rot-Rot-Grün greift an, und Schwarz-Gelb stellt sich ins Tor.
So auch am vergangenen Donnerstag. Zuerst der Zeuge der Koalition: Über das Ausmaß der Arbeiten des technischen Beratungsunternehmens Lahmeyer International in Gorleben sollte der damalige Abteilungsleiter Geologie, Kurt Schetelig, berichten. „Wir hatten die Eignung des Standorts für große Industrieanlagen zu prüfen“, sagte der spätere Geologie-Professor. Eingeladen wurde Schetelig, um Zeitungsäußerungen eines ehemaligen Mitarbeiters zu entkräften – der hatte die für die Erkundung Gorlebens zuständigen Behörden mit Vorwürfen überhäuft.
Seine Firma habe 30 Bohrungen bis zu einer maximalen Tiefe von 100 Metern vorgenommen, sagte Schetelig. Die 1978 begonnenen und bis Mitte 1979 abgeschlossenen Arbeiten hätten eine reine Baugrunderkundung zum Ziel gehabt. „Lahmeyer sollte nicht zu einer Endlager-Eignung Stellung nehmen.“
Schetelig sagte, die Bohrungen hätten 200 Meter oberhalb des Salzstocks geendet. Eine Aussage über die Eignung des Salzstocks als Endlager sei somit nicht möglich gewesen. Scheteligs Projektleiter bei Lahmeyer, Thomas Diettrich, hatte dagegen gegenüber der „Frankfurter Rundschau“ gesagt, die Behörden hätten angewiesen, Messergebnisse zu filtern und nur die besten zu untersuchen. Auch seien wissenschaftliche Diskussionen in Fachkreisen untersagt worden.
„Über Filterungen ist mir nichts bekannt“, sagte Schetelig. „Darüber habe ich überhaupt keine Ahnung.“ Ferner sagte der 74-Jährige, dass seiner Meinung nach die erhobenen Messdaten in Fachkreisen durchaus in Berichten und Vorträgen diskutiert worden seien. Auch widersprach er Diettrichs Darstellung, wonach Lahmeyer mit hydrologischen Arbeiten betraut gewesen sei.
Schetelig gab an, Ende 1979 bei Lahmeyer ausgeschieden zu sein. Er hatte eine Professur für Geologie an der Technischen Universität Darmstadt ange-nommen. Drei bis vier Jahre nach seinen Arbeiten für Lahmeyer in Gorleben habe er den Auftrag bekommen, acht mögliche Standorte in Deutschland für eine Endlage-rung von Atommüll zu begehen.
Grünen-Obfrau Sylvia Kotting-Uhl hielt Schetelig ein Papier des Niedersächsischen Landesamtes für Bodenforschung aus dem Jahr 1977 mit einem Zeitplan vor. Sie zitierte aus einer Tabelle, laut der in Gorleben zuerst Geländearbeiten samt hydrologischen Erkundungen starten sollten, um dann erst nach drei Jahren mit den Baugrunduntersuchungen zu beginnen – welche Lahmeyer schon 1978 begann. Schetelig sagte dazu: „Ich weiß nicht, ob schon früher hydrologische Untersuchungen existierten.“
Die Abgeordneten von Union und FDP lehnten sich zurück. Gab es doch zusätzlich einen Brief Lahmeyers von Ende Januar, in dem das Unternehmen schrieb, nach Aussagen von Mitarbeitern nicht mit einer Endlager-Erkundung betraut gewesen zu sein. Thomas Diettrich hatten die Briefschreiber wohl nicht gefragt. Das übernahm der Ausschuss. Und der auf Schetelig folgende Zeuge der Opposition bemühte sich nicht, Widerspruch zu seinem ehemaligen Vorgesetzten zu verbergen. „Ich sollte Kriterien für die Eignung von Endlagern und zur Endlagerung erarbeiten“, sagte Diettrich. Es sei bei den Bohrungen nie nur um die Erkundung des Baugrunds gegangen. Dafür besitze er, sagte Diettrich, Auszüge aus Papieren, welche das Arbeitsziel der Erkundung auf Endlagereignung skizzieren.
Andere Prioritäten
„Das Wort Manipulation will ich nicht benutzen“, sagt Diettrich, „es gab Daten, die mit anderen Prioritäten beurteilt wurden“. Messergebnisse seien zweckgebunden interpretiert worden, um die Projektplanbarkeit von Gorleben zu erhöhen. Ursprünglich habe Lahmeyer keinen einzigen Standort favorisiert. Man habe auf einen großen Auftrag zur Prüfung mehrerer Standorte gehofft. 1981 habe es dann von Behördenseite eindeutige Signale gegeben, sich auf Gorleben zu beschränken. Damit hätten die Einflussnahmen begonnen. „Daten im roten Bereich sind zum Beispiel nachträglich derart eingestuft worden, dass sie im grünen Bereich erschienen.“ Die Erfahrungen seiner Firma seien ebenso außer Acht gelassen worden wie Warnungen vor Anhydrit, welches Hebungen in der Erde verursachen kann. „Auch wurden aus Schweden importierte Vorschläge zur objektiven Begutachtung von den Behörden nicht beachtet.“ Seine Berichte seien in der Endfassung entschärft, seine Ergebnisse relativiert worden.
Der promovierte Hydrologe erzählte ferner, die beteiligten Fachpersonen und Universitäten hätten nicht über das nötige Fachwissen zur Bewertung einer Eignung verfügt, „das lag damals bei der Industrie“. Es habe kein strategisches Management gegeben. „Das war ein mangelndes Verfahren, das nicht internationalen Standards entsprach. Es war wackelig und unbedarft.“ Von Behördenseite sei den Fachkollegen im Baubüro in Lüchow-Dannenberg untersagt worden, über den Sachstand wissenschaftlich zu diskutieren. „Das war nicht gern gesehen“, sagte der 67-Jährige.
Diettrich sagte, der Großauftrag einer Untersuchung mehrerer Standorte sei geschwunden und habe sich auf Gorleben verkleinert. Nach und nach hätten ab 1981 Studenten der TU Braunschweig die Lahmeyer-Ingenieure bei der Kontrolle der Bohrungen ersetzt. „Das hat mich verärgert.“
Diettrich äußerte schließlich Zweifel an der Eignung Gorlebens. „Unsere Bohrergebnisse waren ein Indiz dafür, dass das Deckgebirge zerklüftet ist.“ Eine vergleichende Untersuchung unter Einbeziehung internationaler Experten müsse jetzt her. Diettrich: „Ich könnte mir in Zukunft vorstellen, dass in Europa Nuklear-Emissionen gehandelt werden. Mit dem Geld könnte der international beste Standort für ein Endlager gefunden werden.“
Dieser Zeuge sprudelte. Die Opposition frohlockte. Und die Koalition musste sich an diesem Tag auch noch anderorts eines Antrags (17/4678) im Bundestag erwehren – eingebracht von SPD-Obfrau Ute Vogt.
Darin kritisierten die Sozialdemokraten, dass Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) mit den Bürgern im Wendland erst ins Gespräch kommen wolle, wenn vor Ort Fakten geschaffen worden seien. Die Laufzeiten der Atomkraftwerke seien verlängert und Enteignungen der Anlieger per Gesetz möglich, um die Erkundung fortführen zu können. Die SPD forderte die Bundesregierung auf, die Möglichkeit zur Enteignung zurückzunehmen und einen sofortigen Erkundungsstopp zu erlassen, da erst die Ergebnisse des Gorleben-Untersuchungsausschusses abgewartet werden müssten. Der Antrag wurde abgelehnt.
Als der Zeuge Diettrich seine Aussagen abschloss, verließen die Unionsabgeordneten schnell den Saal, als wollten sie diesen Ausschuss gleich mit beenden. Die Parlamentarier der Opposition dagegen hielt es ruhig auf ihren Plätzen, sie unterhielten sich munter. Sie haben viel Zeit.
Autor: Jan Rübel Quelle: Das Parlament 7-8 2011