Komarov: "Das Atomgeschäft ist kein einfaches"

Der Vizechef des russischen Atommonopolisten Rosatom erzählt im Gespräch mit der „Presse“, warum ihn die Abkehr Europas von der Atomkraft wenig beeindruckt und wie er den Weltmarkt erobern will.

Die Presse: In Europa hat nach Fukushima ein Umdenken eingesetzt. In Russland haben Sie gerade einen neuen Atommeiler gestartet, im September im iranischen Bushehr…

Kirill Komarov: Wir gehen in einen Rhythmus von zwei neuen Meilern pro Jahr über. In Russland bauen wir zehn weitere Meiler und wollen den Anteil der Kernenergie bis 2030 von 16 auf 25Prozent steigern. Inklusive Ausland hat sich das Auftragsportfolio von zwölf Meilern im Jahr 2010 auf 21Meiler erhöht.

Was sind die Lehren aus Fukushima?

Die Rechte internationaler Organisationen wie der Atomenergiebehörde (IAEA) bei der Regulierung sind auszubauen. Heute sind die Sicherheitsstandards weitgehend national geregelt.

Warum setzt Russland mit seinem vielen Gas nicht auf diese billigere und relativ saubere Energieform?

Sie fragen ja auch nicht die Arabischen Emirate, warum sie AKW bauen. Russland will weniger Gas und Kohle verbrauchen. Mit der seriellen Produktion verbilligt sich der Atomstrom. Und die Atomtechnologie ist ein riesiger Motor der Ökonomie und Wissenschaft.

Russen bezeichnen die Deutschen mit ihrem Ausstieg aus der Atomenergie gern als Romantiker. Sie auch?

Ich respektiere die deutsche Entscheidung. Als reiches Land kann es den Ausstieg wahrscheinlich verwinden. Aber ich denke nicht, dass es ökonomisch vernünftig ist, denn viele Betriebe wollen so nicht in Deutschland produzieren.

In Westeuropa könnte der Ausstieg aber Schule machen.

Bisher sehen wir das nicht. Deutschland hatte ja vor Fukushima die Atomenergie nicht entwickeln, sondern nur die Laufzeiten verlängern wollen. Bei den Ländern, die diesem Beispiel folgen, war es ähnlich. Derzeit herrscht Aufregung. Aber wenn die Leute zwischen billigem Atomstrom und teuren Alternativen wählen können, ist die Antwort nicht mehr eindeutig. Frankreich und Großbritannien bleiben bei der Atomenergie. Spanien und Osteuropa auch.

Offenbar. Vor zwei Wochen haben Sie in Tschechien ein Joint Venture gegründet. Erhöht das Ihre Chancen auf den Zuschlag zum Ausbau des grenznahen AKW Temelín?

Wahrscheinlich ja. Aber die Kooperation mit der dortigen Industrie passiert nicht mit Blick auf Temelín, wir haben einfach technologisch die gleiche Basis. Baubeginn in Temelín ist frühestens 2017. Bis dahin werden wir viele andere Meiler bauen. Tschechische Betriebe könnten mitarbeiten.

Russische AKW im Herzen Europas? Das macht Anrainer hellhörig.

Wir haben eines der sichersten Modelle, die heute auf dem Markt sind, nämlich die „Generation3+“, die auch Schutz bei einer Extremsituation wie in Japan bietet. Solche AKW bauen wir in Russland und im Ausland.

Nun hat aber Siemens wegen Fukushima die geplante Allianz mit Rosatom abgesagt. Waren Sie enttäuscht?

Technologisch verliert Rosatom nichts, denn es beherrscht selbst die ganze Wertschöpfungskette. Siemens hätte anderes einbringen können: europäische Produktionskultur, gute Vernetzung weltweit, ein anderes Geschäftsgebaren.

Hätte man mit Siemens im Boot nicht an Image gewonnen und die Anrainer im Fall Temelín eher beruhigt?

Eine interessante Frage, die ich Ihnen stellen müsste. Man kann viel über Psychologie reden. Aber ich arbeite lieber mit konkreten Geschäftsparametern. Unser Auftragsportfolio im Ausland belegt den Erfolg.

Experten sagen, Korea und China werden bald zu starken Spielern.

Denke ich eher nicht. Heute können nur Russland, Frankreich und die USA die Generation3+ anbieten. Das Atomgeschäft ist kein einfaches. Fukushima hat zu höheren Sicherheitsanforderungen geführt.

Aber die Ostasiaten bauen billiger.

Warum vergleichen Sie das nur mit den Russen und nicht auch mit der (französischen, Anm.)Areva und der (US-amerikanischen) Westinghouse, die noch teurer sind? Zweitens: Mercedes gilt als Auto, ein Volga aber auch. Und doch sind Welten dazwischen. Aber zugegeben: In China ist heute noch vieles billiger.

Könnte der Preiskampf auf Kosten der Sicherheit gehen?

Natürlich. Sicherheit kostet Geld.

Quelle: http://diepresse.com, 18.12.2011