“die herren machen das selber, dass ihnen der arme mann feyndt wird!”

Ein Nachruf auf Adi Lambke aus Lüchow-Dannenberg von Mathias Edler.

Am 7. Mai 1996 rollt ein Castorzug mit 28 verglasten Kokillen hochradioaktiver Abfälle aus der französischen Plutoniumfabrik La Hague in Richtung Castorverladekran im niedersächsischen Dannenberg. 4000 Menschen hatten drei Tage zuvor auf einer gemeinsamen Kundgebung protestiert. Für die letzten 19 Kilometer Straßentransportstrecke in das Zwischenlager Gorleben muss der Castorbehälter von der Schiene auf einen LKW-Tieflader in Dannenberg umgeladen werden.

Im ersten Tageslicht erreicht mich – damals noch als Sprecher der lokalen Bürgerinitiative – die Nachricht, dass der leere LKW-Tieflader aus Richtung Lüchow kommend ebenfalls nach Dannenberg unterwegs ist. Ein ortsunkundiges ARD-Kamera-Team im Schlepptau, mache ich mich auf den Weg. Die Nachricht von der Ankunft des leeren Tiefladers hat sich schnell herumgesprochen.

Als wir im ersten fahlen Tageslicht in Jameln, sieben Kilometer vor Dannenberg eintreffen, blockieren bereits 50 Menschen friedlich die Bundesstraße – fast alle Einwohner des kleinen Dorfes, die gerade aufgestanden sind. Als der Tieflader sich nähert, werden die protestierenden Bürger sofort mit scharfem Wasserwerfer-Einsatz angegriffen, mit Knüppelschlägen traktiert und nicht wenige an den Haaren von der Straße geschliffen. Die ARD-Reporter filmen aufgeregt und sind gleichzeitig fassungslos über die Brutalität des Polizeieinsatzes. Deeskalation war 1996 noch ein Fremdwort bei vielen Polizeibeamten.

Wir kannten die Folgen vor allem dieser Wasserwerfereinsätze bereits vom ersten Castortransport 1995 ein Jahr zuvor. Die Dannenberger Augenärzte Barbara und Gerhard Goder: “Wir stellten eine Einblutung ins Augeninnere mit Zerreißung des Pupillenmuskels fest. Wir (…) versuchten die Polizeieinsatzleitung auf die Folgenschwere ihres leichtsinnigen Tuns aufmerksam zu machen (…), jedes mal unter Vortrag unserer Bitte, den Wasserstrahl (…) so zu regulieren, dass unsere Praxis nicht zum Feldlazarett würde.”

Was dann am 7. März 1996 in Jameln passierte, ging – gefilmt von den ARD-Reportern – um die Welt. Danach war auch im demonstrationserprobten Wendland nichts mehr wie es vorher war. Denn dann kam Adi Lambke, damals 65 Jahre alt und Landwirt in Jameln. Adi gehört zu der Sorte Menschen, die nicht tatenlos zu sehen können.

Der Polizeibericht schildert die Situation lapidar: “In Jameln wurde die Fahrbahn von ca. 200 militanten Störern besetzt. Aus der Menge fuhr ein Traktorfahrer der Bäuerlichen Notgemeinschaft heraus und wollte einen Wasserwerfer blockieren. Der Landwirt verhinderte zunächst durch Zuhalten der Tür, dass Einsatzkräfte in das Fahrzeug gelangen konnten. Als es Beamten gelang, die Tür zu öffnen, widersetzte sich der Landwirt mit einer Eisenstange und stieß in Richtung der Beamten. Um den aktiven Widerstand zu beseitigen, wurden die Scheiben des Führerhauses von Einsatzkräften eingeschlagen, der Landwirt wurde aus dem Führerhaus geholt, der Traktor von der Straße entfernt.”

Adi war mit seinem größten Fendt-Traktor aus einer Hofeinfahrt mitten auf die Bundesstraße gefahren und hatte sich schützend zwischen Wasserwerfer und die friedlich sitzenden Demonstranten gestellt. Adi versucht verzweifelt von innen beide Türen zu zuhalten, während wild gewordene Polizeibeamte versuchen, die Türen des Schleppers aufzureißen und die Scheiben einzuschlagen. Schließlich zertrümmern die Beamten sämtliche Traktorscheiben des Schleppers und traktieren Adi mit Faust-, Ellbogen- und Knüppelhieben. Blutüberströmt, von Glassplittern übersäht, mit zerrissenem Hemd wird Adi vom Trecker gezogen – wie ein Stück Vieh. Diese Bilder gehen mit den Abendnachrichten um die Welt.

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie schreibt in seinem Bericht: “Die meisten empfanden die Tatsache, dass dieser leere Castor-Transport durchgeprügelt worden war, als ginge es um Leben und Tod, als eindeutige Warnung für den realen Transport am kommenden Tag.” Tatsächlich war der Umgang mit Adi Lambke das Menetekel für einen der gewalttätigsten Castortransporte nach Gorleben – von staatlicher Seite ging jene Gewalt aus.

Gleichzeitig waren die Bilder vom buchstäblich zusammengeschlagenen Bauern aus dem Wendland aber ein Pyrrhussieg für jene Staatsgewalt. Die mutige Aktion eines einzigen Landwirtes und noch viel mehr die blutige Reaktion der Polizei führen zu einer ungeahnten Solidarisierungswelle mit den Atomkraftgegnern in der Provinz. Beim darauffolgenden Castortransport 1997 stellen sich 20.000 Menschen der Atommüllfuhre in den Weg. 517 Traktoren führen den Protest in einem schier endlosen Zug an. An einem der Frontlader hängt ein Banner: “die herren machen das selber, dass ihnen der arme mann feyndt wird!”

Adi Lambke hat bewiesen, dass der einzelne mit einer mutigen Tat in der Lage ist, die Geschichte zu verändern – auch wenn es manchmal etwas dauert. Vorneweg zu gehen, gehört zu Adi’s Lebensgeschichte. Er ist Mitbegründer der Bäuerlichen Notgemeinschaft und schon 1979 einer der Anführer des legendären Hannover-Trecks aus Gorleben in die Landeshauptstadt, der den damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Albrecht (CDU) zur Aufgabe der geplanten Wiederaufarbeitungsanlage im Gorlebener Forst zwingt.

Als Adi und einige wenige Mitstreiter am 25. März 1979 in Gedelitz aufbrechen, besteht der Treck nur aus 40 Traktoren. Doch während die Bauern aus dem Wendland im Schritttempo und Dauerregen Richtung Hannover rollen, meldet die Tagesschau den Größten anzunehmenden Unfall (GAU) im nagelneuen US-amerikanischen Atomkraftwerk Harrisburg. “Vielleicht doch keine so spinnerte Idee, für seine Sache zu kämpfen”, mögen sich viele zuvor skeptische Bürger entlang der Strecke nach Hannover gedacht haben. Am 31. März 1979 erreichen über 300 Schlepper in einem nicht enden wollenden Protestzug begleitet von 100.000 Menschen die Landeshauptstadt.

Adi Lambke hat immer als einer der ersten erkannt, wo Recht zu Unrecht wird und Widerstand zur Pflicht. Er hat 1980 die Bewohner des Hüttendorfes “Republik Freies Wendland” unterstützt, als viele seiner Nachbarn im Einklang mit der CDU-geführten Kreisverwaltung und weiten Teilen von Polizei und Verfassungsschutz wegen der langhaarigen Hippies und Kommunisten noch die Übertragung von Seuchen befürchteten.

Beim großen Treck nach Berlin gegen die AKW-Laufzeitverlängerung der schwarz-gelben Bundesregierung 2009 konnte Adi aus gesundheitlichen Gründen schon nicht mehr mitfahren. Umso mehr hat es uns alle gefreut, als bei unserer Ankunft eine jener wendländischen Blockadepyramiden aus Beton, die sonst auf wundersame Weise die Castorstrecken versperren, ausgerechnet vor dem Bundeskanzleramt auftaucht: Mit den Armen in der Pyramide festgekettet Adi mit seinen Enkelkindern!

Adi Lambke, dessen Familie seit 1711 den Hof in Jameln bewirtschaftet, ging aber auch bei der Landwirtschaft vorneweg. Er hat die Interessengemeinschaft gegen Nachbaugebühren angeführt und jahrelang gegen Großkonzerne gekämpft, die das Recht am Saatgut allein für sich beanspruchen – bis zum Bundesgerichtshof. Als Pionier war er einer der ersten Neulandbetriebe. Er war Mitbegründer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und hat sich weit über die Grenzen des Wendlandes hinaus für die Interessen der bäuerlichen Familienbetriebe und für eine lebenswerte Umwelt eingesetzt.

Adi Lambke ist am 30. Januar 2013 im Alter von 82 Jahren gestorben. Seine Frau Elli hat heute bei der Beerdigung auf dem Dorffriedhof den “Atomkraft-Nein-Danke”-Sticker selbstverständlich am Revers getragen. Auf der Mütze eines ihrer Enkel leuchtete im Schneetreiben ein großes “X”, das Zeichen der Atomkraftgegner im Wendland. Traktoren der Bäuerlichen Notgemeinschaft mit einem Trauerflor am Spiegel säumen den Weg zum Friedhof. Hunderte sind gekommen, um sich von Adi Lambke zu verabschieden – nicht nur aus Lüchow-Dannenberg.

Hinter jeder Bewegung stehen Menschen mit Namen. Adi Lambke ist einer derjenigen, die immer wieder einen neuen Anfang gewagt haben und die auch in aussichtslosen Situationen vorne weg gegangen sind. Mittlerweile stellt Adi’s Enkelgeneration dem Castor im Wendland noch größere und mehr Traktoren in den Weg. Aufgewachsen ist diese Generation mit Vorbildern wie Adi Lambke aus Jameln. Auch vielen von uns Älteren – gerade im Atom- und im Landwirtschaftsbereich von Greenpeace – wird dein Vorbild auch in Zukunft Antrieb und Verpflichtung sein, weiterzumachen. Danke dafür, Adi!

Übernommen aus blog.greenpeace.de, 05.02.2013