Ein Jahr wie dieses…

Martin Donat berichtet, was die BI´ler ohne Castor machen:
Ein Jahr ohne Castortransport war noch lange kein atompolitisch entspanntes Jahr. Nicht nur, dass die 113 heißen Castoren auch so im Zwischenlager vor sich hin und die Grenzwerte am Zaun überstrahlen. Trotz aller Unkenrufe über eine angebliche alternative Standortsuche bleibt Gorleben auch bei allen Vorschlägen zu einem Standortauswahlgesetz weiterhin der einzige vorweg gesetzte Standort und damit erste Wahl.
Neue Endlagersuche? Der Fleck muss weg!
Den Aufruf eines breiten Bündnisses „Der Fleck muss weg“ zum Protest im April gegen die perfiden Pläne und die Zementierung der Vorfestlegung Gorlebens „erbte“ der neu gewählte Vorstand vom vorherigen. Tausende Menschen demonstrierten, eskortiert von 150 Treckern der Bäuerlichen Notgemeinschaft, im April am Schwarzbau gegen die Kungelei der Politik hinter verschlossenen Türen, für die ehrliche Benennung der vielen radioaktiven schwarzen Flecken auf der angeblich weißen Landkarte und den Ausschluss des Irrwegs Gorleben aus der weiteren Endlagersuche. Dieses Problem, dass die Politik sich um die Betrachtung der Fehler, ihrer Ursachen und angemessener Konsequenzen herum drückt, Gorleben doch noch durch die Hintertür legalisieren will und wie diese komplexe Problematik überregional vermittelt werden kann, zog sich als intensives Arbeitsfeld für den Vorstand durch das vergangene Vorstandsjahr.
Vordergründig und flüchtig betrachtet entstand in den Medien und der Öffentlichkeit der Eindruck, das unter Bundesumweltminister Norbert Röttgen von den Juristen des Bundesumweltministeriums (BMU) ersonnene Endlagersuchgesetz erfülle die Forderung der BI nach einer vergleichenden und Sicherheits- orientierten Endlagersuche. Dass dieses Gesetz im Detail jedoch lediglich dazu taugt, die Planungsfehler und juristischen Unsicherheiten zum willkürlich ausgewählten Standort Gorleben auszuräumen, könnte daran liegen, dass es zeitgleich zu den Zeugenvernehmungen des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses Gorleben (PUA) von den Juristen des BMU entwickelt wurde. Ranghöchster Beamter dort ist der von Röttgen eingesetzte „oberste Strahlenschützer“ der Republik, Gerald Hennenhöfer, Atomlobbyist, Atomjurist und Atomberater der letzten Zeugin des Untersuchungsausschusses, der ehemaligen Bundesumweltministerin Angela Merkel. Neu an der Situation war für die Anti-Atom-Bewegung lediglich die Tatsache, dass nach dem Beschluss des Bundestages zur Laufzeitbegrenzung nach Fukushima auch die Spitzen der Oppositionsparteien SPD und Grüne der vergifteten Gesetzesinitiative ihren Konsens in Aussicht gestellt hatten, obwohl zeitgleich sogar eine „Vorläufige Sicherheitsanalyse Gorleben“ auch dem Letzten deutlich machen dürfte, wo die Fortsetzung der Asse mit anderen Mitteln weiterhin geplant ist.
Küchengespräche statt öffentlicher Debatte
Nachdem Umweltminister Röttgen in der Kurve der Energiewende ausrutschte und durch Peter Altmaier ausgetauscht wurde, sprach die BI unverzüglich eine Einladung in das Wendland aus. Der angekündigte baldige Besuch „in wenigen Wochen“ ließ dann doch acht Monate auf sich warten. Die zwischenzeitlichen „Küchengespräche“ des Ministers mit den Parteispitzen von SPD und Grünen begleitete die BI mit unbeantworteten Fragenkatalogen, Pressemitteilungen und Aktionen.
Der niedersächsische Umweltminister Birkner sagte seinen bereits verabredeten Besuch im Wendland sogar nach zwei nichtöffentlichen Gesprächen in seinem Hause kurzfristig und überraschend ab. „Nicht eingehaltene Absprachen“ mussten als Grund dafür herhalten, obwohl die BI sich ob einer ungewohnt freundlichen Haltung gegenüber dem Minister sogar einiger Kritik in eigenen Reihen ausgesetzt gesehen hatte.
Wir führen die Atommülldebatte
Während Land und Bund die Verantwortung für die drückenden Atomprobleme scheuten und diese wie gewohnt kommenden Generationen überantworten wollten, organisierte die BI mit anderen Standortinitiativen eine fortlaufend stattfindende Atommüllkonferenz, auf der die dringend überfällige Atommülldebatte schon einmal begonnen wurde. Nach einer Besorgnis erregenden Bestandsaufnahme im Sommer forderte die kürzlich abgehaltene Frühjahreskonferenz die neue rot-grüne niedersächsische Landesregierung auf, das Endlagersuchgesetz wegen gravierender Mängel und der durchschaubar einseitigen Zielrichtung zu stoppen und ihren Einfluss für ein gesellschaftlich akzeptables Verfahren geltend zu machen.
Stoppt die Atommüllproduktion!
Der einzige wirklich Vertrauens- und glaubwürdige Schutz der Bevölkerung vor radioaktiver Verseuchung besteht immer noch in der sofortigen Beendigung der Atommüllproduktion. Daran hat auch die als Atomausstieg deklarierte Betriebsgarantie für acht deutsche AKW’s bis 2022 nichts geändert, die ohnehin bei weiterer taktischer Verzögerung der Energiewende von entsprechenden politischen Mehrheiten noch einmal verlängert werden könnte. Atomkraft ist immer die mehr oder weniger kontrollierte Atombombe und lässt sich nicht in zivile und militärische Nutzung trennen.
Verstrahlte Landschaften und internationale Solidarität
Das Autokino zum Uranabbau verbunden mit Veranstaltungen indischer und afrikanischer Aktivisten verdeutlichte in bedrückender Weise den mit der Atomkraft verbundenen Genozid und die ungeheure Dimension der radioaktiven Verseuchungskette vom Uranabbau bis zur Atommülldeponie. Der kongolesische Menschenrechtsaktivist Golden Misabiko berichtete von der Herkunft des Hiroshima-Urans und wie der französische Konzern AREVA den Kongo und andere Uranabbaugebiete auch aktuell systematisch aufkaufte. Sechs Wochen nach dem Besuch aus dem Kongo war dann erneut eine Delegation der BI auf Einladung der japanischen Anti-AKW-Bewegung in Japan zu den Gedenkveranstaltungen des Atombombenabwurfes in Hiroshima zu Gast. Neben exklusiver Teilnahme an den Demonstrationen gegen die zynische Atompolitik der japanischen Regierung verdeutlichte auch ein bedrückender Besuch in der Präfektur Fukushima die furchtbare und hoffnungslose Situation der Menschen in Japan. Mit finanzieller und ideeller Unterstützung versuchte die BI, bei der Gründung eines unabhängigen Gesundheitszentrums der „Mütter von Fukushima“ für die vom japanischen Staat und Gesundheitssystem im Stich gelassenen und von der Atomindustrie verseuchten Menschen zu helfen. Bilder, Filme und Berichte über die wendländische Widerstandstradition machten den japanischen Aktivisten Mut, die Entsorgungs- und Endlagerproblematik wurde überhaupt vielfach zum ersten Mal thematisiert.
Film ab! Und viele Aktivitäten
Mit den Filmpremieren „Das Ding am Deich“ und „Friedlich in die Katastrophe“ in der alten Brennerei setzte die BI ebenso langjährige fruchtbare Partnerschaften fort, wie mit Soli-Tanznächten in Platenlaase und einer ganz neuen dortigen Filmreihe „der ökologische Film“, die jetzt an jedem ersten Dienstag im Monat gestartet ist,
Nicht ohne Zusammenhang mit Gorleben fand die BI den Versuch der Landesregierung, den Landkreis Lüchow-Dannenberg zu zerschlagen, so dass auch die Demonstration zum Kreiserhalt Unterstützung fand. Drängender noch waren jedoch die fortlaufenden Ketten-Verlängerungen des völlig veralteten Rahmenbetriebsplans, der zeitgemäße Öffentlichkeits-Beteiligung und Umweltverträglichkeitsprüfung bei der faktischen Errichtung eines Endlagers in Gorleben austrickste. Als erneut eine solche Verlängerung erfolgte, obwohl der Umweltminister bereits lange einen Bau- und Erkundungsstopp in Aussicht gestellt hatte, kam es am Schwarzbau zu spontanen Protesten von Widerstandsgruppen. Die BI klärte zeitgleich unter dem Motto „wir bringen Licht ins Dunkel“ über die wahren Motive der Gesetzesinitiative zur Endlagerdurchsetzung auf. Etliche regionale Castorgruppen erleuchteten derweil die dunklen Machenschaften mit Tanz und Musik.
36 Jahre nach der Standortbenennung kamen ehemalige und derzeitige BI-Vorstände zur größten Vorstandssitzung am Erkundungsbergwerk zusammen, demonstrierten und tauschten anschließend bei Kaffee und Kuchen alte und neue Geschichten aus. Forderungen und Kritik von damals sind immer noch hochaktuell, 110 Menschen gebührt wie auch den über Tausend Mitgliedern der BI der Dank, die schlimmsten Pläne eines nuklearen Entsorgungszentrums bislang noch verhindert zu haben.

MOX statt Castor
Obwohl ohne Castortransport verlief auch der November 2012 nicht ohne Atomtransport. In das Störfall-Spitzenreiter-AKW Grohnde wurden extrem gefährliche MOX-Brennelemente mit dem Inhalt von 30 Atombomben Plutonium auf dem Seeweg mit einem völlig veralteten und nicht Sicherheits-überprüften Schiff verbracht, um dort noch einmal das atomare Feuer anzuheizen. Während die wendländischen Bauern ihre Kollegen in Grohnde bei der Blockade des AKW unterstützten, reiste die BI in die Wesermarsch, wo die giftige Fracht in einem Privathafen bei Nordenham angelandet wurde. Dieser Hafen könnte in Zukunft auch für Castortransporte auf dem Seeweg aus der WAA in Sellafield nach Gorleben dienen. Der MOX-Transport im November konnte wegen der beharrlichen Proteste in Nordenham nur starten, indem die LKW einen Hinterausgang des Hafens benutzten und sich über das private Airbus-Gelände auf die Transportstrecke schlichen. In Grohnde verkeilten sich derweil um die Hundert Trecker in einer Unterführung in der Nähe des großen Camps, mit ungewöhnlicher Härte räumte die Polizei dort mehrfach Blockaden.
Altmaier abgeblitzt
Noch kurz vor Weihnachten konnte eine wendländische Delegation unter Beteiligung der BI endlich den lange angekündigten Besuch des Bundesumweltministers im Wendland für den Januar vereinbaren. Einen Tag nach der Niedersachsenwahl standen jedoch mit einem Wahlsieg von Rot-Grün und vorherigen eindeutigen Aussagen des SPD-Spitzenkandidaten Stefan Weil gegen Gorleben die Vorzeichen vorerst schlecht für das von der Bundesregierung angestrebte Endlagersuchgesetz. Entsprechend inhaltsleer blieben die Einlassungen Peter Altmaiers, offenbar stand wieder einmal die mediale Inszenierung im Vordergrund. Trotz der professionellen Charme-Offensive des Ministers blieben die Gorleben-Gegner eindeutige Punktsieger der Debatte, denn der Minister musste zugeben, noch nicht so vertraut mit der Materie zu sein. Ganz richtig beanspruchte er auch die Kritik allein für sich, einen Atomlobbyisten zum obersten Strahlenschützer der Republik gemacht zu haben und diesen über das Rentenalter hinaus weiter im Amt zu belassen.

Büro und Kampagnenarbeit
Mit den Jahren und einem Wandel der Zeiten ist jedoch auch eine Professionalisierung des BI-Büros eingetreten. Ausschließlich ehrenamtlich ließ sich die umfangreiche Informations-, Kontakt- und Kampagnenarbeit nicht mehr weiter bewältigen. Der Vorstand hat sich entschlossen, zwar vorerst probehalber, aber doch auf Dauer angelegt, zwei bezahlte Arbeitsplätze zu schaffen und für die verbesserten Angebote aber auch entstehenden Kosten vermehrt Unterstützung einzuwerben. Ob dies auf Dauer tragfähig ist, muss sich erst noch erweisen, aber bislang hat sich die Startphase erfreulicher entwickelt, als vorher angenommen. Eine neue Fachgruppe „Fundraising“ soll helfen, die Weiterarbeit zu sichern.
Gorleben Rundschau – aber hallo!
In einem langwierigen und bisweilen manchmal auch mühseligen Prozess hat die Fachgruppe für Layout das Erscheinungsbild der BI überarbeitet, zeitgemäß angepasst und den Vorstand versucht für professionelle Lösungen zu gewinnen. Heraus gekommen sind zwar manchmal nur halb professionelle Lösungen, da man im Vorstand nicht gänzlich auf spontane kreative Entwürfe und die seit Jahrzehnten vertraute Wendlandsonne „im 70’er Look“ verzichten mochte, aber Flyer, „Zur Sache“-Hefte und Gorleben Rundschau erscheinen nun neu, frisch und wiedererkennbar aufgemacht.
Mit der Gorleben-Rundschau haben Vorstand und Redaktion weiterhin ebenfalls einen neuen Weg eingeschlagen und sind auch kalkulierbare Risiken eingegangen. Auf Grund des Anliegens, mit den Informationen, Forderungen und Artikeln möglichst viele Menschen zu erreichen, erscheint die Zeitschrift der Bürgerinitiative nun nicht mehr im Abonnement, sondern wird unentgeltlich einer wachsenden Zahl von Mitgliedern und Sympathisanten zugesandt. Damit verbunden ist allerdings der dringliche Wunsch, das weitere Erscheinen der Zeitung durch Spenden zu ermöglichen. Dem geduldigen, gut informierten und einfallsreichen Team der GR gilt ganz besonderer Dank des Vorstandes.
Fachgruppe Radioaktivität ist Spitze
Die Fachgruppe Radioaktivität hat mit genauen Kontrollmessungen und gemeinsamen Messungen mit der GNS in akribischer Fleißarbeit und großer Professionalität Unstimmigkeiten der Umgebungsüberwachung des Zwischenlagers Gorleben aufgedeckt. Während mit den Messungen der Fachgruppe Entwarnung für die Dorflagen um das Zwischenlager gegeben werden kann, belegen sie jedoch erneut die Überschreitung des genehmigten Grenzwertes am Außenzaun , obwohl erst 113 von 450 genehmigten Castor-Stellplätzen belegt sind. Während der Fachgruppe Radioaktivität großer Dank für ihre objektive Forschungsarbeit und Versachlichung der Debatte gebührt, arbeitet sie schon an ihrem nächsten Projekt, welches die Endlagerdebatte befeuern dürfte.

Seit dem Beginn der anhaltenden furchtbaren Katastrophe von Fukushima trifft ein unermüdlicher Kreis von Menschen sich allwöchentlich bei jedem Wetter in Dannenberg auf dem Marktplatz zur Mahnwache. Am zweiten Jahrestag des japanischen Super-GAU’s gedenkt ein von ihnen mit Unterstützung von BI und Bauern organisierter Protestmarsch vom Dannenberger Ostbahnhof zum Marktplatz der Opfer und fordert die sofortige Abschaltung aller Atomanlagen weltweit. Am Wochenende davor beteiligt sich die Bürgerinitiative mit zwei Bussen an der Aktionskette um das AKW Grohnde und bastelt auf einem wendländischen Streckenabschnitt Aktionspuppen. Nicht nur an das anhaltende nukleare Desaster in Japan, sondern auch an jenes in Tschernobyl und die unzähligen Betroffenen sowie das anhaltende Risiko mit jeder Atomanlage wird die BI auch im April wieder erinnern.
Ausblick
In Zukunft wird es eine weitere Fachgruppe geben: die Fachgruppe Fracking. Diese höchst umstrittene Form der Gasgewinnung könnte auch im Wendland stattfinden. Auf einer ersten großen Info-Veranstaltung konstituierte sich die Gruppe. Ziel ist ein Verbot des Frackings, bei dem unter hohem Druck ein Gemisch von Wasser, Sand und Chemikalien in den Untergrund verpresst wird, um Gas aus Schiefergestein zu lösen. Die Zukunft liegt doch bei den Erneuerbaren Energien.
Weiterhin das Thema vorherrschend sein, wie ein verantwortungsvoller Umgang mit den hochradioaktiven Hinterlassenschaften des Atomzeitalters aussehen könnte und ob es im Vorfeld zu Entscheidungen überhaupt zur Analyse und zum Eingeständnis der bisherigen Fehler kommt. Die Bürgerinitiative wird diese Fehler weiter aufdecken und benennen, aber auch mit anderen Standortinitiativen gemeinsam erarbeiten, welche Anforderungen, Kriterien und Mindeststandards der Beteiligung von Öffentlichkeit für ein glaubwürdiges Vorgehen unverzichtbar sind. Weiterhin werden wir gemeinsam mit anderen den Druck zur sofortigen Abschaltung auch der letzten AKW’s erhöhen, denn:

Sicher ist nur das Risiko.