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Am 22. Mai 2014 nahm die Endlagerkommission die Arbeit auf. Dagegen hat die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg in Berlin und in Gorleben protestiert. Die Kommission als Teil des Standortauswahlgesetzes suggeriere, dass die Endlagersuche neu gestartet werde. Statt wirklich einen Schlussstrich unter die Tricks, Lügen und Verdrehungen der letzen drei Jahrzehnte zu ziehen, bleibe Gorleben als Standort gesetzt, so die BI. Durch das Gesetz und das Beteiligungsverfahren - die Endlagersuchkommission - sollen Umweltverbände eingebunden werden, um Gorleben im Nachhinein zu legitimieren. "Welch Zeitverschwendung", so die BI, "dass nun zwei Jahre lang offen und versteckt über einen Standort gestritten wird, statt eine umfassende Atommülldebatte einzuleiten!" Im Bild: Torben Klages, hauptamtlicher Mitarbeiter der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg

Ort: Berlin
Copyright: Kina Becker
Quelle: PubliXviewinG

Endlagersuche: Wann beginnt Partizipation?

Das „Zeitfenster“. Es war jedesmal das Zeitfenster, das angeblich bald geschlossen wird. Es werden auch in den nächsten Jahren Zeitfenster sein, die sich bald schliessen werden. Denn die Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle muss, so wollen es Union, SPD, FDP und Grüne, in absehbarer Zeit zu einem Ergebnis führen: Spätestens im Jahr 2031. So steht es im Gesetz. Diese Ergebnisorientierung ist es, die das Standortauswahlverfahren zu einem Standort-Durchsetzungsgesetz macht.

Es war ein Sieg für die Widerstandsbewegung: Nach 40 Jahren Planung und Bau war der Verbund aus Regierungen, Behörden und Energiekonzernen mit der umstrittenen Operation Endlagerbau Gorleben gescheitert. Das juristische Lavieren mit Bergrecht und Atomrecht, das Durchsetzen der Castortransporte ins Zwischenlager mit obrigkeitsstaatlichen Methoden war politisch nicht mehr zu legitimieren.

Auch nach dem Neustart: Immer wieder das „Zeitfenster“

Die Initiative zu einem Neustart bei der Endlagersuche war vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten Kretschmann ausgegangen. Er überzeugte 2011 seine eigene Partei und die anderen im Bundestag vertretenen Parteien (bis auf die Linken), eine neue Suche unter einem eigens dafür entwickelten Gesetz zu starten: Dem „Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für hochradioaktive Abfälle“, kurz StandAG.

Nach Auffassung der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg ist eine grundlegende Diskussion über die Art der Endlagerung dafür die Voraussetzung. Also die Frage nach der geologischen Tiefenlagerung, der oberflächennahen kontrollierten Lagerung oder vielleicht sogar die Deponierung in tiefen Bohrlöchern.
Und: Welche Lehren ziehen wir aus dem Endlagerbau in Gorleben? Kretschmanns Initiative wäre der richtige Zeitpunkt gewesen, um mit Bürgerinnen und Bürgern – auch den Initiativen aus der Widerstandsbewegung – in Dialog zu treten. Es hätte der Start für eine wirkliche Bürgerbeteiligung sein können.

Das lehnten Grüne, SPD und Union ab. Begründung: Das Zeitfenster stehe dafür nicht lange genug offen.

Die drei Parteien einigten sich in einem legendären „Küchengespräch“ in der Privatwohnung des damaligen Bundesumweltministers darauf, das Gesetz noch 2013 zu verabschieden. Wieder mit der „Zeitfenster“-Begründung. Es stehe danach nicht mehr offen. Im Herbst waren Bundestagswahlen angesetzt.

Das Gesetz wurde dann von Jurist*innen ohne wissenschaftliche Grundlage entwickelt, durch Bund-Länder-Kompromisse – wie das ausdrückliche Einbeziehen des Standortes Gorleben in das Suchverfahren – und schließlich durch Bundestagskompromisse weiter verwässert. Den drei Parteien ging es vorrangig um zwei Ziele

1. Den Endlagerstandort als Ergebnis eines legitimen Suchverfahrens darstellen zu können.
2. Möglichst zügig zu einem Ergebnis zu kommen.

Kernstück des Gesetzes: Die „Legalplanung“

Dass das StandAG nicht nach der Regel „Sorgfalt vor Eile“, sondern ergebnisorientiert verfasst wurde, zeigt insbesondere sein Kern: Die Legalplanung.

In behördlichen Planungsverfahren sind etliche Schritte vorgeschrieben, damit verbunden sind Einsichts- und Einspruchsmöglichkeiten betroffener Bürger*innen, bis hin zu der Möglichkeit, die Entscheidungen der Behörde gerichtlich überprüfen zu lassen.

Mit Hilfe der juristischen Konstruktion „Legalplanung“ können diese Möglichkeiten fast alle ausgeschlossen werden. Die Bescheide der Behörde werden vom Bundestag als Gesetz verabschiedet – das verkürzt den Rechtsschutz für die Bürger*innen drastisch. Denn damit haben sie ausser einer Verfassungsbeschwerde keine Möglichkeit des Einspruchs mehr.

Die „Legalplanung“ wurde schon bei der ersten Fassung des StandAG 2013 in vielen Beiträgen, unter anderem von Juristen, kritisiert. Ausserdem fiel auch den Befürwortern danach auf, dass sie nicht kompatibel ist mit EU-Recht: Die UN ECE Århus-Konvention fordert bei derartigen Verfahren Rechtsschutz. Deutschland musste die Konvention im Umweltrechtsbehelfsgesetz umsetzen. Letztlich finden sich in der zweiten Fassung des StandAG von 2017 für betroffene Bürger*innen, Gemeinden und zertifizierten Umweltorganisationen dann zwei Klagemöglichkeiten nach Umweltrechtsbehelfsgesetz.

Aber was passiert, wenn ein so früher Verfahrensfehler gerichtlich feststellt wird, dass auch ein im Verfahren beschlossenes Bundesgesetz damit fehlerhaft ist? Eigentlich müsste der Bundestag dann dieses Gesetz aufheben und im Verfahren bis zum gerügten Punkt zurückspringen. Das StandAG gibt darüber aber keine Auskunft. Es wäre also nicht ausgeschlossen, dass sich der Bundestag dann einfach über den Gerichtsbeschluss hinwegsetzt.

Weniger Rechtsschutz, mehr Beteiligung

Als Kompensation für den eingeschränkten Rechtsschutz hat das Gesetz ein System der Öffentlichkeitsbeteiligung in das Verfahren installiert, das verschiedene teils konventionelle teils neuartige Beteiligungsformate miteinander kombiniert. Zum einen können Öffentlichkeit und „Träger öffentlicher Belange“ Stellungnahmen abgeben, wenn ihre Belange durch einen Standortvorschlag des BfE berührt wird. Dafür haben sie allerdings grade einmal drei Monate Zeit. Dann soll es in den betroffenen Gebieten einen Erörterungstermin geben.
Daneben werden für die Öffentlichkeit drei neue Formate angeboten, über die Bürger*innen sich beteiligen können:

3. Fachkonferenz Teilgebiete
4. Regionalkonferenz
5. Rat der Regionen

Fachkonferenz Teilgebiete
Die Ausweisung der Teilgebiete ist der erste Schritt im Verfahren: Aus ganz Deutschland werden geologischen Daten zusammengeholt und die Gebiete ausgeschlossen, die für die Standortsuche – zum Beispiel wegen Erdbebengefahr– als ungeeignet beurteilt werden.

Für die „Teilgebiete“, in denen einer oder mehrere Standorte erkundet werden können, richtet das BfE eine bundesweite „ Fachkonferenz“ ein. Teilnehmen darf jeder interessierte Mensch. Die Konferenz ist aber auf lediglich drei Treffen begrenzt, nicht mehr, und kann eine Stellungnahme abgeben. Dafür hat sie höchstens ein Vierteljahr Zeit, dann wird sie wieder aufgelöst.

Regionalkonferenz
In den als geeignet befundenen Teilgebieten werden dann Standorte zur übertägigen Erkundung festgelegt. In diesen „Standortregionen“ richtet das BfE „Regionalkonferenzen“ ein. Zunächst beruft das Bundesamt eine Vollversammlung ein, deren Mitglieder von ihm bestimmt werden. Die muss sich, so will es das StandAG, erstmal eine Geschäftsordnung geben. Darin sind insbesondere Regelungen zu einer Anhörung der Vollversammlung festzulegen.

Dann wählt sie aus ihrer Mitte Vertreterinnen für den Vertretungskreis: Das ist die eigentlich arbeitende Regionalkonferenz. Diese Vertretungskreise dürfte eine Mischung sein aus mit allen Wassern gewaschenen Regionalpolitikern, Vereinsfunktionären, Feierabendaktivisten und unerfahrenen Bürgerinnen. Die müssen sich auch erstmal zusammenfinden. Es wird also einige Zeit dauern, bis diese Regionalkonferenz überhaupt arbeitsfähig sein wird.

Und die Zeit rennt, denn eine wichtige Frist läuft bereits 6 Monate nach Bekanntgabe der Standorte ab: Die für den Antrag auf Nachprüfung der Standortentscheidung. Und dieser Nachprüfungsauftrag muss den gerügten Mangel sowie den Umfang der geforderten Nachprüfung konkret benennen.

Dass werden die Bürger im Vertretungskreis kaum ohne Hilfe schaffen. Dafür braucht es geologische Expertise. Entsprechende GutachterInnen sind allerdings rar und meistens langfristig ausgebucht.

Es braucht nicht viel Phantasie um sich vorzustellen, dass es kaum möglich ist, einen gut begründeten Nachprüfungsantrag in dieser kurzen Zeit auf die Beine zu stellen. In der Praxis wird dieses Recht also kaum etwas wert sein. Zumal das StandAG auch noch festlegt, dass jede Regionalkonferenz nur einen einzigen Nachprüfungsauftrag stellen kann.

Wie auch immer die Auseinandersetzungen ausgehen, ob es Mehrheiten in der Regionalkonferenz gibt, oder sie unfähig ist, sich zu einigen: Das BfE muss dies nur „berücksichtigen“. Und berücksichtigen kann auch die Ablage im Archiv bedeuten. Entscheiden wird letztlich immer das BfE. Ein Vetorecht wollten Union, SPD und Grüne auch dem im letzten Verfahrensschritt ausgewählten Endlagerstandort nicht zubilligen.

„Konfliktradar“: Das Nationale Begleitgremium und sein Partizipationsbeauftragter

Natürlich war auch den politisch Verantwortlichen klar, dass ungelöste Konflikte zwischen BfE und beteiligten Bürger*innen dem Verfahren schaden würden. Ganz abgesehen von politische Mauscheleien, die ans Tageslicht kämen. Die Legitimität des Verfahrens stände auf dem Spiel, und damit auch die Akzeptanz der Entscheidung für einen Standort. Letztlich würde das Verfahren scheitern.

Solche Konflikte zu identifizieren ist Aufgabe des pluralistisch zusammengesetzten Nationalen Begleitgremiums (NBG). Das NBG ist neben BfE und BGE der dritte wesentliche Akteur im Verfahren, es soll den Prozess der Standortauswahl „begleiten“. Neben den vom Bundestag und dem Bundesrat benannten Mitgliedern gehören ihm auch „Zufallsbürger*innen“ an.

Obwohl es vom Bundesministerium für Umwelt (BMUB) eingerichtet wurde, ist es laut Gesetz nicht in die Behördenhierarchie eingebunden. Im Juni allerdings hat das BMUB – über die Köpfe des NBG hinweg – eine Neubesetzung des Gremiums ausgeschrieben.Und dies, obwohl das StandAG den Mitgliedern, deren „Amtszeit“ 2019 abläuft, die Möglichkeit einer weiteren Periode einräumt. (Wie der Konflikt ausging, war zum Zeitpunkt, als dieser Text geschrieben wurde, unklar.) Damit wurde ein wunder Punkt in der scheinbaren Unabhängigkeit bloßgelegt.

Ein weiterer wunder Punkt ist das Recht des NBG, Daten einzufordern. Die Mitglieder erhalten nach § 8 StandAG Einsicht in alle Akten und Unterlagen des Standortauswahlverfahrens des BfE, der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) sowie der geologischen Dienste. Das Gremium hat ein Selbstbefassungsrecht und kann sich so nach eigenem Gutdünken in schwierige Punkte des Verfahrens einhaken – theoretisch.

In der Praxis scheitert das bereits am fehlenden Geodatenüberlassungsgesetz. Die Geodaten sind die Grundlage für die Verfahrensschritte, in denen Teilgebiete und Standorte mittels Ausschluss- und Eignungskriterien beurteilt werden. Solange aber diese Daten nicht herausgegeben werden dürfen, bleibt das Verfahren intransparent. Die Frage ist, warum Regierung und Bundestagsparteien mit dem StandAG nicht auch gleichzeitig dieses zentral wichtige Geodatengesetz verabschiedet haben. Bislang gibt es keine zuverlässige Auskunft darüber, wann es kommt und wie es aussehen wird. Ohne ein Geodatengesetz, dass die volle Transparenz des Verfahrens auch für die Öffentlichkeit sicherstellt, ist aber das gesamte Verfahren wertlos.

Anlaufstelle für Whistleblower?

Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Gutachten, dass der Partizipationsexperte Hagedorn und der Jurist Gaßner im letzten Jahr angefertigt haben. Beide waren Mitglieder in der Endlagerkommission. Sie schlagen vor, das NBG zu einem Ansprechpartner für „Whistleblower“ zu machen – also Insidern z.B. aus den Behörden die Möglichkeit bieten, anonym Informationen weiterzugeben. Die beiden als Widerstandsaktivisten unverdächtigen Experten gehen also davon aus, dass es durchaus Ungereimtheiten und verdeckte Manipulationen bei BGE und BfE geben kann.

Hagedorn und Gaßners Analyse stellt außerdem eine „Übermacht von BfE und BGE im Verfahren“ fest: Es gäbe ein „Ressourcenungleichgewicht zu den personell sehr gut ausgestatteten Ministerium, der Behörde BfE und der Vorhabenträger BGE und BGZ“. Deshalb schlagen sie vor, jedem NBG-Mitglied einen Referenten beizustellen.

Dieses Ungleichgewicht ist ein wichtiger Punkt. Menschen, die sich wirklich an solchen Prozessen beteiligen wollen, werden mit hohen Anforderungen konfrontiert. Sie müssen sich sachkundig machen und auf dem Stand der Dinge halten, zu häufigen und langen Treffen anreisen, manchmal dort übernachten. Für berufstätige Eltern ist dies kaum zu machen. Das ehemalige NBG-Mitglied Hendrik Lambrecht, einer der Zufallsbürger*innen, zeigt dies exemplarisch. (Lambrechts Rücktrittserklärung ist auf der Internetseite des Nationalen Begleitgremiums zu finden.)

Es reicht deshalb nicht, wenn alle Konferenzen, die das BfE im Laufe des Standortauswahlverfahrens einrichtet, eine Geschäftsstelle und Referenten bekommen. Die Mitglieder müssten von ihren Arbeitgebern dafür freigestellt werden, ausserdem Aufwandsentschädigungen, Sitzungsgelder, Verdienstausfall und Reisekostenerstattungen erhalten – so wie Parlamentarier*innen bis hinunter zu Kreistagsmitgliedern und Gemeinderäten.

Solange die aktiven Bürger*innen dafür ihre Freizeit opfern und alle Unkosten aus eigener Tasche bezahlen müssen, werden in den Konferenzen Berufspolitiker*innen, Behördenmitarbeiter*innen und Pensionist*innen weitgehend unter sich bleiben.

Genau dieses eingeschränkte Publikum war bereits auf den Veranstaltungen zu beobachten, die BfE und BGE tagsüber an Werktagen angesetzt haben. Der Verdacht, dass dies auch so erwünscht sein könnte, ist nicht unbegründet.

Ganz oben in der Hierchie: Das Bundesamt für Kerntechnische Entsorgungssicherheit

Die eigentliche fachliche Arbeit im Auswahlverfahren wird von der Bundesgesellschaft für Endlagerung gemacht, einem Unternehmen in Bundesbesitz. Die BGE ist „Verfahrensträger“: Im Auftrag des BfE sammelt und generiert sie die geologischen Daten, wertet sie aus, schlägt die Standorte vor, die erkundet werden sollen, führt die Untersuchungen durch und bewertet die Ergebnisse. Kein Wunder also, dass der frühere Berichterstatter der CDU Fraktion in dieser Sache, Stephen Kanitz, in die Geschäftsführung der BGE geschickt wurde. Kanitz ist kein Geologe, sondern Berufspolitiker – also de facto die politische Aufsicht der Fachleute.

Über der BGE steht das Bundesamt für Kerntechnische Entsorgungssicherheit. Es ist nicht nur aufsichtführende und taktgebende Behörde des Verfahrens, sondern auch verantwortlich für die Öffentlichkeitsbeteiligung. Es kontrolliert sich praktisch selbst und untersteht direkt dem Bundesministerium für Umwelt.

In den Befugnissen des BfE zeigt sich, dass der Parteienkompromiss den ausdrücklich formulierten Anspruch des Gesetzes, ein selbst lernendes Verfahren zu garantieren, nicht wirklich umsetzen wollte. Im §5 wird zwar festgehalten, dass das Verfahren, speziell bei den Partizipationsformaten, evaluiert werden kann, „falls sie sich als ungeeignet erweisen sollten“. Die Befugnis dafür erhält aber wiederum ausschließlich das BfE.

Partizipation Top-Down

Das NBG darf dem Bundestag immerhin Vorschläge unterbreiten. Eine Anbindung an das Parlament fehlt allerdings, einen Sitz im Bundestagsausschuss für Umwelt hat das NBG nicht. Und angesichts der letzten Konflikte schon bei der Besetzung des Gremiums ist seine langfristige Arbeitsfähigkeit keineswegs gesichert.

Eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Transparenz des Verfahrens sind die Möglichkeiten für interessierte Bürger*innen, an die für das Verfahren relevanten Daten und Informationen zu kommen. Das Gesetz verpflichtet zwar das BfE, die Daten im Internet bereitzustellen, überlässt die Auswahl und die Form, in der dies getan wird, aber allein dem BfE. Abgesehen davon, dass ohne ein Datenüberlassungsgesetz die Daten gar nicht veröffentlicht werden können, ist fraglich, ob Normalbürger*innen überhaupt etwas damit anfangen können. Das BfE müsste sie für Laien lesbar und mit Schlagworten in einer Datenbank auffindbar machen. Das ist bislang nicht geschehen. Und nach den bisherigen Erfahrungen mit dem BfE dürfte sich dessen Bereitschaft zur Kooperation mit kritischen Bürger*innen in Grenzen halten.

Dahinter steht eine autoritär-hierarchische Auffassung von Partizipation. Die interessierten BürgerInnen werden vom BfE nicht als Dialogpartner auf Augenhöhe gesehen, sondern als potentielle Störer.
Gerechtfertigt wird das auch vom BfE mit dem Ziel des Verfahrens, bis spätestens 2031 einen Endlager-Standort zu haben. In seinem Positionspapier zur Öffentlichkeitsbeteiligung stellt das BfE heraus, dass sich die Mitwirkung der Öffentlichkeit dem Ziel, in der gegebenen Zeit einen Endlagerstandort zu finden, unterzuordnen hätte.

Das ist dort ganz unmissverständlich formuliert – grade, wenn es um Konflikte zwischen Bürger*innen und Behörde geht:

„Konflikte sind konstruktiv, wenn sie durch eine kritische Auseinandersetzung mit Sachthemen, durch das Aufwerfen von Fragen und das beharrliche Bestehen auf Antworten zur Klärung beitragen. Solche Konflikte begrüßen wir, weil sie helfen können, bessere Lösungen und Ergebnisse zu erzielen.“

Und wenn sich die Bürger*innen uneinsichtig zeigen?

“Konflikte sind unproduktiv, wenn sie sich in Details und Wiederholungen verzetteln, auf persönlichen Befindlichkeiten beruhen und einzig das Ziel verfolgen, einzelne Standorte zu verhindern und das Verfahren zu verzögern. Solche Konflikte versuchen wir zu vermeiden. Gelingt das nicht, werden wir sie durch eine begründete Entscheidung beenden…“

Dass diese Positionsbestimmung kein Irrtum untergeordneter Pressereferenten war, zeigen auch die Reaktionen des BfE auf eine Pressemitteilung der BI Lüchow-Dannenberg und auf kritische Kommentare von .ausgestrahlt, respektive Jochen Stay. Die BI sah sich mit einer Klage wegen einer angeblich falsch zitierten Äusserung des BfE-Präsidenten König bedroht, .ausgestrahlt wurde in einer Veröffentlichung des BfE mit umstrittenen Behauptungen öffentlich desavouiert. Das BfE hat schon in den Anfängen des Verfahrens gezeigt, dass es mit harten Bandagen gegen vermeintliche Störer vorgeht.

Mitmachen, beteiligen oder boykottieren?

Spätestens 2021 oder 2022 stellt sich für die Regionen, in denen Standorte erkundet werden sollen, die Frage, wie sie mit den Regionalkonferenzen umgehen sollen, die das BfE bei ihnen einsetzt.

Wer bereits kommunalpolitische Erfahrungen gesammelt hat, kann sich gut vorstellen, was passieren wird, wenn das BfE zur Gründung der Konferenz aufruft. Es wird, so fordert es das StandAG, eine Vollversammlung einberufen, die aus in der Region und angrenzenden Regionen gemeldeten Bürgerinnen und Bürgern besteht. (In der Auswahl kann das BfE nach eigenem Gutdünken vorgehen.) Diese Vollversammlung wird sich zunächst eine Geschäftsordnung geben – das ist mühsam und dauert. Dann müssen Vertreter*innen in einen „Vertretungskreis“ gewählt werden. Er soll sich zu je einem Drittel aus den gewählten Bürger*innen, den Vertreter*innen der regionalen Gebietskörperschaften (beispielsweise Gemeinden) und Vertreter*innen relevanter gesellschaftlicher Gruppen (das könnte beispielsweise die Feuerwehr sein) zusammensetzen. Dieser Kreis – also die eigentliche Regionalkonferenz – soll nicht mehr als 30 Mitglieder haben.

Stellen wir uns diese Regionalkonferenz mal bildlich vor: Da werden Parteimitglieder, Kommunalpolitiker*innen, Abgeordnete von Zweckverbänden und Repräsentanten der regionalen Vereinslandschaft an einem Tisch sitzen und sich über die Entscheidung des BfE für eine Erkundung des eigenen Standortes beugen. Und versuchen, ihn zu verstehen. Und sich eine Meinung dazu bilden. Und möglicherweise über einen Antrag abstimmen, diese Entsendung überprüfen zu lassen.

Die zweite Aufgabe, die das StandAG den Regionalkonferenzen zuweist, ist eine „sozioökonomische Potentialanalyse“. Dafür müssen dann Fragen verhandelt werden wie:

Könnte die Region ein Endlager sozial und wirtschaftlich verkraften?
Was müsste sie als Ausgleich dafür bekommen?

Plakativ formuliert: Die Region soll den Preis festlegen, für den der Staat sich dort ein Endlager für den gesamten hochradioaktiven Müll der Republik – immerhin rund 1.900 Tonnen – bauen kann. Dass diese Aufgabe auch Begehrlichkeiten bei einigen Kommunen wecken und zu schweren Konflikten innerhalb der Bevölkerung führen dürfte, kann man sich ausmalen. Die positive Haltung des Gemeinderats in Gorleben (und der Samtgemeinde Gartow) zu den Atomanlagen – und den damit verbundenen beträchtlichen „Gorlebengeldern“ – ist ein Beispiel dafür: Sie hat die Region lange Zeit gespalten. An einigen AKW-Standorten sieht das nicht anders aus.

Mitgestaltung oder Mitmachfalle?

Welche Wirkung hätte es in der Bevölkerung der Region, wenn die Atomkraftgegner*innen dieser Regionalkonferenzen grundsätzlich fernbleiben? Das hängt entscheidend von der Stimmung in der jeweiligen Region ab, und damit auch von der Vorbereitung auf die mögliche Auswahl als Standortregion.

Diese Regionen sind übrigens nicht an die Landkreisgrenzen gebunden, sondern reichen unter Umständen auch bis weit hinein in die Nachbarkreise. Um so schwieriger dürfte es sein, schon im Vorfeld auf eine einheitliche Haltung hinzuarbeiten.

Gleichzeitig müssen die Initiativen aber mitbedenken, dass allein schon die Teilnahme an Diskussionsveranstaltungen des BfE als Partizipation gewertet werden kann. Und, wie wir inzwischen wissen, auch gewertet wird – selbst dann, wenn Vertreter*innen der Initiativen dort ausschließlich Kritik äussern und nicht einmal eine Reaktion darauf bekommen. Diese Beteiligungsformate können somit auch als „Mitmachfallen“ dienen. Und damit zu einem der Bausteine werden, auf denen das BfE seine Legitimationskonstruktion errichtet.

Letztlich müssen die Initiativen die Lage selbst beurteilen und ihre Schritte nach den konkreten Bedingungen vor Ort entscheiden. Eine Empfehlung, die für alle betroffenen Standorte gilt, also etwa eine grundsätzliche Boykott-Empfehlung, wäre meines Erachtens nicht sinnvoll.

Zumal die atomkritischen Organisationen unterschiedlichen Aufgaben haben: Eine regional verankerte und vernetzte Bürgerinitiative wie die in Lüchow-Dannenberg muss sich auch mit der Bevölkerung der eigenen Region verständigen: Schließlich hat sie den Anspruch, deren Interessen zu vertreten. Eine NGO wie .ausgestrahlt trägt diese Verantwortung nicht, so wertvoll ihre Öffentlichkeitsarbeit auch ist.

Bundesweit haben aber beide eine Verantwortung für die ganze Bewegung: Sie müssen verhindern, dass das BfE, die politisch Verantwortlichen und Länderinteressen sie spalten und die möglichen Standorte gegeneinander ausspielen können. In diesem Konfliktfeld zu agieren ist für die örtlichen Initiativen eine anspruchsvolle politische Aufgabe, die ständige Kommunikation und Diskurse untereinander erfordert. Also auch hier viele Treffen, viele Reisen. Viel Zeit und Energie.

Neben den Regionalkonferenzen sieht das StandAG auch einen bundesweiten Rat der Regionen vor, in den die Regionalkonferenzen Delegierte entsenden können. Dort werden sie dann mit Kommunal-Politiker*innen und Vertreter*Innen der Zwischenlager-Gemeinden an einem Tisch sitzen. Die Region Gorleben ist auch Zwischenlagerstandort, wäre also doppelt gefragt. Sollten dann noch, wie es die atomkritische Bewegung fordert, tatsächlich eigene Partizipationsformate zur Zwischenlagerung eingerichtet werden, könnte es schwierig werden, auch für diese Sitze Leute von uns zu finden. Die Auseinandersetzungen mit der komplexen Materie Standortauswahl kosten ebenfalls viel Zeit und Gehirnschmalz. Es gibt nicht viele Aktivist*innen, die daran Gefallen finden.

Schon jetzt sind wir zeitlich kaum in der Lage, die für uns interessanten Veranstaltungen auch zu besuchen – erst recht nicht die Berufstätigen unter uns.

Die Verantwortung der Bürger*innenbewegungen

Schon die zaghafte Top-Down-Partizipation des Standortauswahlverfahrens führt uns personell an unsere Grenzen. Wenn wir über die Voraussetzungen für gelingende Partizipation reden, müssen wir meines Erachtens an weit mehr denken als an Vergütungen und Freistellungen, wie sie Kommunalpolitiker*Innen bekommen. Ein Dialog auf Augenhöhe, wie wir ihn fordern, wird auch uns hohe Anforderungen stellen. Das darf uns nicht daran hindern, eine wirkliche Beteiligung zu fordern – aber die muss dann auch normalen berufstätigen Bürger*innen mit Familien ermöglicht werden. Wenn Partizipation auf die Bildung einer neuen politischen Elite und wieder nur einem repräsentativen System hinausläuft, würde sie ihren Namen nicht verdienen.

Trotz seiner systematischen Webfehler ist das Standortauswahlverfahren auch ein kleiner Schritt in Richtung Partizipation. Die wird sich meiner Meinung nach als immer wichtiger herausstellen – grade auch wegen der Legitimationskrise der Parteien. Wie schnell sich Bewegungen bilden können zeigt aktuell das Thema Klimaschutz. Wenn diese Bürger*innen dann auch ihre Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen einfordern, sind sie völlig im Recht. Die Parlamente müssen mit ihnen in einen Dialog treten – auf Augenhöhe.

Wolf-Rüdiger Marunde, BI-Vorstand (August 2019)

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Wolf-Rüdiger Marunde

Wolf-Rüdiger gehört dem BI-Vorstand seit 2019 an und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem Standortauswahlverfahren bzw. der "neuen" Endlagersuche.