1495d

40 Jahre Republik Freies Wendland

33 Tage freies Leben mit der Utopia: Am 03. Mai 1980, besetzten Tausende Atomkraftgegner*innen ein Waldstück bei Trebel im Landkreis Lüchow-Dannenberg. Es ist die Geburtsstunde der Freien Republik Wendland, die identitätsstiftend für den Widerstand gegen die Atomanlagen in Gorleben wurde.

Innerhalb weniger Tage entsteht auf einem trostlosen, weil zuvor abgebrannten Waldstück ein Dorf aus über 100 Hütten. Die geplante Tiefbohrstelle 1004, eine von vielen, mit der der Salzstock Gorleben auf seine Eignung als „Endlager für radioaktive Abfälle“ untersucht werden soll, wird von Atomkraftgegnern aus dem gesamten Bundesgebiet besetzt.

40 Jahre Republik Freies Wendland

Aus Holz und Lehm entsteht ein phantasievolles Dorf mit allen notwendigen kommunalen Einrichtungen. Willkommen in Utopia: öffentliche Küche, Sauna, ein Freundschaftshaus, Badehütten, Klos, Gewächshäuser, Gärten, Schweineställe, eine Ponyreitanlage für Touristen, ein mit Windenergie betriebener Tiefbrunnen, eine Solar-Warmwasseranlage, ein Klinikum, eine Einreisebehörde mit Passamt – nicht zu vergessen der Wendländische Frisiersalon. Eine perfekte Infrastruktur der in nur wenigen Tagen aus dem Sand gewachsenen neuen Republik, die natürlich auch über ihre eigenen Medien verfügt: vom Turm des besetzten Platzes sendet der republikeigene Sender „Radio Freies Wendland“ auf UKW 101 MHz sein eigenes Programm.

Schlagbäume grenzen die „Republik Freies Wendland“ vom Nachbarland BRD ab. Das Besetzerdorf macht Schlagzeilen. Niemand vermag sich dem Charme und der Faszination dieses selbstbewussten, fröhlichen Zusammenlebens im Dorf entziehen. Gerhard Schröder, damals JUSO-Chef, spricht sich am Ort des Geschehens gegen eine Räumung aus. 2.000 Menschen von überall her machen sich auf nach Gorleben, um das Dorf zu schützen, als sie von der bevorstehenden Räumung hören.

33 Tage dauert dieser Traum von einer autonomen, selbstverwalteten Gesellschaft, der für viele der mehr als 1.000 Dorfbewohner nicht nur ein Kampf gegen Atomenergie und Atomstaat war, sondern auch die gelebte Utopie einer anderen Gemeinschaftsform.

Der Staat antwortet mit Bulldozern, Raupen und „Apocalypse Now“-tauglich geschminkten BGS-und Polizeiaufgeboten und führte den bis dahin größten Einsatz in der Geschichte der Bundesrepublik durch. Die Armada braucht nur wenige Stunden, um alles dem Erdboden gleich zu machen. Im Morgengrauen des 3. Juni 1980 errichten Polizeieinheiten Straßensperren auf allen Zufahrtswegen zum Hüttendorf.

„Innenminister Gerhard Baum und Bundeskanzler Helmut Schmidt ließen sich in Bonn alle dreißig Minuten vom Lagezentrum der Polizei darüber berichten, wie ihre rund 10 000 Helme starke Truppen bei der Räumung und Planierung vorankamen“, schrieb damals die „taz“, in einer Sonderausgabe Gorleben.

Der Sender des Hüttendorfs ließ die Lüchow-Dannenberger Bevölkerung an ihren Radios zu „Ohrenzeugen“ des Geschehens werden:

„Die Leute, die abgeräumt werden, machen gar nichts und werden trotzdem zusammengetreten. Einer kann sich schon kaum noch rühren. Es ist ein Wunder, dass sich der Rest noch an die Abmachung hält und nicht zurückschlägt, keinen Widerstand leistet.“

Trotz Angst und Wut über die gewalttätigen Übergriffe der Polizei, hielten sich die Platzbesetzer an ihr Konzept, die Republik Freies Wendland gewaltfrei gegen die staatliche Übermacht zu „verteidigen“.

„Turm und Dorf könnt Ihr zerstören, aber nicht unsere Kraft, die es schuf!“, so hieß es auf einem Transparent im Hüttendorf 1004.

Verdammt lange her. Doch der für eine ganze Generation identitätsstiftende Geist der Freien Republik Wendland, hat sich bis in die Auseinandersetzungen um die Atommülltransporte nach Gorleben niedergeschlagen.

Die Forderungen der Platzbesetzer von 1004 sind noch heute aktuell:

Auszug aus der Bekanntmachung – vorzeitige Besitzeinweisung – Mai 1980:
„Durch die bergmännische Erschließung besteht die Gefahr, dass der Salzstock Gorleben als Endlager für radioaktive Abfälle genutzt wird, obwohl er dafür nach international geltenden Kriterien nicht geeignet ist. Da andere Salzstöcke nicht untersucht werden, besteht der begründete Verdacht, dass der gläubigen Bevölkerung mit den Tiefbohrungen nur eine Prüfung des Salzstockes vorgespielt wird. Dies bestätigen auch die nicht eingehaltenen Versprechungen von Politikern, deren Kriterienkatalog bis heute nicht existiert.“

Weitere Informationen:

Text: Gorleben Archiv e.V.