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US-Konzerne wollen Reaktoren zurück ans Netz bringen

Die Atomkraft schien abgehakt. Die letzten drei Atomkraftwerke gingen in Deutschland im 15. April 2023 vom Netz. Weltweit sind noch 416 Reaktoren in 31 Ländern am Netz. Nach dem Höhepunkt im Jahr 2018 mit 450 Reaktoren war die Tendenz von Jahr zu Jahr leicht fallend, zur Zeit stagniert die Zahl der AKW weltweit.

Hinzugebaut wird im Wesentlichen nur in China, dort sind 58 AKW am Netz, China hat damit unser Nachbarland Frankreich mit 57 AKW überflügelt, doch die meisten, nämlich 94 z.T. völlig überalterte Atomkraftwerke sind in den USA am Netz. Erstmals seit 2016 gingen 2023 und 2024 mit Vogtle 3 und 4 zwei neue Reaktoren in Betrieb. Mit einer Reihe neuer Dekrete will US-Präsident Donald Trump einen massiven Ausbau der Atomkraft in den Vereinigten Staaten unterstützen. Ziel sei es, die Menge des mit Atomenergie erzeugten Stroms innerhalb der nächsten 25 Jahre von 100 auf 400 Gigawatt zu vervierfachen, sagte ein ranghoher Vertreter der US-Regierung.

Die von Trump unterzeichneten Dekrete sollen den Bau neuer Atomkraftwerke unterschiedlicher Größen erleichtern, die nötigen Genehmigungen deutlich beschleunigen, die Kreditvergabe erleichtern und neue Forschung zum Design von Reaktoren unterstützen. Zudem soll die Herstellung des nötigen Kernbrennstoffs für die Reaktoren natürlich wieder verstärkt in den USA stattfinden.

Die Debatte um die Atomkraftnutzung reißt also nicht ab. Die Unionsparteien, die FDP und die AfD machten sich im Wahlkampf für die Atomkraft stark. Die CSU entwickelte sogar ein Sofortprogramm zur Reaktivierung – nicht nur – der letzten drei Atomkraftwerke. Umfragen zeigten: Die Zustimmung zu dieser Hochrisiko-Technologie stieg, nicht zuletzt, weil seit dem Ukraine-Krieg steigende Kosten für Öl, Gas und Strom Ängste befeuerten. Die Atomkraft hat es letztlich zwar nicht in Koalitionsvertrag geschafft, das heißt aber nicht, dass sich damit die Debatte erledigt hätte.

In Berlin trafen sich im Mai Vertreter aus Politik und Energiewirtschaft im Luxushotel „de Rome“. Mitten unter ihnen: Mark Nelson, Nuklearingenieur aus Chicago und Gründer der Radiant Energy Group. Gemeinsam mit weiteren US-Konzernen analysiert er seit Monaten die Kosten und Chancen eines Wiedereinstiegs in die Atomkraft. Behauptet wurde auf dieser Konferenz, US-Konzerne planten die Übernahme von neun deutscher AKW zur Reaktivierung. „Es gibt auf der ganzen Welt keine günstigere Art, Strom zu erzeugen, als mit euren abgezahlten AKW“, erklärt Nelson im Gespräch mit BILD und bediente damit das atompopulistische Narrativ, die Strompreise in Deutschland seien nur deshalb so hoch, weil die Atomkraftwerke abgeschaltet wurden.

Wer hingegen die Gegenrechnung aufmachen will, hat es schwerer. Dann muss erklärt werden, dass der Strom an der Strombörse festgelegt wird, dass nach dem Merit-Order-Prinzip der Letzte den Strompreis bestimmt, also der, der nach der preiswerten Wind- und Sonnenenergie mit Kohle- und Gaskraftwerken angezapft wird. Erklärt werden muss, was bei der Strompreisbildung auf Netzentgelte und Steuern entfällt und dass beispielweise in Frankreich durch staatliche Subventionen – um den Preis der Pleite für die staatliche Electricité de France (EDF) – der Strompreis schlicht gedeckelt wird. Das ist nicht so eingängig wie die griffige „Erklärung“, der Strom sei teuer, weil die Atomkraftwerke stillgelegt wurden.

Künstliche Intelligenz heizt Strombedarf an

Nelson griff natürlich auch das Thema KI und Strombedarf auf: „Ihr seid genau dann aus der Kernkraft ausgestiegen, als ChatGPT auf den Markt gekommen ist. Jeder weiß, dass KI unendlich viel Energie braucht und genau dann schaltet ihr die besten Kraftwerke der Welt ab.“

Ein steigender Strombedarf ist natürlich nicht von der Hand zu weisen: KI-Boom, Elektromobilität, Wärmepumpen – eine Google-Rechercheanfrage verbraucht 0,3 Wattstunden, eine ChatGPT hingegen schon 2,9 Wattstunden. Experten prognostizieren einen wachsenden Stromverbrauch von 25 bis 50 Prozent bis zum Jahr 2035 und in den USA setzen die „Big Five“ wie Google, Apple, Kairos und Co. auf Atomkraft, Microsoft will ausgerechnet in Harrisburgh einen stillgelegten Reaktor in Three Mile Island reaktivieren – Ältere erinnern sich noch an die Reaktorkatastrophe dort im April 1979 – der legendäre Treck von Gorleben nach Hannover erfuhr gerade deshalb einen so großen Zulauf mit am Ende 100.000 Demonstrierenden, weil es zu einer partiellen Kernschmelze kam. Das Restrisiko erwies als höchst real, nicht nur als bloße Theorie.

Kurswechsel in Berlin

Da wundert es nicht, dass die neue Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) beim Treffen der EU-Wettbewerbsminister sich offen für die Förderung von Small Modular Reactors (SMR) über EU-Gelder – ein Schritt, den Deutschland bislang blockiert hatte. Auch Kanzler Friedrich Merz deutet eine Kehrtwende an. Er möchte den Widerstand gegen die französische Initiative aufgeben, Atomkraft in der EU-Taxonomie als nachhaltige Energieform einzustufen. Ministerin Reiche betonte: „Fakt ist aber, dass jede Tonne CO2, die wir einsparen können, gut ist. Hier müssen wir technologieoffen sein.“

Es ist natürlich absurd, Atomkraft als „nachhaltig“ einzustufen, schon ein Blick auf das Atommüllproblem konterkariert das. Noch gibt es Widerspruch in der Regierungskoalition. Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD) erklärt daraufhin, Deutschland lehne diese Einstufung weiterhin ab. „Äußerungen von einzelnen Mitgliedern der Bundesregierung, es gäbe hier eine neue Offenheit, sind Privatmeinungen“, sagte der SPD-Politiker. Doch der Grat zwischen privater und (regierungs-) offizieller Meinung ist schmal geworden.

 

 

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Wolfgang Ehmke

Wolfgang ist langjähriger Pressesprecher der BI.