Wissenschaftler für Suche nach Alternativen zu Gorleben

Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) hält offenbar seit drei Monaten eine brisante Atomstudie unter Verschluss. In der Expertise, die erst nach der Bundestagswahl veröffentlicht werden soll, empfehlen 100 Wissenschaftler den Bau von neuen Atomkraftwerken in Deutschland und eine neue Endlagersuche im Tongestein, wie die „Financial Times Deutschland“ am Mittwoch berichtete. Die Wissenschaftler werben nach Angaben der Zeitung auch für einen anderen Endlager-Standort als den Salzstock in Gorleben. Für ein Endlager im Tongestein lägen umfangreiche wissenschaftliche Erkenntnisse aus Frankreich, Belgien und der Schweiz vor, so die Wissenschaftler. Schavan hatte sich hingegen wiederholt für Gorleben ausgesprochen. Die Zeitung weist darauf hin, dass die meisten Tonlager in Deutschland in Baden-Württemberg liegen – der politischen Heimat Schavans.

Nach Aussage eines Sprechers des Bundesforschungsministeriums handelt es nicht um eine Atomstudie, sondern um „denkbare Szenarien“ für eine künftige Energiepolitik. „Die Wissenschaft ist frei. Wir haben keine Vorgaben gemacht“, sagte Ministeriumssprecher Elmar König am Mittwoch. Auch würden in dem Konzept keine konkreten Vorschläge für den Bau von neuen Atomkraftwerken gemacht. Im übrigen widmeten sich nur vier Seiten der insgesamt 60 Seiten umfassende „Vorstudie“ mit der Atomkraft. Von einer Atomstudie könne deshalb gar keine Rede sein, sagte König.

Grüne fordern sofortige Herausgabe der Studie

Die „Financial Times Deutschland“ zitiert aus einem Brief des Stuttgarter Technik- und Umweltsoziologen Ortwin Renn an seine Forscher-Kollegen. Darin erklärt der Mitautor der Studie die bisherige Nicht-Veröffentlichung des Gutachtens: „Das Ministerium sowie die Präsidenten der beteiligten Wissenschaftsorganisationen haben sich darauf verständigt, das Konzept erst nach der Bundestagswahl der Öffentlichkeit vorzustellen, da sonst die Gefahr bestände, dass es im Wahlkampf untergeht oder zerredet wird.“ Die stellvertretende Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Bärbel Höhn, forderte von Schavan die sofortige Veröffentlichung der Studie. Wenn im Forschungsministerium der Bau neuer Atommeiler erwägt werde, hätten die Wähler ein Recht, das vor der Wahl zu erfahren, so Höhn. Das Gutachten enthülle, was viele in Union und FDP wirklich wollten: den Bau neuer Atomkraftwerke.

Niedersachsens SPD-Fraktionschef Wolfgang Jüttner sagte: „Jetzt ist die Katze aus dem Sack.“ Seiner Ansicht nach plant die Union Atomkraftwerke, obwohl sie von einer „Brückentechnologie“ redet. Die Landes-Grünen klagten, die CDU wolle der Öffentlichkeit „Sand in die Augen streuen“.

Rückendeckung für Kohl-Regierung

Unterdessen entlastete ein Wissenschaftler in der Affäre um mutmaßliche Manipulationen bei der Wahl Gorlebens als atomares Versuchsendlager die frühere Bundesregierung unter Kanzler Helmut Kohl (CDU). Der damals verantwortliche Abteilungsleiter der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt Helmut Röthemeyer sagte dem Magazin „Stern“, dass die Regierung Kohl in den 80er-Jahren keinen Druck auf Wissenschaftler ausgeübt habe. Zwar sei es bei der Formulierung des Schlussgutachtens für die Erkundung von Gorleben mit Ministeriumsbeamten zum Streit über einen Absatz gekommen, sagte Röthemeyer. Dabei sei es aber nicht um die Eignung Gorlebens als Standort für ein Atommüll-Endlager gegangen. Vielmehr hätten er und seine Experten der Politik geraten, auch andere Standorte auf ihre Eignung zu untersuchen.

Quelle: NDR.de, 16.09.2009