Gesetze gebogen und gelogen

Von Reimar Paul 03.01.2013, gelesen im Neuen Deutschland und hier dokumentiert:

Parteien und Bürgerinitiativen bilanzieren Gorleben-Untersuchungsausschuss
Der Gorleben-Untersuchungsausschuss des Bundestages hat seine Beweisaufnahme abgeschlossen. LINKE und Grüne sowie Atomkraftgegner aus dem Wendland haben die Arbeit des Gremiums schon mal bewertet.
Es ist eine Geschichte von politischem Druck und Manipulationen. Nachdem Aktenrecherchen der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI) und von Greenpeace den Verdacht erhärtet hatten, die Erkundung des Salzstocks Gorleben als Atommüllendlager sei nicht ohne politische Einflussnahme und bewusste Falschinterpretationen von Gutachten über die Bühne gegangen, wurde am 26. März 2010 auf Antrag der Opposition im Bundestag der Gorleben-Untersuchungsausschuss eingesetzt.

Dessen Mitglieder beziehungsweise ihre MitarbeiterInnen sichteten seither mehr als 1700 Aktenordner aus verschiedenen Ministerien, Behörden und anderen Stellen. 74 Sachverständige und Zeugen wurden vor dem Kontrollgremium gehört. Die Linksfraktion legte nun eine Bilanz des Untersuchungsausschusses vor.

»Manche Zeugen konnten sich erstaunlich gut an Vorgänge von vor 35 Jahren erinnern, bei manchen war die konkrete Erinnerung auch an 17 Jahre Zurückliegendes kaum vorhanden«, heißt es darin. Inhaltlich stehe dabei fest: Seit 1977 hätten Bundesregierungen aller Couleur mit der Standortentscheidung oder dem Festhalten an Gorleben als möglichem Endlager für radioaktive Abfälle fatale Fehlentscheidungen getroffen. Dabei seien Messergebnisse umgedeutet, Gutachten beschönigt, Karten gefälscht, Berichte manipuliert und Kritiker geschasst worden.

Am 27. September 2012 musste die ehemalige Bundesumweltministerin und heutige Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor dem Ausschuss aussagen. Dorothée Menzner, energiepolitische Sprecherin und Obfrau der LINKEN im Untersuchungsausschuss, ließ zunächst ein Radiointerview mit der Politikerin aus dem Jahr 1995 einspielen. »Das Wichtigste aus diesem Gutachten ist aber, dass es keinen Standort in der Bundesrepublik Deutschland gibt, der besser geeignet ist als der derzeitige Standort Gorleben«, sagte Angela Merkel damals. Sie fasste damit ein Gutachten zusammen, das Gorleben in Wirklichkeit gar nicht untersucht hatte. Aber die Regierung wollte die Diskussion über alternative Endlagerstandorte ein für alle Mal beenden.

Merkel gestand vor dem Ausschuss den tendenziösen Umgang mit dem Gutachten ein. Aber sie bestritt, seinerzeit gelogen zu haben. Ihre Interviewäußerung rechtfertigte sie mit dem Satz: »Ich war damals noch nicht so perfekt wie heute.«

Die Grünen nehmen in ihrer vorläufigen Bewertung ebenfalls Merkel aufs Korn: Sie habe als Bundesumweltministerin von 1994 bis 1998 ihre Rechtspflicht verletzt, die Bevölkerung bestmöglich vor radioaktiver Strahlung zu schützen. Sie habe nicht zuerst das Volk vor Atomrisiken schützen, sondern die Kernkraftnutzung vorantreiben wollen. Sie habe bei der Standortsuche für Atomabfall »Gesetze gebogen«, Sicherheitsbedenken ignoriert und wissenschaftliche Studien bewusst umgedeutet. Diese Vorwürfe seien durch die Arbeit des Ausschusses klar belegt worden.

Auch aus Sicht der BI liegen »die Beweise, dass Gorleben in den Jahren 1976/77 aus rein politischen Gründen als Standort für ein Nukleares Entsorgungszentrum ausgewählt wurde, auf der Hand«. In den 90er Jahren habe Merkel als Umweltministerin mit aller Kraft den Eindruck suggeriert, Gorleben sei erste Wahl – auch wenn ihr Fachbehörden widersprochen hätten.

Gleichzeitig bemängelt die BI, dass der Fokus nicht auch auf das Jahr 1983 gerichtet worden sei. Nach Abschluss der Tiefbohrungen, die einen Wasserkontakt des Salzstocks belegten, habe die damals federführende Physikalisch-Technische Bundesanstalt angeregt, alternativ zu Gorleben auch andere Standorte zu untersuchen. »Aber das politische Bonn intervenierte, um den Entsorgungsnachweis nicht zu gefährden, der unter anderem an Fortschritte bei der Erkundung Gorlebens gekoppelt war«, so BI-Sprecher Wolfgang Ehmke.

Vergleichende Untersuchungen unter Einschluss Gorlebens hätten damals vor dem Beginn des Abteufens von Schächten noch Sinn gemacht. Die weitere Erkundung in Verbindung mit dem klammheimlichen Ausbau Gorlebens in den 90er Jahren habe aber die Lügengeschichte um die angebliche Eignungshöffigkeit erst komplettiert. »Deshalb verheddern sich die Grünen auch heute politisch, wenn sie einerseits ganz richtig auf Merkels Tricksereien verweisen, zugleich aber Gorleben nach 35 Jahren Lug und Trug als Endlager nicht aufzugeben bereit sind«, sagte Ehmke.