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Ein weißer Fleck in der Genealogie der Namen des Gorleben-Widerstandes

Für die Ablehnung der Atomanlagen in Gorleben stehen in Lüchow-Dannenberg vor allem weibliche Namen, allen voran Undine von Blottnitz, Rebecca Harms und Marianne Fritzen. Aber zumindest für die ersten Jahre und schon gar für den Treck nach Hannover vor 40 Jahren würde in dieser weiblichen Genealogie ein Name fehlen: der von Martin Mombaur.

Ohne ihn, seinen Optimismus, sein Motivationsgeschick, seine Kontaktfreudigkeit, auch seinen Spieltrieb, wäre vieles anders oder gar nicht gelaufen. Ihm gelang, was in der damals geltenden Abgrenzungsordnung schwer vorstellbar war, die Überwindung der Grenzziehungen zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen im Landkreis, wo sich Bauern nicht mit der Bürgerinitiative zusammen tun durften, wo Auswärtige gegen Einheimische ausgespielt werden sollten, wo Atomkraftgegner ohnehin erst einmal als schmuddeliges Pack galten, wie es ein Politiker formulierte.

Martin tanzte zwischen diesen Reihen, brachte sie dazu, aufeinander zu hören und Rücksicht zu nehmen. Das simple Freund-Feind-Schema war nicht seines. Für ihn selbstverständlich, gehörte auch der Kontakt zu Polizei und Landesregierung dazu. So sehr, dass sich die örtlichen Häuptlinge der Pro-Seite aus der CDU darüber beschwerten, dass die BI bessere Kontakte zum Ministerpräsidenten hätte als sie, die sie doch derselben Partei angehörten. Für andere in der Bewegung waren solche Kontakte ein Tabubruch, für den sie Martin mit böswilligen Unterstellungen überzogen, etwas, unter dem er litt.

Das hinderte ihn nicht daran, alle um sich herum mit immer neuen Ideen zu Protestaktionen zu bestürmen. Die Idee zum Beispiel, das Plakat zur Wendlandblockade von einem Aufruf zur Straftat durch die Unterschrift von Joseph Beuys zu einem Kunstwerk und damit unangreifbar zu machen. Solche Eulenspiegeleien waren Martins Element. Oft waren die Ideen schneller als die Realität. Im Rondel, dem einsamen Haus an der Kreuzung im Gartower Forst nach dem Vorbild von Wyhl eine Volkshochschule einzurichten für Ökologie und Naturschutz, kam nie über erste Stolperversuche hinaus.
Für mich war die Begegnung mit Martin (und Elisa) der Beginn einer bis heute 40jährigen Geschichte. Durch Zufall kam ich im Dezember 1978 in der Dachkammer der Mombaurs in der Heimvolkshochsschule für ein Wochenende unter. Am ersten Abend fragte Martin tastend, ob wohl ein Treck, wie ihn zuvor die Bauern vom Larzac gemacht hatten, durchführbar wäre, aus Anlass der bevorstehenden so genannten Flachbohrungen in Gorleben, unter dem Motto: wenn die Besatzungstruppen der Atommafia einrücken, wandert die Bevölkerung aus. In der kargen steinigen Gegend in Südfrankreich sollte ein Truppenübungsplatz eingerichtet werden. Die Bauern, oft Schafhalter, würden vertrieben. Diese Vertreibung kehrten sie um und trieben ein Schafherde bis auf die Champs Elysees in Paris, mit dem Verkehrszeichen „Durchfahrt verboten“, rot mit weißem Strich. So etwas schwirrte Martin an jenem Dezemberabend im Kopf herum. Ich weiß nicht, ob die Idee an diesem Abend geboren wurde, wie Elisa es erinnert. Oder ob in Lüchow-Dannenberg schon vorher darüber gesprochen wurde. Für mich hörte es sich an, als nutzte Martin die Gelegenheit unseres Besuchs, um eine noch vage Idee zu testen.

Das Gespräch begann beim Abendessen und endet am frühen Morgen. Es gab viele Bedenken auszuräumen. Die Frage der Organisation war noch die einfachste. Viel wichtiger war zu klären, ob man das von den Lüchow-Dannenberger Gorleben-Gegnern vertretene Konzept der Gewaltfreiheit eine Woche lang ungeschützt auf der Landstraße durchsetzen könnte. Ob man die Kontrolle behalten könnte in einer Situation, in der städtische Gruppen jede Demo ohne Konfrontation mit der Polizei als lächerlich darstellten, die sich lieber in Fantasien wie bei den Schlachten am Bauzaun in Brokdorf und Grohnde ergingen. Und auf der anderen Seite die Landesregierung, der das gerade recht war und die schon lange vorher von der bevorstehenden Schlacht um Gorleben geredet hatte. Würde man unter solchen Umständen, in denen auch die meisten Medien in Atomkraftgegnern, eben wegen Brokdorf und Grohnde, nur Chaoten, politisch nicht ernst zu nehmenden Randa-lierer sahen, würde man also das eigene Konzept durchsetzen können? Ein Ergebnis dieser Nacht war der Beginn des Trecks: der Tag in Gedelitz, zu dem ausdrücklich nur Einheimische erbeten waren. Die auswärtigen Unterstützergruppen wurden aufgefordert, diesen Tag den Lüchow-Dannenbergern allein zu überlassen. Damit wurde für die folgende Woche das öffentliche Bild in die Welt gesetzt: die Bauern und Bürger des Wendlandes machen sich auf den Weg, das Bild, das für alles Folgende stand, auch wenn es später Tage gab, an denen fast kein einziger Bauer und nur wenige Lüchow-Dannenberger beim Treck dabei waren. Am Ende der Nacht schien Martin die Überzeugung gewonnen zu haben: der Treck ist möglich. Dementsprechend warf er sich in den folgenden Wochen und Monaten so sehr auf dieses Vorhaben, dass er ständig Ärger bekam, weil er seine Arbeit als Dozent in der Volkshochschule vernachlässigte.

In einer zweiten Situation erlebte ich Martin in Hochform. Er hatte in der Göhrde ein Seminar organisiert, zur Hälfte besetzt aus streiterfahrenen Mitgliedern und -innen von Umwelt-Bürgerinitiativen und zur anderen Hälfte aus VW-Arbeitern, Gewerkschafter, die wie die SPD streng fortschrittsgläubig für die Atomenergie waren. Martin als Dozent und ich als Tutor. Die Situation war so konstruiert, dass Funken fliegen mussten. Eine Situation, die Martin liebte. Was zu erwarten war, geschah. In der Wochenmitte war es so weit. Es stand kurz davor, dass man handgreiflich gegeneinander wurde. Die VW-Arbeiter drohten mit Abreise. Bis in die Nacht hinein saß´ Martin mit ihnen in der Kneipe zusammen. Sie blieben, und am Ende der Woche lagen sich BIler und VW-Arbeiter beim Abschied in den Armen. Es flossen Tränen.

Mit dem Erfolg des Trecks war für Martin gesichert, dass die Ablehnung der Atomanlagen im Landkreis feste Wurzeln haben würde. Als es nach dem Bau des Zwischenlagers einige Jahre sehr flau um die Anti-AKW-Bewegung stand, war er zuversichtlich. Wenn es darauf ankäme, wären sie alle da, versicherte er mir. Ich hatte meine Zweifel. In der Zwischenzeit war er Mitbegründer der Grünen in Niedersachsen gewesen und einer ihrer ersten Landtagsabgeordneten. Innerparteilich stand er den baden-württemberger Grünen, speziell Wilfried Kretschmann, näher als den norddeutschen Parteiflügeln. 1990 starb Martin Mombaur, Folgen eines angeborenen Herzfehlers, den er immer heruntergespielt und den zu behandeln er sich immer geweigert hatte.

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Karl-Friedrich Kassel

Karl ist freier Journalist. Er beschäftigt sich seit den Anfängen mit den Atomanlagen in Gorleben.