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Endlagersuche und Selbstorganisation – kein Problem!
Das Atommüllbundesamt BaSE hatte für das zweite Novemberwochenende eine „Statuskonferenz“ angekündigt. Der Stand der Endlagersuche sollte nach Abschluss der Fachkonferenz Teilgebiete, dem ersten formellen Beteiligungsformat bei der Endlagersuche, Thema sein. Die Fachkonferenz hatte gefordert, zumindest zu den gleichen Konditionen weiterarbeiten zu können, um der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) auf die Finger schauen zu können. Man wollte Mitsprache in diesem nächsten Schritt, um zu sehen, mit welchen Tools, mit welcher wissenschaftlichen Begründung die BGE die teils riesigen Teilgebiete in Deutschland, die sie als „potentiell“ für die Endlagerung ausgewiesen hatte, verkleinert, filetiert, um dann in drei, vier Jahren „Standortregionen“ zu benennen. Diese Mitgestaltung sollte selbstorganisiert sein.
Das BaSE ignoriert zunächst diese Forderung, präsentierte dann kurz vor Schluss der Beratungsrunden ein anderes Konzept, wollte unbedingt die Beratungen mit steuern, und das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Die Absage der „Statuskonferenz“ war die Folge, als gäbe es außer der Frage der Partizipation nichts anderes zu bereden.
So war die zweite „Alternative Statuskonferenz“ (ASK) vom 30./31.Oktober, die von den Anti-Atom-Initiativen .ausgestrahlt, der BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg gemeinsam mit dem BUND und der AG Schacht KONRAD ausgerichtet wurde, der Kontrapunkt zu der quälenden Debatte, wie viel Selbstorganisation vom BaSE „gestattet“ wird. Selbstorganisation geht. Da wurde an zwei Tagen hervorragend moderiert, da gab es viel Zeit für den Austausch und die Vernetzung, niemandem wurde das Mikro abgedreht. Viel Beifall gab es von den über einhundert Mitwirkenden.
Andere Themen
Auffälligster Kontrast zu der Fachkonferenz Teilgebiete, die den BGE-Zwischenbericht mit den 90 Teilgebieten unter die Lupe nahm, war das andere Themenspektrum: In den Inputs und Workshops ging es nicht allein um die Frage, wohin mit dem hochradioaktiven Müll.
Die Fragen, die im „offiziellen“ Suchverfahren randläufig sind oder gar nicht näher besprochen werden, nahmen hier einen gleichberechtigten Raum ein: Das Dilemma, dass der Fokus „nur“ auf den heißen Müll gerichtet ist, wurde offensichtlich: Für die Lagerung der schwach- und mittelaktiven Abfälle gibt es kein vergleichendes Suchverfahren. Ursula Schönberger und Silke Westphal von der AG Schacht KONRAD deckten diese Schwäche des aktuellen Suchverfahrens auf. Wolfgang Ehmke von der BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg sekundierte, seine Anträge im Rahmen der Fachkonferenz Teilgebiete diesen Sachfragen die gebührende Aufmerksamkeit einzuräumen, wurden weitgehend wegmoderiert. Dass es vor dem „Neustart“ der Endlagersuche keine umfassende Atommülldebatte gab, dass es diesen Tunnelblick, der sich allein auf die hochradioaktiven Abfälle richtet, gibt, wird absehbar ein großes Problem: erstens fallen mit der Bergung der Abfälle aus der havarierten Asse II und aus der Urananreicherung mindestens noch einmal 300.000 Kubikmeter schwach- und mittelaktiver Abfälle an, die nicht im Schacht KONRAD eingelagert werden dürfen. Hinzu kommt, dass dieser Schacht – hoffentlich – ebenfalls atommüllfrei bleibt, weil der wissenschaftlich gut begründete Antrag auf Widerruf des Planfeststellungsbeschlusses, der beim niedersächsischen Umweltministerium eingereicht wurde, Erfolg haben kann.
Endlagerstandort oder nationales Entsorgungszentrum
Der Wissenschaftsjournalist Jürgen Voges trat für eine gerechte regionale Teilung der Entsorgungslasten ein, die nach dem Ende der Atomstromproduktion zurückbleiben. Er sprach sich dagegen aus, die noch notwendigen oberirdischen Anlagen sämtlich am gesuchten Standort für ein Endlager für hochradioaktiven Müll zu errichten, wie es das Nationale Entsorgungsprogramm der Bundesregierung (Napro) bislang vorsehe. Die beste Geologie zum Einschluss hochradioaktiven Mülls, nach der ja gesucht werde, rechtfertige nur die Errichtung eines Endlagers für diesen Müll, nicht den zusätzlichen Bau eines Endlagers für andere atomare Abfälle, den Bau eines riesigen Eingangslagers für alle Castoren und zudem entsprechender Behandlungsanlagen. All dies sehe das Entsorgungsprogramm aber bislang vor. Ein solches Entsorgungszentrum werde zu massivem Widerstand gegen die Standortentscheidung führen, prophezeite Voges. Als Alternative sei es möglich, den hochradioaktiven Müll bereits endlagerfähig konditioniert zum Endlager zu bringen und dort auf oberirdische Anlagen weitgehend zu verzichten.
Diese Alternative biete sich vor allem dann an, wenn man einen Teil der Castoren vor ihrem Abtransport aus den Zwischenlagern ohnehin öffnen müsse, da die auf 40 Jahre befristete Lagerzeit überschritten werde. Dann könne man das Öffnen mit dem Konditionieren verbinden.
Welche oberirdischen Anlagen am gesuchten Endlagerstandort geplant seien, müsse in jedem Fall vor der ersten Anwendung der planungswissenschaftlichen Abwägungskriterien geklärt werden, also binnen zwei Jahren.
Zwischenlager als Zeitbombe
Oda Becker skizzierte die Probleme eine Zwischenlagerung, die nicht 40 Jahre, sondern eher bis zu 100 Jahren dauern wird – mit all den Problemen, die dann entstehen können: Undichtigkeit des Deckelsystems, fehlende heiße Zellen für etwaige Reparaturen, Unklarheit, was im Innern der Behälter, die schließlich vor der Endlagerung geöffnet werden müssten, abläuft. Die Verzahnung der Themen Endlagersuche und Zwischenlagerei findet im „offiziellen“ Suchverfahren nicht statt.
Völlig offen ist, ob künftig statt der 16 Zwischenlager regionale Zentren mit robusteren Wandstärken errichtet werden sollten – Oda Becker favorisierte dabei die Verbunkerung. Zwischenlager als Zeitbombe? Das wird alles noch an Fahrt aufnehmen, weil ungeklärt.
Der BGE auf die Finger schauen
Michael Mehnert (endlagerdialog.de) setzte sich mit den aktuellen Aufgaben der BGE auseinander. Bereits auf der Fachkonferenz Teilgebiete wurde deutlich, dass die BGE einfach einen Schritt übersprungen hatte, als sie im September 2020 den Zwischenbericht mit den 90 Teilgebieten vorlegte: die 11 Abwägungskriterien wurden – mit einer Ausnahme – nicht angewandt. Der Bericht ist unfertig, beruht in erster Linie auf Bücherwissen und Referenzdaten. Die BGE wird nun alle vorhandenen geologischen Daten einpflegen müssen und das, weil der Bericht zu schnell vorgelegt wurde, für die 90 – statt der erwarteten 30 – Teilgebiete. Dumm gelaufen. Der anstehende Arbeitsschritt nennt sich „repräsentative vorläufige Sicherheitsuntersuchungen“ – sein Tipp: die BGE müsse sich an dem Regelwerk messen lassen, das von der Gesellschaft für Reaktorsicherheit, der BGR und der BGEtec im Auftrag der BGE für die Anwendung der Abwägungskriterien erarbeitet wurde. Die Versuchung, stattdessen pragmatisch vorzugehen und planungswissenschaftliche Kriterien – die nichts mit Geologie zu tun haben – anzuwenden, um zu den „Standortregionen“ zu gelangen, sei groß. Dass die BGE zu Eigenerfindungen neige, zeige sich bereits, wenn neue Begriffe kreiert werden: Neben den Teilgebieten gibt es jetzt „vielversprechende Untersuchungsräume“ und „Sub-Untersuchungsräume“ – im Standortauswahlgesetz und in den einschlägigen Verordnungen ist davon nicht die Rede.
Mitbestimmen oder Zuschauen
Für das Trio – Dörte Themann, Lucas Schwarz und Yasmine Kühl -, das den Partizipationsworkshop bestritt, hatte Dörte Themann in ihrem Input noch einmal den Ablauf der Fachkonferenz Teilgebiete Revue passieren lassen, ihr Titel „Zwischen Anspruch und Wirklichkeit“. Die Fehler der Vergangenheit, ein „Power Over“, also die Durchsetzung der staatlichen oder wirtschaftlichen Interessen, sollten überwunden werden. Das Prinzip hieß „DAD“ – decide, announce und defend. Gegenexpertise bei der Endlagersuche sei nun als „produktiv“ anzusehen, es mache das Suchverfahren „robuster“, die Öffentlichkeitsbeteiligung sollte mit dem neuen Standortauswahlgesetz (StandAG) dem Anspruch deliberativer Prozesse genügen, die „Macht“ im Endlagersuchverfahren sollte im Sinne des „weichen Endlagerstaats“ verteilt werden. Der Mitgestaltung und Selbstorganisation der Zivilgesellschaft werde im Gesetz Raum gegeben – und naturgemäß ginge das nicht konfliktfrei vonstatten, sondern Deutungskonflikte zwischen den Verfahrensbeteiligten seien die Folge.
Der Auftakt der Fachkonferenz sei klar durch das BaSE dominiert gewesen: Themann verwies auf eine dominante Moderation, fehlende Dialogmöglichkeiten und Ressourcen, unklare Wahlen und ein „Notariat“ des BaSE, das darauf achten sollte, dass man „beim Thema“ bleibt. Die Gegenwehr, ein „Power To“, war die Folge: Austritte aus dem Vorbereitungskreis oder der Rückzug von der Konferenzteilnahme und -gestaltung, was nicht gleichbedeutend damit war mit Gleichgültigkeit, auch „von außen“ könne man Einfluss auf den Suchprozess nehmen. Die Beratungen in den Arbeitsgruppen, die zwischen den Beratungskonferenzen tagten, sind für Dörte Themann ein Beleg für „Power With“, ein Empowerment der Zivilgesellschaft, die Anträge, die auf der Konferenz große Mehrheiten fanden – vor allem der zur Einrichtung eines Fachforums in Fortsetzung der Fachkonferenz, um die erkannte Partizipationslücke zu schließen – sind dafür ein Beleg.
Hart oder weich
Wolfgang Ehmke fasste die zwei Tage in seinem Schlusswort kurz zusammen: Die These, der „harter Atomstaat“ sei durch einen „weichen Endlagerstaat“ (Achim Brunnengräber) abgelöst worden, sei so nicht stimmig: Allein die BGE trete in ihren verschiedenen Geschäftsfeldern äußerst unterschiedlich auf: „knallhart“ bei der Verteidigung des Projekt Schacht KONRAD, eher „weich“ im Feld Endlagersuche, sofern es um die Lagerung hochradioaktiver Abfälle geht. Bei dem Versuch, „nicht-regulierbare Sachen zu regulieren“ (Ulrich Smeddinck), müsse bei den „Haltepunkten“ im Fortgang der Endlagersuche genau hingeschaut werden, wie die BGE mit den gesetzlich geforderten Vorgaben umgeht.
Ein gewichtiger Punkt, der gar nicht ins Gesetz eingeflossen sei, seien die Auswirkungen von Klimaveränderungen (steigender Meeresspiegel) und Kaltzeiten (Eislast). – Kurzer Kommentar zu den kursierenden „Partizipationspapieren“, die die Grundlage für ein Fachforum – was die Fachkonferenz Teilgebiete forderte – bilden: das BaSE gibt sich als Dienstleister „weich“, handelt ebenfalls „knallhart“, weil sie – statt die Selbstorganisation der Zivilgesellschaft zuzulassen – in einer Planungs- und Steuerungsgruppe mit Stimmrecht vertreten sein will. Das ist eine lange Leine, gepaart mit dem „Konsensprinzip“ eine Form von Kontrolle. Das verordnete Konsensprinzip in dieser Gruppe verkennt, wie wichtig es ist, die eigenständige Rolle der Zivilgesellschaft bei der Endlagersuche anzuerkennen, im Sinne von Checks and Balances. Beratungsergebnisse, die keine rechtliche Relevanz haben, kämen als Manko noch oben drauf. Die BaSE verkennt offensichtlich den „Geist des Gesetzes“. Denn bis zur Übermittlung der Arbeitsergebnisse in dieser Phase der Endlagersuche an das BaSE ist deren Rolle die eines Dienstleisters für die Mitgestaltung des Suchverfahrens durch die interessierte Öffentlichkeit – für Bürger:innen, Initiativen, Wissenschaftler:innen, Kommunen und – neu – die junge Generation.
Partizipation heißt Mitbestimmung und nicht Zuschauen! Ein solidarisches Suchverfahren braucht Selbstorganisation und nicht die lange Leine des BaSE.
Wolfgang Ehmke
(1) https://www.grs.de/aktuelles/Endlagersuche-Wissenschaftliche_Methodik_fuer_einen_Standortvergleich
(2) Auftakt: http://forschungsjournal.de/node/3144
- Beratungstermin: http://forschungsjournal.de/node/3153
- Beratungstermin: http://forschungsjournal.de/node/3158
- Beratungstermin: http://forschungsjournal.de/node/3161