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Beteiligung gefragt – kritische Anmerkungen
Das Nationale Begleitgremium (NBG) machte sich auf den Weg ins Wendland. Eine Podiumsdiskussion und ein Workshop zum Thema „Mit Gorleben für die Regionalkonferenz lernen“ standen am 9. Septenber auf dem Programm.
Außerdem wurde das Zwischenlager in Gorleben besucht, das bekanntlich im Jahr 2034 seine Genehmigung verliert und „in die Verlängerung“ gehen muss, weil die Endlagersuche sich deutlich länger hinzieht als bei der Verabschiedung des Standortauswahlgesetzes (StandAG) erhofft.
Der Hintergrund: Schon in zwei Jahren will die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) festgelegt haben, welche Standortregionen für die obertägige Erkundung in Frage kommen. Und dann greift das StandAG mit Beteiligungsformaten wie den Regionalkonferenzen und dem Rat der Regionen – die Zwischenlagerstandorte werden dort auch vertreten sein.
Zu vermuten ist, dass am Ende nur noch sechs oder acht Regionen in die engere Wahl kommen. Am 3. November wird die BGE den nächsten Zwischenstand veröffentlichen, im Jahr 2026 dann noch einmal, wir werden sehen, welche Teilgebiete aussortiert werden. Das Wendland ist mit vier Tongebieten auch nach dem Aus von Gorleben 2020 in dem vergleichenden, wissenschaftsbasierten Verfahren noch dabei. Wiederholt haben wir Anregungen eingebracht, auch selbst referiert, zum Umgang mit den schwach- und mittelaktiven Abfällen, zuletzt zu kommenden Kaltzeiten, die mit ihrer enormen Eislasten und der späteren Entlastung Spuren hinterlassen, weite Teile Norddeutschlands müssten aus unserer Sicht im nächsten Schritt herausfallen. Und Ton ist nicht gleich Ton – das werden wir in naher Zukunft näher beleuchten.
Mit der Einrichtung der Partizipationsformate beginnt auch schon die Kaskade an Problemen. Wie werden die Menschen, weil sie nun nicht mehr latent, sondern direkt betroffen sind, darauf reagieren? Wie gehen sie damit um, dass die Genehmigungsbehörde, das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) zugleich für die Partizipation zuständig ist? Ist die Voraussetzung für eine kritische, z.T. pro-aktive Arbeit der Umweltverbände und Initiativen eigentlich gewährleistet? Bleibt es also beim Atomausstieg und damit auch bei einem Stopp der Atommüllproduktion? Warum laufen die Urananreicherungsanlage Gronau – mit sehr problematischem Müll – und die Brennelementefabrik Lingen weiter und produzieren weiterhin Müll?
Diese Fragen wurden auf der Podiumsdiskussion am 9. September in Lüchow überhaupt nicht angesprochen.
Wenn zudem nicht klar ist, was genau seitens der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) gesucht wird, dann lassen sich auch keine klaren Aussagen zu der Frage, was man aus dem Gorleben-Konflikt lernen sollte, treffen.
Natürlich fielen in der Podiumsdiskussion Begriffe wie „Augenhöhe“, „wissenschaftliche Unterstützung“, „Transparenz“ usw. und sofort. Die bisherigen Erfahrungen mit dem BASE und die Unbestimmtheit, was unter Beteiligung letztlich zu verstehen ist, machen unsere Skepsis aus. Dazu hatte ich nach der letzten Endlagerforum bereits Stellung genommen. Deutlich wird in der Fragestellung vor allem, dass Beteiligung nur im Rahmen des Gesetzes gedacht wird. Das ist ein grundlegender Fehler. Beteiligung wird sich niemals auf die formelle Ebene beschränken lassen, die gesetzlich vorgeschriebenen ist und deren Formate noch auszugestalten sind. Wer aus dem Gorleben-Konflikt nicht mitnimmt, wie wichtig Protest und Widerstand, Anregungen, Fragen und Kritik (im weitesten alle Formen von Public Science) ist, der handelt naiv. Für Betroffene ist diese informelle Form der Beteiligung essentiell. Im besten Sinne autonom hat die Protestszene zuletzt auch eine Wächterfunktion. Das gehört zum Checks and Balances, als Gegengewicht zum Behördenhandeln. Die Gorleben-Geschichte ist reich an Beispielen dazu.
Zum Nachlesen:
Wolfgang Ehmke – Endlagersuche: Kooperation statt Selbstorganisation
Behördendominanz
Zum 3. Forum Endlagersuche am 22. und 23. November 2024 kamen 247 Teilnehmende in Würzburg zusammen, um sich über den Stand der Endlagersuche zu informieren. Diskutiert wurden auch die Probleme, die sich daraus ergeben, dass die Endlagersuche deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen wird als ursprünglich vom Gesetzgeber unterstellt.
Die Zwischenlager für hochradioaktive Abfälle mutieren zu Langzeitzwischenlagern. Ursprünglich für 40 Jahre vorgesehen und genehmigt, müssen diese Abfälle voraussichtlich für weitere 80 bis 100 Jahre oberirdisch aufbewahrt werden – mit all den Folgen für die Sicherheit und Sicherung dieser 16 oberirdisch errichteten Lagerhallen an den ehemaligen AKW-Standorten sowie in Ahaus und Gorleben.
Weitere 260 Teilnehmende beteiligten sich online an den Beratungen. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) hat diese Zahlen im Nachgang aufgeschlüsselt. Demnach hätten sich 65 Bürger:innen angemeldet, 124 Teilnehmende sahen sich den kommunalen Gebietskörperschaften zugeordnet, 46 Personen kamen aus der Wissenschaft, weitere 48 haben sich als Beobachter:innen oder Presse angemeldet, 30 ließen sich nicht zuordnen und lediglich 31 Personen hatten sich als Vertreter:innen von gesellschaftlichen Organisationen eingeordnet. 172 Personen hingegen hatten einen beruflichen Bezug zu den Themen. „Sie gehören entweder Bundes- oder Landesministerien an, oder arbeiten direkt bei oder für die Verfahrensbeteiligten, Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) oder dem Nationalen Begleitgremium (NBG) – auch ein Zeichen dafür wie ernst die Behörden und Verantwortlichen die öffentliche Debatte über die Endlagersuche nehmen,“ kommentiert die BGE die deutliche Überlegenheit der Teilnehmenden aus diesem Umfeld.
Verbände und Initiativen auf Distanz
Die BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg kommt zu einer völlig anderen Interpretation der Zählung: Zum einen war schon im Vorfeld des 3. Endlagerforums ein wenig „die Luft“ raus. Anfang November 2024 hatte die BGE ihren aktuellen Arbeitsstand präsentiert und nach der Betrachtung geologischer Daten – vor allem von Tiefbohrungen und seismischen Messungen – erste Vorschläge für den Ausschluss von Teilgebieten unterbreitet.18 Prozent der bisherigen Teilgebietsfläche fallen nunmehr aus einer weiteren Betrachtung heraus.
Einsehbar wird der Arbeitsstand über den BGE Endlagersuche Navigator. Die erklärte Absicht ist, einen solchen Arbeitsstand bis 2027 jährlich zu veröffentlichen. Allerdings können Interessierte lediglich auf „geologische Steckbriefe“ der BGE zurückgreifen. Die Anti-Atom-Organisation .ausgestrahlt moniert deshalb die fehlende Transparenz.
Das weitgehende Fernbleiben von Umweltverbänden und Bürgerinitiativen von derartigen Veranstaltungen findet seinen Ursprung jedoch nicht in der vorgezogenen Veröffentlichung des Endlagersuch-Navigators, sondern in dem Ablauf der Fachkonferenz Teilgebiete, eines „Partizipationsformats“, das im Standortauswahlgesetz (StandAG) festgeschrieben wurde. Die Fachkonferenz Teilgebiete wurde nach Vorlage des sog. Zwischenberichts Teilgebiete der BGE im Jahr 2020 vom Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) einberufen, es gab drei Veranstaltungen, der Start war sehr holperig u.a. wegen der Schwierigkeit in der Corona-Zeit, sich nicht in Präsenz, sondern nur digital austauschen zu können, doch zu diesem Zeitpunkt herrschten Intervention und kritisch-konstruktive Diskussionsbeiträge aus der Zivilgesellschaft vor.
Partizipationslücke
Ein gravierender Fehler des Standortauswahlgesetzes (StandAG), der durch die fachliche Kritik schnell und für alle sichtbar wurde, liegt u.a. darin, dass sich die Fachkonferenz Teilgebiete nach sechsmonatiger Beratung auflösen musste. Auf die so entstehende „Partizipationslücke“ im entscheidenden 2. Schritt der ersten Phase, in der die BGE von 54% der Landesfläche den Fokus auf nur noch wenige, vielleicht sechs bis acht Standortregionen richtet, wiesen zahlreiche Mitwirkende wie auch die BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg in ihren Beiträgen hin und lösten eine breite Debatte aus.
Dabei ging es vor allem um die rechtliche Relevanz der Öffentlichkeitsbeteiligung. Denn die Fachkonferenz hatte innerhalb eines Monats nach dem letzten Termin einen Bericht über die Beratungsergebnisse dem Vorhabenträger BGE vorzulegen (§ 9 Abs.2.3 StandAG). Die BGE ist nach § 9 Abs. 2.5 StandAG ausdrücklich verpflichtet, die Beratungsergebnisse bei ihrem Vorschlag für die übertägig zu erkundenden Standortregionen nach § 14 Abs.2 StandAG ,,zu berücksichtigen“.
Diese gesetzliche Regelung gibt der Beteiligung immerhin einen Hauch von formeller Mitsprache, die über Information, Dialog und Austausch hinausgeht. „Die Beratungsergebnisse der Fachkonferenz Teilgebiete können somit auf den Vorschlag des Vorhabenträgers zur Auswahl der übertägig zu erkundenden Standorte durchschlagen,“ heißt es in einem Kurzgutachten von Dr. Michéle John, Hamburg, 6.07.2020 im Auftrag der BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg und deshalb forderten die Teilnehmenden der Fachkonferenz Teilgebiete mit großer Mehrheit, dieses Beteiligungsforma zu verstetigen und nicht nach sechs Monaten aufzulösen um genau das zu erreichen: Die BGE müsse auch die weiteren Beratungsergebnisse berücksichtigen.
Man konnte gespannt sein, ob das BASE den Ball aufnehmen würde, schließlich bietet das StandAG im § 5 Abs. 3 grundsätzlich dafür die Voraussetzungen. Das BASE kann laut Gesetz die Mitwirkungsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft über die Mindestanforderungen hinaus ausweiten und hätte in dieser Situation die Folgeveranstaltungen entsprechend aufwerten und klarstellen können, dass die BGE alle weiteren Beratungsergebnisse entsprechend § 9 StandAG behandelt – doch das geschah ausdrücklich nicht. Stattdessen zettelte das BASE eine umfassende demokratietheoretische Debatte über „kooperative Modelle der partizipativen Demokratie“ an.
Kooperation statt Selbstorganisation
Dem großen Druck, die „Partizipationslücke zu füllen“, wurde schließlich nachgegeben. Doch nach einer wochenlangen, zermürbenden, das Engagement der Zivilgesellschaft verschlingenden Debatte nach Abschluss der letzten Fachkonferenz entschied das BASE als Partizipationsbehörde – und Geldgeber – den Machtkampf für sich. Die verbliebenen Vertreter:innen der Zivilgesellschaft – erweitert um Bewerber:innen der „jungen Generation“ – arbeiten seitdem ehrenamtlich im Planungsteam Forum Endlagersuche (PFE) – umrahmt vom BASE, der BGE und begleitet von Mitgliedern des Nationalen Begleitgremiums, das den Konflikt nicht zugunsten der Zivilgesellschaft moderierte und brav seine Jahresberichte (“Empfehlungen“) an das Bundesumweltministerium adressiert.
Wie ein Manifest liest sich der Beitrag von Maike Weißpflug, Lukas Kübler, Jochen Ahlswede, Ina Stelljes und Patrizia Nanz unter dem Titel “Experimente erwünscht: Öffentlichkeitsbeteiligung und staatliche Verantwortung bei der Endlagesuche in Deutschland“, der die Zivilgesellschaft fortan am BASE-Tisch Platz nehmen lässt: „Vergleicht man das im Standortauswahlverfahren angelegte kooperative Modell der partizipativen Demokratie mit dem Schleusenmodell der deliberativen Demokratie nach Habermas, ergeben sich daraus neue Schnittstellen und Interaktionsflächen, an denen die Entscheidungswege der repräsentativen Demokratie mit den wissens- und vertrauensgenerierenden Prozessen der Beteiligung verknüpft sind. Die unterschiedlichen Akteure aus Staat, Zivilgesellschaft und Wissenschaft kommen sektorenübergreifend und kooperativ zusammen. (…) Was in der Theorie fortschrittlich und attraktiv klingt, fällt in der Praxis durchaus schwer: Die Erfahrungen der ersten fünf Jahre im Standortauswahlverfahren zeigen, dass das gemeinsame Handeln in den partizipativen Formaten – das „acting in concert” (Hannah Arendt) – ein wechselseitiges Vertrauen benötigen, das aufgrund der Konfliktgeschichte um die Nutzung der Atomenergie sich vor allem zwischen einem kleinen Teil der Zivilgesellschaft (der Anti-AKW- Bewegung) und den staatlichen Akteuren erst etabliert und erarbeitet werden muss.“
Dieses kooperative Partizipationsmodell steht konträr zu einer selbstorganisierten Arbeit zivilgesellschaftliche Akteure. Es ignoriert die Rollenverteilung der Akteure im Endlagersuchverfahren – Operateur BGE – Aufsicht BASE – Kritik, Hinterfragen und eigene Beiträge durch die Zivilgesellschaft und deren wissenschaftliche Beratung, es zementiert die Machtasymmetrien. Die Mitglieder des PFE tragen zu fachlich interessanten Debatten bei, tragen auf der anderen Seite – gewollt oder ungewollt – auch dazu bei, dass das BASE immer noch von „Beteiligung“ sprechen kann.
Das BASE muss am Ende ohnehin die Standortregionen-Vorschläge unter Berücksichtigung der Debattenbeiträge von verstetigten Fachkonferenzen prüfen, so ist es im StandAG geregelt. Von daher hätte das Bundesamt einer Selbstorganisation der Zivilgesellschaft selbstverständlich den notwendigen Raum geben können. Stattdessen nahm die Behörde die verbliebenen zivilgesellschaftlichen Akteur:innen an die kurze Leine – mit der Folge, dass sich die Verbände und Initiativen – wenn überhaupt – nur noch „von der Seitenlinie aus“ an den Fachkonferenzen beteiligen – ganz im Sinne eines informativen Austausches.
Achim Brunnengräber, Albert Denk und Dörte Themann (FU Berlin) kamen bereits nach Auswertung des 2. Endlagerforums 2023 – dort gab es sogar noch Beiträge aus der Zivilgesellschaft – zu dem Schluss: „Die Fallanalyse zeigt, dass das Beteiligungsverfahren bei dieser Forumsveranstaltung aufgrund der staatlichen Einflussnahme nur teilweise als selbstorgansiert beschrieben werden kann. Staatliche Akteure, allen voran das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE), unterstützen zwar die zivilgesellschaftliche Selbstorganisation. Dabei zeigt sich jedoch, dass bestimmte Unterstützungsleistungen auch in Abhängigkeiten und Kontrolle münden können. Das Beteiligungsverfahren war darüber hinaus durch einen hohen Grad der Formalisierung gekennzeichnet sowie durch eine exklusive Selbstorganisation innerhalb der Zivilgesellschaft, die die Teilnahme bisher am Verfahren Unbeteiligter erschwerte.“
Das 3. Endlagerforum wurde vom BASE schließlich ganz ungeniert als Veranstaltung des BASE angekündigt, das schlug sich im Programmablauf nieder. So wurden Panels im Unterschied zu den Vorläuferveranstaltungen nicht mehr von zivilgesellschaftlichen Akteuren als Impulsgeber (mit-) bestritten, diese beschränkten sich aufs Zuhören und auf Fragen.
Beschlüsse und Sachbeiträge nicht berücksichtigt
Dem Planungsteam Forum Endlagersuche (PFE) blieb nach den Fachkonferenzen Endlagersuche hinfort nur der Weg, auf „informelle“ Beteiligung zu setzen, Sachthemen aufzurufen und für eine große Diskursdichte zu sorgen, damit die BGE nicht umhinkäme, diese Themen zu bearbeiten, Anregungen und Fragestellungen aufzugreifen.
Ein gewichtiges Kapitel ist der Umgang mit den schwach- und mittelaktiven Abfällen im Suchverfahren. Selbst wenn der Schacht KONRAD mit einem Abfallvolumen von rd. 300.000 Kubikmeter dieser Abfälle in Betrieb genommen würde, woran es erhebliche Zweifel gibt, denn Umweltverbänden haben bekanntlich beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg Klage eingereicht, kämen noch einmal für die Abfälle aus der Asse II und aus der Urananreicherungsanlage in Gronau über 300.000 Kubikmeter hinzu, die nicht „konrad-gängig“ sind, aber bei der Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle lt. BMUV unbedingt berücksichtigt werden müssen.
Wiederholt haben der BUND und die BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg zu bedenken gegeben, dass wegen des großen, zusätzlich einzulagernden Volumens nicht nur eine ausreichend große Fläche eines Wirtsgesteins relevant ist, sondern dass es durchaus sein kann, dass das angedachte co-disposal Konzept – also zwei voneinander unabhängige Deponien an einem Standort – wegen der Radiotoxizität und der Gasentwicklung nicht aufgeht. Zudem muss das bestmöglich geeignete Wirtsgestein für hochradioaktive Abfälle nicht unbedingt von Vorteil für die Einlagerung schwach- und mittelaktiver Abfälle sein. Eine 407- seitige Studie, die vom BASE in Auftrag gegeben wurde, liefert derartige Anhaltspunkte.
Wie viele Endlager werden eigentlich gesucht, welches Wirtsgestein ist für hochradioaktive, welches für schwach- und mittelaktive Abfälle von Vorteil? Denn es liegt darüber hinaus auf der Hand, dass die ASSE II – Abfälle, die bei einer Bergung mit Salzgrus versetzt sein werden, am besten im Wirtsgestein Salz endgelagert werden könnten.
Die Klärung dieser Fragen im laufenden Suchverfahren sollte nicht auf einen späteren, dann womöglich zu späten Zeitpunkt geschoben werden. Daraus resultiert die Forderung nach einem einheitlichen Suchverfahren für alle Arten von Abfällen.
Im zum 3. Endlagerforum vorgeschalteten Panel zu diesem Thema wurde durch den Input der BGE-Geschäftsführerin Iris Graffunder und die Diskutanten des BMUV jedoch deutlich, dass sie sich mit diesen Fragen nicht oder nicht gründlich genug befasst hatten. Selbst der BGE-Forschungsauftrag zu diesem Thema blieb unerwähnt.
In keiner Weise wurde „berücksichtigt“, was bereits zu diesem Thema auf der Fachkonferenz Teilgebiete und auf dem 2. Endlagerforum vorgetragen wurde. Es herrschte sogar ein heilloses Durcheinander in der Diskussion um die anzuwendenden Sicherheitsanforderungen, die natürlich für alle Abfälle durch das Stand AG § 21 und die Endlagersicherheitsuntersuchungsverordnung (EndlSiUntV) festgelegt sind. Für die zu erwartenden Entwicklungen darf die zusätzliche effektive Dosis für Einzelpersonen der Bevölkerung nur im Bereich von 10 Mikrosievert pro Kalenderjahr liegen. Für die abweichenden Entwicklungen darf sie bei 100 Mikrosievert pro Kalenderjahr liegen – im krassen Unterschied zu den Sicherheitskriterien aus dem Jahr 1983, die für den Schacht KONRAD gelten, diese erlauben 300 Mikrosievert pro Kalenderjahr.
Der Unterschied im Umgang mit hoch- bzw. schwach- und mittelaktiven Abfällen besteht lt.§ 21.Absatz 2.2 „lediglich“ darin, dass diese nicht-rückholbar eingelagert werden sollen, was mit Blick auf das Asse II- und Morsleben-Desaster ein Desaster ist.
Selbst die Abschätzung der zu erwartenden Mengen ist nicht möglich, weil es eine unbegrenzte Betriebserlaubnis der Urananreicherungsanlage Gronau gibt. Die Betreiberin Urenco sieht das Mengenproblem zudem als Betriebsgeheimnis und kündigte unterdessen an, künftig die Produktion von 3700 t Urantrennarbeit auf die genehmigten 4500 t Urantrennarbeit pro Jahr zu steigern.
Kommende Konflikte
Der naive Gedanke, der hinter dem demokratiewissenschaftlichen Diskurs steht, ist, dass das Suchverfahren, weil wissenschaftsbasiert (ja richtig), transparent (naja), selbstlernend (nein danke) die Menschen an den möglichen Standortregionen und an prospektiven Standorten „überzeugt“.
Der Partizipationsbeauftragte des Nationalen Begleitgremiums, Hans Hagedorn, sowie die Mehrzeit der NBG-Mitglieder gehen davon aus, „dass es auch bei zunehmender Betroffenheit in den Regionen nicht zwangsläufig zu großen Empörungen kommen muss. Vielmehr könne man auch ein Szenario in Betracht ziehen, wo die Standortauswahl ein relativ technischer Vorgang bleibt, der im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Herausforderungen wenig Aufmerksamkeit erzeugt.“ Das BASE müsse auf Kommunalverwaltungen zugehen, „damit diese sich vorsorgend auf die Situation einstellen, sich inhaltlich und organisatorisch vorbereiten können. Unbedingt zu vermeiden sei eine Situation, in der die Standortauswahl gar keine nennenswerte Aufmerksamt mehr erhält und dann auf eine völlig unvorbereitete Region trifft. In einem solchen Fall könnten populistische Akteure die Situation zu einer Eskalation nutzen.“
Hagedorn regt an, dass die BGE regionale Arbeitsergebnisse so deutlich kommuniziert, dass ein „konstruktiver Grad an Betroffenheit“ entsteht.
Das zeigt, wie wenig Bewegungswissen im NBG und den Behörden vorhanden ist, denn so, wie hier gedacht, dass sich allein im Rahmen der vom Gesetz her vorgesehenen Beteiligungsformate Vorortkonflikte beruhigen und versachlichen lassen, wird es mit Sicherheit nicht laufen, weil beginnend mit der Benennung von Standortregionen einer neuen „frischen Betroffenheit“, der mit der Atommülllagerung verbundenen Angst und Verunsicherung kaum mit dem Verweis auf ein vorher kooperatives Modell begegnet werden kann. Ein solcher naiver Gedanke kann nur in der Blase der Endlagercommunity entstehen, in der fein zwischen Akzeptanz und Akzeptabilität unterschieden wird. Doch das wird den Betroffenen nicht wichtig sein, ihr erster Impuls wird sein, dass „das Zeug“ nicht in ihrer Region unter die Erde kommt.
Protest und Widerstand müssen „eingerechnet“ werden. Wer nicht bedenkt, dass auch eine informelle Beteiligung, also „ungezügelter Protest“ ein wichtiger Beitrag ist, wer nur auf die formelle, vom Gesetz her vorgeschriebene Beteiligung setzt, wird absehbar Probleme bekommen. Die Endlagersuche kann sich weiter verzögern, weil es keine weiterreichende Partizipationsmöglichkeiten gab und gibt und die Zivilgesellschaft die Fehler, die im Umgang mit der Partizipationslücke gemacht wurden, aufgreifen und thematisieren kann.
Hinzu kommt die Verunsicherung, ob es auch in Deutschland über die bestehenden Atomanlagen in Gronau und Lingen sowie Forschungsreaktoren wie in Garching hinaus eine Rückkehr zur Atomkraft geben könnte. Dann würde das dünne Eis ohnehin brechen, denn der kritisch-konstruktive Umgang mit der Atommüllentsorgung durch Umweltverbände und Anti-Atom-Initiativen setzte und setzt den Atomausstieg voraus.
Womöglich wird sich am Ende die Legalplanung, also die Beratung der Einengungsschritte im Endlagersuchverfahren durch den Bundestag und deren Verabschiedung per Gesetz, als größtes Hindernis erweisen: zu befürchten ist, dass das wissenschaftsbasierte Suchverfahren von Länderinteressen und Parteienegoismen überlagert wird.
Stand 3.9.205