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Im Porträt: Wolfgang Ehmke
Im kostenpflichtigen Tagesspiegel Background ist kürzlich ein Porträt unseres Pressesprechers erschienen, welches wir hier abdrucken dürfen – dafür herzlichen Dank!
Wolfgang Ehmke dürfte derzeit eigentlich nicht viel zu tun haben. Gerade erst kam es in seinem Beisein zur letzten symbolischen Einfahrt in den Salzstock Gorleben. Die fünf Meter hohe Mauer, die das Bergwerk umgab und mit Stacheldraht versehen war, wird abgerissen. Jahrzehnte lang kämpfte Ehmke gegen den angedachten Endlagerstandort.Seit 2013 ist die Suche wieder völlig offen, es gilt die „weiße Landkarte“. Doch Ehmke reicht das nicht: „Gorleben bleibt ein schwarzer Fleck auf der weißen Landkarte“, sagt er. Der Aktivist sieht es mit „gemischten Gefühlen“, dass so ein riesiges, ausgebautes Bergwerk angeblich nicht mehr genutzt werden soll und doch offengehalten wird. „Für uns gehört Gorleben auf den Misthaufen der Atomgeschichte.“
Seit über vier Jahrzehnten engagiert sich der 71-Jährige gegen die Atomkraft. Ehmke war eines der Gründungsmitglieder der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, die sich seit 1977 gegen Gorleben als Endlager-Standort einsetzte. Kein Standort erfuhr den Widerstand der Anti-Atomkraft-Bewegung stärker als Gorleben. Die Initiative, mitgegründet auch von der späteren Europaabgeordneten der Grünen, Rebecca Harms, stand im Zentrum der Bewegung. Ehmke war dabei, als die Initiative im März 1979 etwa 300 Traktoren und Tausende Menschen für den Gorleben-Treck zusammenbrachte, organisierte mit dieser den Protest gegen die Castor-Transporte. Seit 1989 ist er fast durchgängig ihr Sprecher.
Für Ehmke waren es die Bilder des Protests, die ihn in die Anti-Atom-Bewegung zogen – und die Bilder der Gewalt. Ehmke, geboren und aufgewachsen im Wendland, absolvierte nach dem Abitur seinen Wehrdienst, bevor er ab 1968 in Hamburg Germanistik und Romanistik studierte. Dort beeinflussten ihn die „Ausläufer der Studentenrevolte“, wie er heute sagt. 1976 zog er mit rund 5000 Menschen vor die Baustelle des Akw Brokdorf, sah, wie berittene Polizisten in Gruppen friedlicher Demonstranten drängten und sie zu Fall brachten. „Ich war entsetzt über den Polizeieinsatz. Die Bilder blieben im Kopf.“ Ehmke begann sich zu informieren und zu diskutieren. „Als 1977 Gorleben als Endlagerstandort benannt wurde, war das mein Thema“, sagt er.
Der Widerstand gegen ein Endlager in Gorleben ließ ihn nicht mehr los. Zwar arbeitete er als Berufsschullehrer viele Jahre in Hamburg und ging später für drei Jahre als Fachberater an die deutsche Botschaft in Ankara. Doch nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl intensivierte er sein Engagement, wurde erstmals Sprecher der Initiative und rückte Anfang der 1990er-Jahre in den Kernenergiebeirat in Mecklenburg-Vorpommern. Dort beriet er mehrere Jahre etwa zu Fragen der Zwischenlagerung oder des Akw-Rückbaus.
Seit die Endlagersuche nicht nur Gorleben im Blick hat, sind Ehmkes Ziele weiter gefasst. Mit der Bürgerinitiative begleitet er die Endlagersuche äußerst kritisch. „Das Standortauswahlgesetz muss nachjustiert werden“, sagt er. „Es gibt einen riesigen Mangel an Transparenz und Mitgestaltungsmöglichkeit.“ Gegen die Zivilgesellschaft sei schließlich kein Endlager durchsetzbar. Der Aktivist hält auch den zeitlichen Ablauf für viel zu eng, selbst bis zur Veröffentlichung jenes Berichts, der Mitte 2020 mögliche Gebiete für ein Endlager nennen soll. „Der Zeithorizont allein bis 2020 lässt gar nicht zu, dass es ein lernendes Verfahren ist, von dem Behörden gerne sprechen“, sagt Ehmke. Ein Landkreis habe nur sechs Monate Zeit zu reagieren, wenn Behörden die Region als Endlager vorschlagen. So, wie die Endlagersuche nun konzipiert sei, müssten spätestens 2020 alte Konfliktlinien aufbrechen.
Ehmke hat auch die Asse im Blick, den instabilen Salzstock, in den zwischen 1967 und 1978 rund 126.000 Fässer mit radioaktiven Abfällen eingelagert, teilweise regelrecht gekippt wurden. Bergleute der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) arbeiten ständig daran, das Bergwerk bis zur Rückholung ab 2031 intakt zu halten. „Nirgendwo sieht man besser, was für eine Absurdität die Atomkraft darstellt – mit welchen Folgen wir leben müssen“, sagt Ehmke. Auch gegen Schacht Konrad, das in Bau befindliche Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle, positioniert er sich. Ein Standort, der vorher als Bergwerk genutzt wurde, solle nicht als Endlager infrage kommen, sagt Ehmke. Wasser könnte auch hier einen Weg ins Bergwerk finden.
Schaut Ehmke auf die Jahrzehnte des Protests zurück, sieht er die Atomkraft schon fast als Teil der Vergangenheit. Nun geht es um die Abwicklung. Eine Sorge bleibt: Dass die Wahl am Ende doch auf Gorleben fällt. „Je schneller man versucht, ein Endlager zu finden, desto eher wird es Gorleben – vor allem da bereits zwei Milliarden Euro investiert wurden“, sagt Ehmke. „Letztlich wird es doch eine politische Entscheidung.“
Wer ist Ihr Stromversorger, und warum gerade dieser?
Ich habe mich sehr früh für die Stromrebellen aus Schönau entschieden. Zum einen, weil diese Genossenschaft aus der Anti-AKW-Bewegung hervorgegangen ist. Zum anderen, weil sie nicht nur Öko-Strom einkaufen, sondern auch in den Ausbau der Regenerativen investieren.
Was müsste passieren, damit Sie sich ein E-Auto zulegen?
Ich lebe im Wendland, ohne Auto ist man hier aufgeschmissen, in der Stadt würde ich auf ein Auto verzichten. Seit kurzem fahre ich ein Auto, das um die vier Liter verbraucht, denn ich verhalte mich gegenüber E-Autos abwartend. Ich habe den Eindruck, dass die Einführung der Elektromobilität nicht ganz zu Ende gedacht wird. Was wäre, wenn es plötzlich heißt, dass man wegen des steigenden Stromverbrauchs 2022 nicht aus der Atomkraft und 2038 – was ich für viel zu spät halte – nicht aus der Kohleverstromung aussteigen kann? Und vielleicht ist Wasserstoff die eigentliche Alternative?
Wer aus der Energie- und Umweltszene hat Sie beeindruckt?
Ich fand die Aktivist*innen bewunderswert, die Atommülltransporte dadurch gestoppt haben, dass sie in einer Betonpyramide auf der Straße und Schiene steckten. Der Widerstand gegen die Castortransporte nach Gorleben ragte in seiner Entschlossenheit und Kreativität heraus und im Wendland wurde auf der Straße der Atomausstieg auch im wörtlichen Sinne „verhandelt“. Die vielen Unbekannten und Ungenannten, die sich persönlich engagiert haben, haben das politische Klima für den Atomausstieg nach Fukushima geschaffen. Und der Funke ist längst übergesprungen auf die Aktivist*innen, die den Abbau von Braunkohle verhindern wollen, und die jungen Leute, die freitags für Klimaschutz und Klimagerechtigkeit demonstrieren.
Welche Energie-Innovation der vergangenen Jahre war für Sie die wichtigste? Welche würden Sie sich wünschen?
Mir fallen viele kleine Beispiele ein, aber nicht „das“ herausragende. Ich habe in erster Linie Bastler und Tüfftler vor Augen, Einsparmodelle in den Bereichen Mobilität, Wohnen, Industrie. Nullenergiehäuser, Tiny Houses. Schnelles Internet und Homeoffice statt täglicher Autofahren in die Firma oder kostenloser ÖPPNV; die Solaranlage auf dem Balkon, das Kleinkraftwerk zu Hause; Ersparnisse durch Lastenverschiebung: die Wuppertaler Stadtwerke erstellen zum Beispiel auf Basis von aktuellen Börsenpreisen Energienutzungs-Fahrpläne für die Unternehmen, Stichwort Happy-Power-Hour-Box. Klug, machbar, innovativ. Neben dem Kleinklein, das nicht unbedeutend ist, wäre mein Wunsch, dass es in der Zukunft Speichertechniken gibt, die die volatile Einspeisung von Strom aus Wind- und Sonnenkraftwerken günstig und verlässlich puffern.
von Matthias Jauch