bi-blog
Atomkraftwerke in der DDR – Geschichte und Widerstand
„Kommunismus ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung“
Wladimir Iljitsch Lenin
Als die Wolke aus Tschernobyl über weite Teile Europas hinweg zog, blieb das auch in der DDR nicht unbemerkt. Niederschlag fand das u.a. in Christa Wolfs Roman „Der Störfall“. Mütter saßen vor dem Radio und bemühten sich, die neuen Wörter zu lernen. Becquerel. Halbwertzeit. Jod 131. Cäsium. Das rieselte nun alles herab mit dem Regen.
Der „Störfall“ war auch ein politischer, denn in der DDR war die Atomkraftnutzung ein Ausdruck der Entwicklung der sozialistischen Produktivkräfte. In sowjetischen Obininsk ging am 26. Juni 1954 das weltweit erste Kernkraftwerk, das elektrische Energie in ein öffentliches Stromnetz lieferte, ans Netz. Ein Sieg des Sozialismus über den Kapitalismus! Denn der Westen hinkte zwei Jahre mit dem AKW Calder Hall in Großbritannien hinterher…
Doch auch in der DDR gab es Widerstand gegen die Nutzung der Atomenergie – die große Anti-Atombewegung, wie in Westdeutschland, gab es in der DDR so aber nicht. Mit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl begannen viele Diskussionen, die in den öffentlichen Medien der DDR aber so nicht vorkamen. Menschen stellten Fragen zur Strahlenbelastung und Sicherheit der Kernkraftwerke in der DDR.
Die SED und das Ministerium für Staatssicherheit (MFS) versuchten mit allen Mitteln, jeglichen Widerstand zu verhindern. Umweltgruppen in der DDR, meist bei der Kirche angesiedelt, verbreiteten kritisches Info–Material.
Schon vor der Wiedervereinigung gab es den „kleinen Grenzverkehr“, eine Zusammenarbeit zwischen kirchlichen Gruppen im Raum Stendal und den Gorleben-Gegner*innen. Flugblätter und Bücher wurden rüber geschmuggelt und am 3. Februar 1990 fand die erste „Deutsch-deutsche Anti-Atom-Demonstration in Gorleben statt, im Frühjahr wurde in Stendal demonstriert.
Tagung: Atomkraftwerke in der DDR – Geschichte und Widerstand
Mit Aktivisten, Künstlerinnen, Wissenschaftlern wollen wir uns dem Thema der Atomenergie in der DDR annehmen und dies von verschiedenen Seiten beleuchten. Die Tagung soll dazu dienen, einen ersten Überblick über das Geschehen in der DDR zu gewinnen. Und das reicht auch noch bis heute. So dauern der Rückbau der KKW Rheinsberg und Greifswald bis heute an, der Uranbergbau der Wismut AG und die Energieprobleme der DDR sollten 30 Jahre nach der Wende unbedingt angesprochen werden. Der Umweltverband GRÜNE LIGA, der meist in Ostdeutschland vertreten ist, lädt zu einer Tagung ein, in der es um Geschichte und Gegenwart geht.
- Die Konferenz findet am 16. November im Haus der Demokratie und Menschenrechte in Berlin statt, und zwar von 10 bis 16 Uhr. Die Adresse: Greifswalderstr. 4.
Ein Kostenbeitrag von 7 Euro pro Person wird erhoben.
Anmeldung erbeten: https://grueneliga.de/atomtagung
Wolfang Ehmke, Pressesprecher der BI und langjähriger Aktivist, wird u.a. zu Kontakten der BI in die DDR, besonders zu den Protesten ab 1990 in Stendal berichten.
Rückblick: Protest-Hütten im PKA-Wald und erste „deutsch-deutsche“ Anti-Atom-Demo in Gorleben
Am 1. Februar 1990 besetzen am frühen Morgen mehrere 100 Gorleben-GegnerInnen den Wald, auf dem die PKA gebaut werden soll und beginnen Hütten zu bauen. „Ein Hauch der Freien Republik Wendland wehte durch den Gorlebener Tann…“.
Am 02. Februar erheben fünf BRD- und vier DDR-BürgerInnen vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg Klage gegen die erste Teilgenehmigung. Über diese Klage ist in der Sache zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht entschieden. Gleichzeitig wurde die Aufhebung des Sofortvollzuges gefordert, was einem Baustopp entsprochen hätte.
Am 3. Februar findet gegen die geplante PKA eine erste gemeinsame Demonstration von Atomkraftgegner*nnen aus Ost- und Westdeutschland statt. Ca. 5.000 Menschen kommen nach Gorleben und laufen zum Bauplatz der PKA. Im Vorfeld dieser Demonstration hat es einen Informationsaustausch zwischen BRD- und DDR-Sicherheitsbehörden gegeben.
Am 6. Februar wird das „Hüttendorf“ im PKA-Wald von einer Übermacht von 2.000 Polizisten geräumt. Am 07. Februar beginnen die Bauarbeiten für die PKA, das Gelände wird planiert und ein Metallgitterzaun errichtet.
Am 9. Februar übergeben Mitglieder des „Neuen Forums“ (DDR) dem NMU 1.423 Einwendungen gegen den Bau der PKA von DDR-BürgerInnen aus Gemeinden, die an den Landkreis Lüchow-Dannenberg angrenzen.
Am 19. Februar kommt es erneut zu Protesten: ca. 200 Menschen blockieren ab 5.30 Uhr die Zufahrten zum Zwischenlager und der PKA-Baustelle. Am Nachmittag räumt die Polizei die Blockierer „sehr gewalttätig“ von der Straße.
Am 11. März demonstrieren rd. 5000 Menschen aus Ost und West in Stendal gegen den Bau des AKW Stendal, die erste große Anti-Atom-Demo in der DDR.
Am 27. März lehnt das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg lehnt den Antrag auf Baustopp für die PKA bis zur Hauptsacheentscheidung ab.
Aus Protest gegen das OVG-Urteil ketten sich einen Tag später (28. März) 15 Menschen an die Tore des Zwischenlagers.