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Wolf-Dieter Narr

Zum Tode von Wolf-Dieter Narr

Wolf-Dieter Narr ist in Berlin nach langer schwerer Krankheit gestorben. Er war Professor, Aktivist und Menschenrechtler, er spielte eine wichtige Rolle für die Verteidigung von Grund- und Freiheitsrechten – u.a. bei den Castortransporten nach Gorleben.

Narr war 1980 Mitbegründer und über viele Jahre wirkungsvoller Sprecher des „Komitee für Grundrechte und Demokratie“ – „außerparlamentarischer Ausdruck seiner Profession als Hochschullehrer und Bewegungsunternehmer“. So oft er konnte, „mischte er sich wortmächtig in die bundesrepublikanischen Verhältnisse ein, kritisierte sie und legte ihre demokratischen sowie menschenrechtlichen Defizite offen“, beschreibt das Komitee in einem Nachruf. Narr engagierte sich zuletzt 2007 in Heiligendamm bei den Protesten gegen das G8-Treffen, organisierte Tribunale gegen Berufsverbote, machte zusammen mit Klaus Vack den zivilen Ungehorsam zum Markenzeichen der Friedensbewegung. Er erfand Demonstrationsbeobachtungen, stand vor den Zäunen des Abschiebeknasts in Worms genauso wie vor den Polizeiketten von Wackersdorf und Brokdorf. Seit 1978 war Narr Mit-Herausgeber der Zeitung „Bürgerrechte & Polizei/CILIP“ mit Berichten, Analysen, Nachrichten zu den Themen Polizei, Geheimdienste, Politik „Innerer Sicherheit“ und Bürger*innenrechte.

„Eine formal legale Entscheidung verliert ihre Legitimität in einer Demokratie, wenn sie gegen den Protest und Widerstand eines großen Teils der Bevölkerung durchgesetzt werden muß. Ein solcher Transport ist unter Wahrung rechtsstaalicher Mittel nicht realisierbar.“ (Narr nach dem Castor im März 1997)

Und er begleitete die Castortransporte nach Gorleben. „Castor eingelagert – Grundrechte und Demokratie ausgelagert“, titelte der Report vom ersten Castor 1995, „Der Atomstaat zeigt seine Gewalt“ der zweite aus 1996. „Mit Staatsgewalt gegen Bürger und Bürgerinnen“, hieß es im Bericht vom Castor 1997. „Der Castor rollt mit autoritärer rechtsstaatlicher Hilfe über demokratische Grundrechte“, so Narr 1998, als Atommüll nach Ahaus gebracht wurde. Er kritisierte die vorherrschenden Verhältnisse auch ganz offensiv. So stand der Politologe im November 2001 auf der Bühne der Auftaktkundgebung in Lüneburg und umriss vor tausenden die Einschränkung von Grundrechten, dem fortschreitenden Abbau des sowieso schon mageren Datenschutzes und der Kriminalisierung von Andersdenkenden – nicht nur im Zusammenhang mit den Anti-Castor-Protesten.

Im Zentrum seiner Kritik stand auch immer die „Allgemeinverfügung“, das umfassene Demonstrationsverbot entlang der Castorstrecken. Schon 1994, als der erste Castor zwar angekündigt und vorbereitet war – dann aber abgesagt werden musste, „zeriss“ er als einer der ersten Kundgebungsredner das vom Landkreis erlassene und von der Landesregierung gebilligte Versammlungsverbot auf einer 24 Quadratkilometer großen Fläche „förmlich in der Luft“. Auf der Grundlage der Demonstrationsbeobachtungen im Herbst 2001 und 2002 und angesichts des seinerzeit bevorstehenden Transportes im November 2003 richtete das Komitee dann im September 2003 eine Petition an den niedersächsischen Landtag. Die Forderung: Zukünftig müsse das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gewährt bleiben.

In seinen Berichten blieb Narr objektiv und fair. 1997 adressierte er seine Kritik entsprechend an die verantwortliche Politik:

„Polizeibeamte und -beamtinnen wurden in diesen Tagen mißbraucht. Sie mußten einen Transport durchprügeln, den viele von ihnen ebenfalls für unsinnig halten. Sie mußten einen überflüssigen Transport schützen und wurden in einer mangelhaften Einsatzorganisation verheizt.“

2005 verabschiedete sich das Komitee für Grundrechte und Demokratie mit einer Bilanz: Seine „Perspektiven“ seien „inzwischen von anderen aufgegriffen und weiterentwickelt“ worden. Im Konzert der verschiedenen Gruppen, die sich „sowohl gegen die Nutzung der Atomkraft als auch für die Grundrechte, insbesondere auch das der Versammlungs- und Meinungsfreiheit, einsetzen, sind wir entbehrlich geworden“. Das Komitee werde die Entwicklungen im Wendland verfolgen, „aber wir werden unsere Schwerpunkte der Demonstrationsbeobachtung verlagern. Zumindest vorerst.“ Im November 2010 war das Komitee als Beobachter der Demonstrationen wieder mit dabei.

Wolf-Dieter Narr „hat als Intellektueller, nimmermüder Pazifist und radikaler Humanist die Geschichte der sozialen Bewegungen in Deutschland tat- und wortkräftig mitgestaltet“, schreiben seine Mitstreiter*innen des Komitee für Grundrechte und Demokratie. Menschen wie er fehlen, gerade in diesen Zeiten.

„Quatsch mit Soße“

Anlässlich seines 80. Geburtstages am 13. März 2017 entstand dieser Film, der die unterschiedlichen Facetten des Politikwissenschaftler und Anwalts der Menschenrechte beschreibt.

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Jan Becker

Jan hat jahrelang die Webseite contratom.de betrieben, schreibt heute den Blog von .ausgestrahlt und betreut die Webseiten der BI und des Gorleben Archiv.