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Das Wendland war blockiert
Vor 25 Jahren, am 7. November 1994, berichtete die Elbe-Jeetzel-Zeitung: „das Wendland dichtgemacht – Bundesstraßen stundenlang blockiert“. Es ist deutlich ruhiger geworden in Lüchow-Dannenberg, doch es ist eine Ruhe die trügt.
Weit über 1.000 Atomkraftgegner*innen beteiligten sich am 5. November 1994 an der Aktion „Wendlandblockade“, für einen Tag lang wurden die vier wichtigsten Zufahrtsstraßen zum Landkreis Lüchow-Dannenberg sowie die Bahnstrecke nach Dannenberg „dichtgemacht“. Anlass war der angekündigte erste „Castor-Transport“ mit hochradioaktiven Abfällen in das Zwischenlager Gorleben. Schon im Jahr zuvor sollte er eigentlich rollen, wegen technischer Probleme wurde jedoch verschoben. Im Frühjahr 1994 war im baden-württembergischen Atomkraftwerk Philippsburg-2 ein Behälter beladen worden. Im Sommer entstand in Gorleben das Protest-Hüttendorf „Castornix“. „Kummt de Atomschiet in de Kiste, stellt wi den Traktor up de Piste“, kündigte die Bäuerliche Notgemeinschaft Lüchow-Dannenberg an.
Es ist der damalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer, heute als Vorsitzender des „Nationalen Begleitgremiums“ an der „Alternativen Standortsuche“ beteiligt, der an seine sich querstellende Umweltministerin in Niedersachsen, Monika Griefahn, die Weisung erteilt, den Zug rollen zu lassen. Anfang November beugt sich Niedersachsen dem Druck aus Bonn – Atomkraftgegner*innen antworten mit der „Wendlandblockade“. Es dauert wieder Monate, bis im April 1995 gegen erbitterten Widerstand und mithilfe einer Armada von Polizei und BGS der erste Castor tatsächlich im Zwischenlager Gorleben ankommt.
Blockaden gegen Atommüll-Lieferungen
Es war nicht die erste Aktion dieser Art, schon zehn Jahre zuvor, am 30. April 1984, waren für 12 Stunden lang alle wichtigen Zufahrtsstraßen ins Wendland blockiert. Damals die Generalprobe für den ersten Atommülltransport mit schwach- und mittelaktiven Abfällen nach Gorleben. Trotz Demonstrationsverbot beteiligten sich über 3.000 Menschen und verstellten die Straßen mit Autos, Traktoren oder Bäumen.
Ist heute alles anders?
Dann rollten bekanntlich bis 2011 fast jährlich Castoren, der Widerstand wuchs – bis zum gesetzlichen verankerten Stopp der Transporte und dem „Neustart“ der Endlagersuche auf einer „weißen Landkarte“. Glaubt man Beteuerungen aus der Politik oder Medienberichten, dann ist hier im Wendland eigentlich alles vorbei…
Am kommenden Wochenende wird es in Hannover eine Statuskonferenz zur aktuellen Atommüllsuche geben. Neben vielen anderen, spannenden Aspekten wird eines deutlich werden: Vorbei ist hier im Wendland gar nichts.
Die mit der Suche betrauten Behörden wollen im Herbst 2020 eine erste Zwischenbilanz vorlegen. Von der „weißen Landkarte“ sollen Regionen, die auf keinen Fall für ein Atommülllager in Frage kommen, gestrichen werden. Dass Gorleben unter den Streich-Kandidaten sein wird, darauf kann man hier nur hoffen. Doch mit Blick auf über 40 Jahre Widerstand gegen Machtinteressen und Profitorientierung ist eher sicher, dass das Wendland bald wieder blockiert werden muss – als unüberschaubares Zeichen für: Gorleben geht gar nicht.