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Stille Kraft voraus

Ja, so sagte mir einer der Teilnehmer*innen der Fuku-Mahnwache, sie wurden schon beäugt in Corona-Zeiten und manchmal sei es um sie auch sehr still gewesen, wenn sie auf dem menschenleeren Marktplatz in Dannenberg standen. Wie jeden Montag um 18 Uhr. Während in Lüchow laut um Demonstrationsrechte gestritten wurde, um auf die unglaublichen Zustände für Geflüchtete in Griechenland hinzuweisen, und sich dabei  häßliche Szenen abspielten, als beispielweise einer Demonstrantin ein bemaltes T-Shirt von Polizisten vom Leib gerissen wurde, hätte vereinzelte Passant*innen ihnen in Dannenberg anerkennend zugenickt, als sie vorbeihuschten. Die Fuku-Mahnwache fiel nämlich nie aus. Und die Polizist*innen aus der Wache am Marktplatz hätten angestrengt weggeschaut. Nächsten Montag geht es weiter. Selbstverständlich.

Stille. Auf einem Marktplatz mit gespenstischer Kulisse. Da sind die Fassaden der leeren Häuser, die einer Brandkatastrophe zum Opfer fielen, deren Fenster verzweifelt und stumm auf den Platz schauen. Innehalten. Da ginge es auch um Fragen, wie die Zeit nach der Corona-Krise aussehen könnte. Ob es eine Entschleunigung gäbe. Eine grundsätzliche Kritik am immer Schneller, Höher, Weiter. Eine Abkehr von der kapitalistischen Wachstumspolitik und eine Chance für ein Mehr an Bio, Regionalem, für Radtouren statt Fernreisen. Für Reparieren statt Wegwerfen. Alles ganz greifbare Themen, wo es auch die Möglichkeiten einer schnellen persönlichen Umsetzung gibt. Oder ob die zu beobachtende Entsolidarisierung, ein wachsender Egoismus, gar noch gepaart mit kruden Verschwörungstheorien, die Folge seien und die Coronaleugner und Entsolidarisierer lautstark auf die Plätze strömten.

Und natürlich geht es bei all den stillen Treffen auch um unsere Kernthemen: Inspektionen mit Hunderten Arbeiter*innen, Techniker*innen in nicht systemrelevanten Atomkraftwerken fanden während der Pandemie im AKW Grohnde statt. Gefordert wurde dessen Stilllegung. Atommülltransporte aus der Urananreicherungsanlage in Gronau nach Russland trotz der Einschränkungen in Corona-Zeiten fanden und finden statt. Statt deren Beendigung. Die Endlagersuche für hochradioaktiven Müll läuft weiter – ohne Zeitverschub. So als sei gar nichts. Und was wird am Ende aus Gorleben? Wie kann man dafür, dass der geologisch fragwürdige und politisch kontaminierte Standort endlich aufgegeben wird, Öffentlichkeit herstellen und gegebenenfalls Proteste organisieren? Stille? Nein, da muss man laut seine Stimme erheben und sich in den Suchprozess einmischen, die Schwächen und Fehler aufzeigen und darauf dringen, dass Gorleben nicht schon wieder auf die lange Bank geschoben wird.

Doch Stille ist auch eine Protestform. Das kann man in diesen Wochen spüren. Nicht nur in Dannenberg. Auch an den Atomanlagen im Gorlebener Tann. Wenn man dieser Tage dort auf einer Bank auf dem Salinas-Gelände vor der Undine-von-Blottnitz-Hütte sitzt und den Blick über die Beluga in Richtung Fördertürme des Endlagergeländes schweifen lässt. Wo längst Atommüll hätte im Salzgestein hätte lagern können. Schon seit 1999! Wie oft wir dort demonstriert, getanzt, aber auch gelitten haben. Sich den Gedanken hingeben. Sie haften an Geschehnissen und Gesichtern. Hier war das Hüttendorf Castornix im Protestsommer 1994. Als der erste Castor hätte kommen sollen und doch noch einmal verhindert wurde. Und die Gesichter… Die vielen Menschen, die mir dort begegnet sind und wer von denen nicht mehr unter uns weilt. Die Tafeln dort erinnern an Marianne Fritzen und Francis Althoff. Sie verweisen auf das Gorlebener Gebet, auf den Bohrplatz 1004, das Hüttendorf, das von einer Polizei-Armada am 3. Juni 1980 schließlich niedergewalzt wurde.

Lautes fröhliches Lachen mischt sich in die Stille. Erste Fahrradfahrer*innen mit Kindern tauchen wieder auf. Gehen herum, betrachten die Schautafeln, bestaunen das Greenpeace-Schiff Beluga, das dort sinnbildlich für das Scheitern der Pläne, in Gorleben ein riesige Atommüllzentrum zu errichten, gestrandet ist, und schlendern zum Zaun an der Endlagerbaustelle. Ja, sage ich ihnen, am Freitag vor Pfingsten, am Gorleben-Tag während der KLP, hätten wir hier gern zu Tausenden demonstriert und getanzt. Aber die Gesundheit geht vor, aufgeschoben sei ja nicht aufgehoben. Und vielleicht gäbe es ja im kommenden Jahr wirklich etwas zu feiern, wenn Gorleben bei der Endlagersuche herausgefallen ist.

Nach über 40 Jahren endlich Stille.

Foto: Ingrid und Werner Lowin

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Wolfgang Ehmke

Wolfgang ist langjähriger Pressesprecher der BI.