Pressemitteilung der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.

Gorleben ist wahrscheinlich raus

Der Zwischenbericht der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) listet nach Medienberichten den bisherigen Endlagerstandort Gorleben nicht auf. Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI) reagiert verhalten auf diese Berichte. „Das wollen wir schwarz auf weiß sehen. Wir hatten die klare Erwartung, dass Gorleben in dem neuen Suchverfahren wegen der geologischen Mängel herausfallen müsste, und zwar bereits im ersten Schritt “, so BI-Sprecher Wolfgang Ehmke.

Die Datenfülle zu Gorleben sei im Gegensatz zu allen anderen Teilgebieten erdrückend.

„Wenn nach über 40 Jahren nun ein Schlussstrich unter das Gorleben-Kapitel gezogen wird, ist das eine Chance, das Suchverfahren wirklich unbelastet von den alten Querelen wissenschaftsbasiert und fair zu gestalten. Unsere Befürchtung, Gorleben als Rückfalloption aus politischen Gründen im Spiel zu halten, wäre damit vom Tisch.“

Schließlich gehe es darum, den hochgiftigen und hochradioaktiven Müll sicher gegenüber der Biosphäre einzuschließen. Der Salzstock Gorleben-Rambow erfüllt dafür wichtige Voraussetzungen nicht:

„Er liegt in einer tektonischen Störungszone, eine Vielzahl von Bohrungen lässt auf Gasvorkommen schließen, Anhydritschichten durchziehen das Salz und ermöglichen eine Gebirgsdurchlässigkeit.“

Auch von der Fläche her, die für die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle benötigt würde, sei Gorleben ungeeignet. Und schließlich fehlt ein Wasser abweisendes Deckgebirge über dem Einlagerungsgestein.

Am 4. Oktober wird an den Atomanlagen in Gorleben dennoch demonstriert.

Ehmke: „Das wird keine Jubelparty. Wir bringen uns solidarisch weiter in das Endlagersuchverfahren ein. Im Anschluss an die Kundgebung werden wir die „Ehrenrunde“ rund um das Bergwerksgelände laufen, die uns bereits Peter Altmeier 2013 prophezeite, doch diesmal hoffentlich nicht als Verlierer und Spielball von Parteien- und Länderegoismen“.

Die Kritik am Suchverfahren sei damit nicht vom Tisch. Vor allem die Fachkonferenz Teilgebiete, in der alle betroffenen Regionen den BGE-Bericht unter die Lupe nehmen, böte keine Möglichkeit einer echten Mitbestimmung.

Wolfgang Ehmke, Pressesprecher, o170 5120 56 06

Hintergrund

Was gegen Gorleben spricht

Die BGE sammelte bis Ende Juni in einem ersten Schritt bundesweit verfügbare digitale Geo-Daten ein und checkte, welche Gebiete (bei dem Wirtsgestein Kristallin und Ton) oder Standorte (bei den kleinräumigeren Salzstöcken) bei der Endlagersuche durchs Raster fallen oder positiv formuliert,  inwieweit die im Standortauswahlgesetz (StandAG) vorgegebenen Ausschluss- und Abwägungskriterien sowie die Mindestanforderungen erfüllt werden. Am 30. September hat die BGE ihren Zwischenbericht vorgelegt, aus dem hervorgeht, welche Teilgebiete in der BRD für Atommüllendlagerung als „günstig“ angesehen und dann näher untersucht werden sollen. Betroffen sind 54% der Gesamtfläche der BRD mit 90 Teilgebieten.

Die Erwartung, dass Gorleben schon im ersten Vergleichsschritt herausfallen müsste, liegt u.a. darin begründet, dass die Datendichte wegen der Erkundung des Salzstocks Gorleben-Rambow größer ist als anderswo. Und im StandAG – lesen wir es einmal positiv – wurde dargelegt, dass Gorleben kein Referenzstandort ist, d.h. der bisherige Endlagerstandort für die Lagerung hochradioaktiver Abfälle kann also schon im ersten Vergleichsschritt herausfallen. Der politische Kompromiss, dass Gorleben überhaupt im Suchverfahren blieb, könnte sich in diesem Fall als Vorteil erweisen. Könnte.

Wir haben darüber nicht vergessen, dass die Architekt*innen des StandAG, die Mitglieder der Endlagerkommission, offen und verdeckt bei der Formulierung jener Ausschluss- und Abwägungskriterien und der Mindestanforderungen politisch darum gerungen haben, Gorleben im Spiel zu halten. Zwei Beispiele: Ein Ausschlussgrund, wie es viele Menschen, die sich mit der Gorleben-Geschichte befasst haben, bestimmt noch im Kopf haben, läge eigentlich schon in der Tatsache begründet, dass der Salzstock Wasserkontakt hat: eine Wasser abweisende Tonschicht über dem Salzstock fehlt auf einer Fläche von 7,5 Quadratkilometern. Und auf der anderen Elbseite liegt der Rambower See, ein Einbruchsee. Das aber wurde in der Endlagerkommission als Ausschlusskriterium wegdefiniert und herabgestuft zu einem (!) von elf Abwägungskriterien.

Dazu wäre auch noch anzumerken, dass das vorgeblich wissenschaftsbasierte Suchverfahren durch die Vorgaben des StandAG weitere Schwächen aufweist. Das StandAG ist mittlerweile sieben Jahre alt. Bei der Verabschiedung wurden beispielsweise den Auswirkungen des Klimawandels oder der Bedeutung kommender Eiszeiten nicht die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt. Bei einem lernenden Verfahren, wie es im ersten Paragraphen des StandAG so verheißungsvoll heißt, müsste es eigentlich selbstverständlich sein, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu einer Novellierung des Gesetzes führen. Müsste.

Wir mussten uns also widersträubend neu sortieren, die Ausschlusskriterien und die Mindestanforderungen unter die Lupe nehmen und schauen, was nun trotzdem weiter gegen die Eignung des Salzstock Gorleben-Rambow als Atommüllendlager spricht.

Eigentlich, so schrieb uns Werner Stackebrandt vor einigen Monaten, sei Gorleben schon in der ersten Vergleichsrunde als Endlagerstandort raus. Eigentlich. Stackebrandt ist der ehemalige Leiter der Geologischen Dienste Brandenburgs und hat wiederholt darauf hingewiesen, dass der Salzstock Gorleben-Rambow in einer aktiven Störungszone liegt. Die Lage in einer aktiven Störungszone wäre ein Ausschlusskriterium. Mit dieser Einschätzung steht der Wissenschaftler nicht allein. Auch der Geologe Ulrich Kleemann hat immer wieder auf die aktive Störungszone verwiesen und vor Kurzem – im Auftrag des BUND – einen entsprechenden Fragenkatalog an die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) geschickt, gespickt mit geowissenschaftlichen Literaturhinweisen.

Gegen die Eignung des Salzstocks Gorleben-Rambow spricht demnach die aktive Störungszone, die seit mindestens 260 Mio. Jahren und bis heute die geologische Entwicklung prägte. Die Gorlebener Rinne steht im Zusammenhang mit dieser neotektonischen Senkungszone. Von Bedeutung ist auch jener Einbruchsee in Rambow. Geologisch gesehen handelt es sich hierbei um eine „holozäne Subrosionssenke“. Diese liegt zentral in einer durch Störungen begrenzten tektonischen Grabenzone, die nicht nur den See flankiert, sondern die sich mit NE-SW-Verlauf weiter Richtung Elbe erstreckt.

Formulierung in § 22 Abs. 2 Nr. 2 (aktive Störungen)
„Unter einer „aktiven Störungszone“ werden Brüche in den Gesteinsschichten der oberen Erdkruste wie Verwerfungen mit deutlichem Gesteinsversatz sowie ausgedehnte Zerrüttungszonen mit tektonischer Entstehung, an denen nachweislich oder mit großer Wahrscheinlichkeit im Zeitraum Rupel bis heute, also innerhalb der letzten 34 Millionen Jahre, Bewegungen stattgefunden haben. Atektonische beziehungsweise aseismische Vorgänge, also Vorgänge, die nicht aus tektonischen Abläufen abgeleitet werden können oder nicht auf seismische Aktivitäten zurückzuführen sind und die zu ähnlichen Konsequenzen für die Sicherheit eines Endlagers wie tektonische Störungen führen können, sind wie diese zu behandeln.“

Schließlich gab es eine Vielzahl von Bohrungen, die nichts mit der Endlagersuche zu tun hatten: aus der Zeit des „Kalifiebers“ vor 100 Jahren, aus der Suche nach Gas und Öl und als Folge hydrogeologischer Untersuchen. Bohrungen eröffnen Wasserwege, über die korrosive Lösungen, wie Salzlauge, an die Endlagerbehälter gelangen können und über die radioaktive Partikel in die Biosphäre gelangen können. Bohrungen eröffnen aber auch einen Einblick in die Beschaffenheit des Untergrunds, beleuchten die hydrogeologischen Verhältnisse und enthüllen Gasfunde etc., sie dürfen nicht allein unter dem Aspekt einer „Abstandsregel“ zu etwaigen Einlagerungsbereichen angesehen werden. Doch diese verkürzte Sicht liegt der Arbeit der BGE zugrunde, was für ein Fehler.
Der Kulturhistoriker Ulrich Reiff stieß bei seinen Recherchen zum „Kalifieber“ zu Beginn des letzten Jahrhunderts darauf, dass wenigstens fünf Bergbaugesellschaften zwischen 1907 und 1929 „mindestens acht Tiefbohrungen auf Kali bzw. Erdöl direkt im Bereich der Salzstruktur Gorleben-Rambow oder in deren unmittelbarer Nachbarschaft“ niedergebracht hatten. Teufen von 481, 840 und 1035 Metern wurden erreicht. Dabei wurden Bohrlöcher nicht ordnungsgemäß verfüllt, Reiff fand zum Teil chaotische Zustände vor, so blieb u.a. wegen Insolvenzen das Bohrgestänge in den Bohrlöchern. Schon damals, so schließt Reiff aus den historischen Protokollen aus dem Jahr 1907, warnten Revierbeamte und Bergamt vor der „großen Gefahr durch eindringendes Wasser“.
In den zwanziger Jahren wurde zudem versucht, am Rand des Salzstocks Erdöl zu finden. Dabei wurde bei Meetschow der Salzstock noch einmal angebohrt. 1957 wurde an der NW-Flanke des Salzstocks mit der Bohrung Gorleben Z 1 unter dem Fuß des Salzstocks nach Erdgas gesucht. Mit den – für eine Endlagerung relevanten – negativen Ergebnissen befasste sich der Dipl.-Geologe Dirk Weißenborn in einer Studie („Gase in Salinar und Subsalinar des Salzstocks Gorleben“, 2012).
Bohrungen auf der Suche nach Gas und Öl sowie hydrogeologische Bohrungen in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts runden die Bohrpalette ab. Diese Bohrungen bei Meetschow, Gorleben, Brünkendorf und Dünsche haben wir rechtzeitig bei der BGE angezeigt und haben später erfahren, dass diese auch seitens des geologischen Landesamtes für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) in Hannover an den Vorhabensträger bei der Endlagersuche übermittelt wurden.
Am 25. Juli 1969 explodierte in Lenzen bei einer Tiefbohrung ein Gas-Gasolin-Gemisch, der Bohrstellenleiter verstarb, sechs weitere Arbeiter erlitten schwere Verbrennungen. Nachdem sich die Bohrung durch auskristallisiertes Salz zugesetzt hatte, gelang es, das ausströmende Gemisch abzufackeln, bis in den November hinein brannte es…
Es war nicht die einzige Bohrung, die in ehemaligen DDR-Sperrgebiet an der Grenze bis über 3000 m Tiefe in den Salzstock Gorleben-Rambow niedergebracht wurde, auch die vorhergehende Bohrung 11/68 reichte so tief. Beide Bohrungen mussten wegen der unbeherrschbaren Bedingungen abgebrochen werden und konnten nicht richtig verfüllt werden. Bei der Suche nach Erdgas wurde auch schräg 150 m bis unter die Elbe gebohrt und die DDR-Geologen stießen in 3.264 m Tiefe auf Erdgas.

Von den über 30 DDR-Gasbohrungen bis 3.500 m Tiefe waren zwei Bohrungen gasfündig, die am nähesten zu Gorleben liegen: die bei Wootz direkt an der Elbe und die explodierte Bohrung beim Fähranleger Lenzen. Durch die Explosion des Bohrturmes wurde auch bekannt, dass der Salzstock an seiner Unterseite nicht gasdicht (wie behauptet), sondern zerklüftet ist. Denn die Explosion geschah noch einige hundert Meter vor Erreichen der gasführenden Schicht unter dem Salzstock! Wir haben der BGE diese Unterlagen natürlich übermittelt.
Für Prof. Klaus Duphorn dokumentierten diese DDR-Aktenfunde einst, dass Gorleben als Endlagerstandort endgültig ausscheidet. „Wenn bereits in 3.300 m Tiefe im Salzstock größere Gas-Gasolin-Gemische anstanden, dann bedeutet dies für ein Atommülllager den Todesstoß“, zitierte der „General-Anzeiger“ vom 11.9.2010 den Kieler Geologen. Duphorn hatte die Bohrprotokolle gesichtet und sah klar belegt, „dass sowohl im geplanten Einlagerungshorizont zwischen 800 und 1.200 m Tiefe als auch im Bereich bis über 3.000 m Tiefe dicke, zerklüftete Anhydritschichten für eine Durchlässigkeit von Wasser und Lauge als auch Gasen und flüssigen Kohlenwasserstoffen sorgen können.“ Damit sei das geplante Endlager durch Gebirgsschlag gefährdet.
Was die Mindestanforderungen betrifft, so weist der Salzstock Gorleben-Rambow gleich mehrere Mängel auf. Eine vom StandAG geforderte geringe Gebirgsdurchlässigkeit ist nicht gegeben, denn die Anhydritvorkommen, die parallel zu den Flanken des langgezogenen Salzstocks jeweils das ältere vom jüngeren Steinsalz trennen, sind von Klüften durchzogen. Für fünf von acht dieser Kluftsysteme konnte deren Abgeschlossenheit nicht nachgewiesen werden.
Problematisch ist auch die verbleibende Fläche, die beim Wirtsgestein Salz mindestens drei Quadratkilometer umfassen muss. Legt man zugrunde, dass der Infrastrukturbereich im sog. „Einschlusswirksamen Gebirgsbereich“ (ewG), dem Einlagerungsbereich, liegt und nimmt man den Sicherheitsabstand von 50 Metern vom Einlagerungsbereich bis zur Außengrenze, dann wird man voraussichtlich mangels verbleibender Fläche in Bereiche ausweichen müssen, die wiederum durch alte Bohrungen eingeschränkt sind.
Und schließlich haben Salzspiegelbohrungen in der sogenannten Gorlebener Rinne tief in das Salz hineinreichende Ablaugungen festgestellt.
Die Beschaffenheit des Deckgebirges ist laut StandAG in seiner Sicherheitsrelevanz herabgestuft worden und dass das Deckgebirge ein großes Loch hat, haben wir eingangs schon erwähnt. Trotzdem geben wir an dieser Stelle nicht auf und fordern eine „verbalargumentative“ Auseinandersetzung: Denn die Formulierungen, die Eingang in das StandAG gefunden haben, widersprechen dem wissenschaftlichen Common Sense. Die Wissenschaftlerin Melanie Mbah vom Öko-Institut Darmstadt betont:“ Dazu gehören das Wirtsgestein mit dem einschlusswirksamen Gebirgsbereich, das Deckgebirge mit gering durchlässigen Formationen sowie die Entfernung zu oberflächennahen wasserführenden Schichten und das Schadstoffrückhaltevermögen, folglich die geohydraulische und geomechanische Gesamtsituation“.
Es geht bei den Abwägungskriterien schließlich auch um das Zusammenwirken verschiedener Faktoren, u.a. um den möglichen Transport radioaktiver Stoffe durch die Grundwasserbewegung, die Absicherung des Isolationsvermögens des ewG, die Neigung zur Bildung von Fluidwegsamkeiten, die Gasbildung und das Vorhandensein von Gas … es geht also nicht „nur“ allein um den Schutz des ewG durch das Deckgebirge.
Wenn nun von der BGE der Strich unter die Summe der Negativfaktoren in Sachen Gorleben gezogen wird, so konnte Gorleben eigentlich nur durchfallen. Eigentlich! Und so ist es jetzt gekommen. Endlich!

KONTAKT

Pressesprecher
Wolfgang Ehmke
Tel. 0170 510 56 06

Presse