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Atomausstieg, Blackout und Angstkampagnen

„Wenn das AKW Wyhl nicht gebaut wird, gehen in Baden-Württemberg die Lichter aus“, sagte Ministerpräsident und Marinestabsrichter a.D. Hans Filbinger 1975. „Wenn wir die letzten drei AKW abschalten, gehen in Deutschland die Lichter aus“, drohen die atomar-fossilen Seilschaften heute. Die Zeiten ändern sich, aber die perfekt organisierten und immer wirksamen Angstkampagnen bleiben.
1975, vor bald einem halben Jahrhundert, in der heißen Phase des Wyhl-Konflikts, beauftragte die damalige Badenwerk-AG die Hamburger Werbeagentur Drews Verfahrensstrategien zu entwickeln, die eine zügige Überwindung des Widerstandes der Bevölkerung garantieren sollten. Das Manager Magazin und der Spiegel berichteten über die Vorschläge der Werbeagentur, die u.a. die folgenden Taktiken vorgeschlagen hatte:

  • Negativtaktik: Dramatisierung aller Probleme, die durch den Nichtbau von Kernkraftwerken entstehen. Die Ängste der Gegenwart durch die Ängste der Zukunft überdecken.
  • Verschleierungstaktik: Herunterspielen der Probleme, die im Zusammenhang mit Kernkraftwerken in der Bevölkerung auftauchen. Die Ängste durch Verfremdung der Probleme verdrängen.
  • Verschönerungstaktik: Einseitige, positive Informationen über alle Fragen (fast alle) der Kernenergie. Die Ängste einfach negieren und ein positives Bild aufbauen.

Dieses alte Strategiepapier kommt einem angesichts mancher heutigen Argumente der Atomlobby seltsam bekannt vor. Die damaligen Angst-Strategien werden heute noch verwendet, gerade wenn es gilt, für die Laufzeitverlängerung der AKW Neckarwestheim-2, Emsland und Isar-2 oder für den Neubau von Atomkraftwerken zu werben.

Mit Fakten für die Laufzeitverlängerung zu werben, ist nach Tschernobyl und Fukushima schwierig geworden.
Selbst die Ökonomie spricht seit einigen Jahren gegen die Atomkraft. Strom aus Wind und Sonne ist nicht nur umwelt- und menschenfreundlicher, sondern auch wesentlich kostengünstiger als Strom aus neuen AKW.
Erstaunlicherweise werben auch nicht mehr die alten deutschen Energiekonzerne für die Gefahrzeitverlängerung, denn diese können rechnen. Für die Laufzeitverlängerung werben aktuell die alten und neuen Atomparteien CDU, CSU, FDP und AfD und die ihnen nahestehenden Medien, rechts-libertäre Seilschaften und die Netzwerke der Klimawandelleugner. Vor fünf Jahrzehnten fanden die inhaltlichen Auseinandersetzungen noch direkt zwischen Konzernen und Umweltbewegung statt.

Heute tarnt sich die Atomlobby „scheinbar klimafreundlich“ nach amerikanischem Greenscamming-Vorbild. Greenscamming ist eine PR-Technik, bei der umweltfreundlich klingende Namen und Bezeichnungen für Organisationen oder Produkte ausgewählt werden, die nicht umwelt- oder klimafreundlich sind. Eine häufig angewandte Greenscamming-Methode besteht z.B. darin, dass sich Anti-Umwelt-Organisationen klimafreundlich bzw. „grün“ klingende Namen geben, die ein Interesse am Umweltschutz suggerieren, um die Öffentlichkeit über ihre wahren Absichten und Motive zu täuschen.

Negativtaktik heute: Dramatisierung aller Probleme, die durch den Nichtbau von Kernkraftwerken entstehen. Die Ängste der Gegenwart durch die Ängste der Zukunft überdecken.

  • Blackout-Angst:

Fachleute, unter anderem die Bundesnetzagentur, halten einen unkontrollierten, großflächigen Stromausfall für äußerst unwahrscheinlich. Laut dem Branchendienst Energate schließt der größte Übertragungsnetzbetreiber Tennet einen Blackout aus. Geschürt wird die Angst insbesondere von PolitikerInnen und Medien, die den Übergang zu den umweltfreundlichen und kostengünstigen Energien jahrzehntelang behindert haben, weil das Energieerzeugungsmonopol der Energiekonzerne durch die Energiewende gefährdet war. Medien in der Schweiz haben gerade aufgedeckt, wie ein Millionär eine Blackout-Kampagne finanziert. 1975, kurz nach den Filbinger-Äußerungen wurde während eines Fußball-Länderspiels ein „Mini-Blackout“ in Südbaden inszeniert … Ob das wiederkommt?

  • Strompreis-Angst:

Die Strompreise werden steigen, wenn wir die AKW abstellen, wird in vielen Medienberichten suggeriert. Diese Angstkampagne der atomar-fossilen Seilschaften hat eine doppelte Zielsetzung. Sie stärkt die Atomindustrie und sie lenkt von tatsächlichen Verursachern der explodierten Energiepreise ab. Für die Kriegsgewinnler Chevron, BP, Shell, Total Energies und ExxonMobil war 2022 ein profitables Jahr. Die schmutzigen „Big Five“ erzielten einen gemeinsamen Jahresgewinn von knapp 200 Milliarden US-Dollar. (Eine Milliarde sind unglaubliche 1000 Millionen!)

  • Das Märchen vom billigen Atomstrom:

Gerade weil wir aktuell von den Energiekonzernen ausgeplündert werden, wirkt das Märchen vom scheinbar billigen Atomstrom immer noch. Doch im Atomstromland Frankreich ist der Strompreis nur scheinbar billig. Die Schulden des teilverstaatlichten französischen Atom-Konzerns EDF stiegen im vergangenen Jahr von 43 auf unglaubliche 64,5 Milliarden Euro (64.500.000.000 Euro). Den realen Preis für den Atomstrom werden die Menschen in Frankreich über ihre Steuern bezahlen. Ein schwerer Atomunfall hätte auch in Frankreich verheerende Folgen. Eine Regierungsstudie rechnet mit 430 Milliarden Euro Kosten. Sei es Atomkraft, Cum-Ex-Betrug oder Übergewinne. Konzerne und Milliardäre freuen sich, dass sich Normalverdienende unter einer Milliarde Euro nichts vorstellen können. In diesen Angst-Kampagnen zeigt sich die Macht der Mächtigen in diesem Land. Die Abschaltung der letzten 3 deutschen AKW ist Gefahrenabwehr. Der Kampf gegen die Atomkraft war aber 50 Jahre lang immer auch ein Kampf für Demokratie und für eine umwelt- und menschenfreundliche Energieversorgung.

Axel Mayer, Mitwelt Stiftung Oberrhein. Der Autor war 30 Jahre lang BUND-Geschäftsführer und Bauplatzbesetzer in Wyhl.

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Axel Mayer

Axel Mayer, Mitwelt Stiftung Oberrhein. Der Autor war 30 Jahre lang BUND-Geschäftsführer und Bauplatzbesetzer in Wyhl.