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CDU/CSU: Das letzte Aufbäumen der Nuklearisten

Bis zum letzten Tag der Nutzung von Atomenergie in Deutschland versucht eine einflussreiche Lobby, den schlussendlichen Vollzug des Atomausstiegs zu verhindern. Nachdem sie schon im Februar einen entsprechenden Antrag eingereicht hatte, legte die Bundestagsfraktion der CDU/CSU am 14. März einen eigenen Gesetzentwurfzur Sicherung bezahlbarer Stromversorgung“ vor, den das Parlament kurz darauf in erster Lesung behandelte. Darin wird „das bisherige Enddatum für den Leistungsbetrieb von Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland auf den 31. Dezember 2024 verschoben„. Dies soll aber nur ein vorläufiges Datum sein: „Der Deutsche Bundestag entscheidet bis spätestens zum 30. September 2024 über eine weitere Verlängerung der Befristung„. Angeblich ändere das „nichts an der grundsätzlichen Entscheidung zur Beendigung der friedlichen Nutzung der Kernenergie in Deutschland„. Der unfreiwillig komische Satz kann kaum verbergen, dass in der Union von den Erkenntnissen nach Fukushima nichts mehr vorhanden ist. Friedrich Merz hat Angela Merkel gründlich abgeräumt.

Das Gesetz sieht vor, die Ausnahmeregelung, wonach die drei Kraftwerke angesichts ihrer nahen Abschaltung ohne Periodische Sicherheitsüberprüfung (PSÜ) weiterlaufen dürfen, zu verlängern. Bis zum 31.12.2023 könne die PSÜ nachgeholt werden. Bedenken haben die Antragsteller – Friedrich Merz, Alexander Dobrindt und Fraktion – keine. Faktenfrei kommt ihre Behauptung daher, alle drei Anlagen verfügten über eine „robuste und international führende Sicherheitsarchitektur“. Ob an der gepriesenen Konstruktion Stahlrohre rosten, Ventile klemmen oder Schweißnähte Risse aufweisen, interessiert sie nicht.

Die Knüpfung des AKW-Betriebs an festgelegte Reststrommengen soll entfallen, weil das Gesetz die bereits getroffenen Ausgleichsregelungen mit den Betreibern ausdrücklich nicht antasten will. Sprich: Für nicht genutzte Reststrommengen sind die Energiekonzerne ja schon entschädigt worden. Diese Milliarden müssten sie eigentlich zurückzahlen, wenn sie ihre Meiler nun doch länger betreiben würden. Nach dem Willen der Union dürften sie das Geschenk aber behalten, während sie das nächste in Empfang nehmen. Solche umsichtig bedachten Details legen nahe, dass Sachbearbeiter aus Energieunternehmen direkt an der Abfassung des Textes beteiligt waren. Um nicht allzu industriefreundlich dazustehen, gibt es für Verbraucher, Besitzer von Solaranlagen und Landwirte noch ein paar Leckerlis, die die bittere Pille versüßen sollen.

CDU/CSU begründen ihre Initiative mit „großen Herausforderungen“, vor denen die Sicherheit der Energieversorgung stehe. Diese Herausforderungen könnten im nächsten Winter noch größer werden, ahnt die Union düster. Entsprechend wird der Jahreswechsel 2023/2024 wiederholt beschworen. Der kommende Winter wird vermutlich eiskalt! Danach drohen weitere Winter, Jahr für Jahr! Diese Leute haben den Klimawandel nicht verstanden: Heiße Sommer und anhaltende Trockenheit sind das Problem.

Dass es eine Energiekrise gebe, ist für CDU/CSU quasi selbsterklärend. Sie werde „bis mindestens 2024 anhalten“, heißt es eingangs der Vorlage. Die Energieversorgung im Winter 2023/2024 sei ungewiss. Ein Notstand der Energieversorgung müsse abgewendet werden. Daher müssten alle vorhandenen Potenziale genutzt werden: „In der Krise leisten Kernkraftwerke einen unverzichtbaren Beitrag“.

 

Bemerkenswert ist, dass der Krieg zwischen Russland und der Ukraine an keiner Stelle des Entwurfs auftaucht, auch nicht der Energiekrieg Putins gegen Europa, von dem sonst so viel die Rede ist. Vielleicht halten es die Antragsteller für möglich, dass er eventuell doch bald zuende geht. Dann möchten sie vermeiden, dass ihr Begründungskontext zusammenbricht. Die Angst vor blackouts und ungewisser Stromversorgung muss nämlich unbedingt aufrecht erhalten werden. Doch wie verhält es sich wirklich mit dem drohenden Notstand? Kurz gesagt, das ist reine Propaganda.

Seit Wochen verzeichnet der Handel mit Gas und Strom fallende Preise, von einer Versorgungskrise ist keine Rede. Der durchschnittliche Börsenpreis für Strom hat sich im Vergleich zum Vorjahr halbiert. Nur der private Kunde profitiert von den fallenden Handelspreisen wenig. Hingegen bescherte das vergangene Jahr der Energiewirtschaft Gewinne wie schon lange nicht mehr. Diesen Vorteil möchte sie natürlich so lange wie möglich behalten.

Wie lässt sich die Situation in Zahlen fassen? Oft ergibt sich ein verwirrendes Bild von Erzeuger- und Händlerpreisen an verschiedenen Märkten. Hinzu kommen die von Verbraucherorganisationen ermittelten durchschnittliche Endpreise. Wenn man nicht Äpfel mit Birnen vergleichen will, muss man sich auf einen Markt und ein Auswertungssystem konzentrieren. Die dabei erkennbaren längerfristigen Trends sollten die Wirklichkeit einigermaßen realistisch abbilden. Die Energy-Charts des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme präsentieren die Daten des Stromhandels auf benutzerfreundliche Weise.

Demnach ist Deutschland ein Nettoexporteur von Elektrizität – in der laufenden Woche, im laufenden Monat, im laufenden Jahr, im letzten Jahr, vorletzten Jahr, vorvorletzten Jahr usw. bis 2015. Für noch ältere Zeiträume sind keine Daten verfügbar. Zwar wird der Handelsüberschuss nach Abschaltung der letzten drei Atomkraftwerke zurückgehen, aber er wird dennoch bestehen bleiben. Sicherlich finden sich Stunden oder einzelne Tage, an denen kurzfristig Strom importiert werden musste. Dafür gibt es den europäischen Strommarkt, der solche Netzschwankungen ausgleicht.

Betrachtet man die Situation auf europäischer Ebene, so stellt man fest, dass diejenigen Länder, die stark in erneuerbare Energien investieren, meist exportieren können, während diejenigen, die EE vernachlässigen oder blockieren, auf Importe angewiesen sind. Letzteres gilt konstant für Italien und aktuell für Frankreich. Italien weist in jedem Jahr ein klares Defizit auf. Frankreich, i.A. Europas größter Stromexporteur, musste im vergangenen Jahr importieren, weil viele Atomkraftwerke für längere Zeit ausfielen, vor allem wegen der Risse-Problematik in seinem alternden Nuklearpark. Das wird sich in diesem Jahr nicht wesentlich ändern. Die Lösung mit Atomenergie, die CDU/CSU mit ihrem Stromversorgungssicherungsgesetz vorlegen, bereitet in der EU aktuell die größten Probleme.

Diese Tatsachen sind offenbar auch an Jens Spahn nicht vollkommen vorbeigegangen, der den Gesetzentwurf für seine Fraktion im Bundestag präsentierte. Also versuchte er den Schwerpunkt etwas zu verschieben. „Atomkraft ist Klimakraft“, rief der stellvertretende CDU-Vorsitzende angestrengt in das spärliche besetzte Plenum, während seine hartgesottenen Parlamentskollegen gelangweilt auf ihre Smartphones starrten. In diesen Reihen ist das Interesse am Klima traditionell überschaubar.

Spahns Worte müssten ihm eigentlich im Hals vertrocknen. Denn der Klimawandel setzt den Atomkraftwerken jetzt schon zu. Sinkende Wasserstände in den Flüssen trugen im letzten Jahr zu Drosselungen und Abschaltungen französischer AKWs bei. Sie konnten bei steigenden Wassertemperaturen nicht mehr ausreichend gekühlt werden. Mit 31 % sei die Atomkraft am Wasserkonsum in Frankreich beteiligt, nur die Landwirtschaft verbrauche mehr, berichtet Der Spiegel in Ausgabe 12/2023. Mit solcher Verschwendung – und Erwärmung – des wichtigsten Rohstoffs des Planeten will man das Klima schonen?

Der Vorstoß der Union ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Denn mit der FDP trifft sie auf Gleichgesinnte in der Regierungskoalition. Auch die Liberalen treten für eine längere Laufzeit der Atomkraftwerke ein. Zusammen mit CDU/CSU und AfD hätten sie sogar eine rechnerische Mehrheit im Bundestag. Ein solches Abstimmverhalten wäre allerdings das Ende der Ampel und der liberalen Versorgungssicherheit im Parlament. Deswegen lotet die FDP Kompromissmöglichkeiten bei den Koalitionspartnern aus, um den Atomausstieg weniger endgültig und eher vorläufig zu gestalten: „Nachbetrieb“, „Kaltreserve“ oder wie die neuen, in jedem Fall teuren Betriebsmodi heißen mögen. Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) stemmt sich dagegen und bekräftigt den Abschalttermin vom 15. April, in 26 Tagen von jetzt an gerechnet.

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Detlef Zum Winkel

Detlef zum Winkel, ursprünglich Physiker. Lebt in Frankfurt am Main und schreibt vornehmlich für die Berliner Wochenzeitung Jungle World. Betreut dort u.a. die Themen Atomenergie und Proliferation.