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13 Jahre jeden Montag um18.00 Uhr sind die Menschen in Dannenberg, vor dem Rathaus zusammen gekommen, um gegen Atomkraft und zur Erinnerung an Fukushima zu mahnen. Dies hört jetzt in dieser Form auf.

Einmaliges Beharrungsvermögen

678 Mal trafen sich Frauen und Männer zur „Fukushima-Mahnwache“ auf dem Marktplatz in Dannenberg. Punkt 18 Uhr. Es wurde der Opfer des Erdbebens, des Tsunami und der Atomkatastrophe in Fukushima Daiichi gedacht. Ein – vorläufig letztes Mal – am 11. März, dem Jahrestag der Katastrophe. In Zukunft wird es „nur noch“ am 11. März eine Kundgebung geben, beschlossen die Teilnehmenden. Damit endet eine Aktion, die nach unseren Recherchen weltweit fast einzigartig ist. Nur im Ostseebad Schönberg in der Kieler Buch traf man sich ebenfalls mit großer Ausdauer zu einer Fukushima-Mahnwache, corona-bedingt „nur“ 665 Mal.

Die BI hat diese Aktion zwar unterstützt, aber getragen wurde sie vom Widerstandsgeist und Beharrungsvermögen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer selbst. Mal lag tiefer Schnee, mal war es schon frühlingshaft. Mal wurde in der Stadt auch mit Traktoren und vielen Menschen gegen die Atomkraft demonstriert. Mal wurde in einem kleinen Kreis bei Kerzenschein auch nur geschwiegen. Die Amateurfotographen Ingrid und Werner Lowin hatten mit ihrer Kamera die 13 Jahre begleitet und dokumentierten am 11. März mit ihren Fotos, die an einer langen Leine baumelten, die bewegte Zeit.

Anfangs ging um die direkten Folgen der Atomkatastrophe, die Evakuierungen. Ein wichtiger Punkt war die Beschwichtigungspolitik der japanischen Regierung im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen 2020, die als Schachzug gesehen wurde, um von der Reaktorkatastrophe abzulenken. Immer noch geht es um die Auswirkungen der Strahlung und die ungelöste Atommüllentsorgung.

Im vergangenen Jahr wurde am Fukushima-Jahrestag in Lüchow demonstriert, weil die Betreiberfirma Tepco beantragt hatte, radioaktives Kühlwasser im Ozean zu verklappen. Es rückten immer wieder brennende atompolitische Themen in den Vordergrund – wie im März 2023: Die bange Frage war, wird der Atomausstieg in Deutschland doch noch einkassiert? Schon vor einem Jahr war auch schon Thema, wie es mit dem Zwischenlager in Gorleben weitergeht, weil sich die Endlagersuche deutlich verzögert.

Dass es die Mahnwache gab, wurde auch in Japan von Widerstandsgruppen wahrgenommen, man tauschte nicht nur regelmäßig Solidaritätsadressen aus. Kerstin Rudek und Martin Donat waren für die BI auch vor Ort und am 11. März hielt Yu Kajikawa von der Gruppe Sayonara Nukes Berlin eine bewegende Rede auf dem Marktplatz in Dannenberg. Die Ärztin Elke Schrage und Teilnehmende der Mahnwache, warnte dort in ihrem Beitrag Redebeitrag vor den gesundheitlichen Auswirkungen der zivilen und militärischen Atomenergienutzung.

Das Beharrungsvermögen des Anti-Atom-Protests im Wendland zeigt sich gerade auch an anderer Stelle. Am 17. März wird das Gelände des ehemaligen Endlagerbergwerks zum 750sten Mal umrundet. Über 40 Menschen versammelten sich gegen 13 Uhr zum „Sonntagsspaziergang“. Diese Aktion begann, als sich abzeichnete, dass das 10jährige Gorleben-Moratorium nicht verlängert wurde, ein Baustopp, der tatsächlich unter Schwarz/Gelb 2010 endete. Sie wurde fortgeführt u.a. aus der Befürchtung, dass das Standortauswahlverfahren zur Endlagersuche ein Trick sei, um am Ende den Salzstock Gorleben in einem vergleichenden Verfahren doch als geeignet präsentieren zu können. Im Standortauswahlgesetz gab es nämlich ein „Gorleben-Kapitel“, der Salzstock müsse bei jedem Schritt des Auswahlverfahrens mitgeprüft werden. „Das war aber auch eine Chance für uns, wir hatten alle wissenschaftlichen Einwände zusammengestellt, die gegen den angezählten Salzstock sprachen“, erinnert Wolfgang Ehmke. Mit Erfolg, diese Gefahr ist gebannt, seit die Bundesgesellschaft für Endlagerung im Oktober 2020 das Projekt begründet aussortiert hat.

Zu besichtigen sind inzwischen erste sichtbare Fortschritte beim Rückbau des Bergwerks. Die Verfüllung des Bergwerks soll noch in diesem Jahr beginnen. Die Initiatoren des Sonntagsspaziergangs wollen ihre Aktion solange fortsetzen, bis das aufgehaldete Salz wieder unter Tage verbracht und das Bergwerk verfüllt ist.

Hier schließt sich ein Kreis. Den Blick richten wir inzwischen auch auf die benachbarten Zwischenlager, die zu Langzeitlagern würden, solange es kein Endlager gibt.

Rede zur Mahnwache in Gorleben am 11. März 2024

Yu Kajikawa /Sayonara Nukes Berlin

Nun sind 13 Jahre vergangen seit der dreifachen Katastrophe in Fukushima. Die geopolitische Lage in der ganzen Welt hat sich seitdem radikal verändert. Wer hätte denn bis vor kurzem gedacht, dass man in Deutschland wieder anfängt, über eine atomare Aufrüstung zu reden und sich vor einem möglichen Atomkrieg zu fürchten. Alles, was wir gelernt zu haben glaubten nach Hiroshima und Nagasaki, Tschernobyl und Fukushima, scheint bei vielen Menschen in Vergessenheit geraten oder von anderen Ereignissen verdrängt zu sein. Es macht mich starr vor Verzweiflung und Ohnmachtsgefühl.

Zu Neujahr 2024 hat ein starkes Erdbeben die Halbinsel Noto in Japan heimgesucht. Genau dort an der Spitze der Halbinsel, wo das Epizentrum liegt, befindet sich die Gemeinde Suzu. Dort sollte ein Atomkraftwerk gebaut werden, der Bauplan wurde aber zum Glück vor 20 Jahren durch große Proteste aufgegeben. Damals hatte der Betreiber viele Infoblätter in der Gegend verteilt, auf denen Sprüche standen wie „absolut sicher auch im Fall eines großen Erdbebens“. Wir können nur dankbar sein, dass die wachsamen Bürger damals den Plan erfolgreich gestoppt hatten, denn sonst hätten wir noch eine neue Atomkatastrophe gehabt. Wo das AKW hätte gebaut werden sollen, hat sich die Landschaft nach dem Erdbeben massiv verändert durch Bodenverflüssigung, Risse und Klüfte im Boden und Bodenhebungen. Man will sich nicht vorstellen, was gewesen wäre, wenn ein Reaktor tatsächlich dort gestanden hätte.

Dabei betonen die Behörden und die Atomlobby immer eifrig, sie würden alle Regeln und Auflagen strikt einhalten, stets auf wissenschaftlicher Grundlage basierend. Ob sie uns aber wirklich schützen im Fall der Fälle, steht auf einem anderen Blatt. Wir haben gesehen, dass die japanische Regierung nach der Nuklearkatastrophe gleich den Grenzwert der Strahlenbelastung im Raum Fukushima 20-fach erhöht hat, damit die Einwohner, auch Kinder und Schwangere, mehr Strahlung ausgesetzt werden „dürfen“. Somit waren eigentliche Sperrzonen offiziell zugänglich und bewohnbar, ohne dass der Grenzwert überschritten wird. Wie sollen wir also glauben, wenn dieser Staat mit der Absegnung durch die IAEA behauptet, wir verklappen gefiltertes Wasser aus Fukushima ins Meer, aber kein Grund zur Sorge, alles unterhalb der Grenzwerte und wissenschaftlich überprüft und kontrolliert. Genau, sie sagen, “gefiltertes“ zu dem Wasser aus Fukushima, sie wollen nicht, dass man dazu „radioaktiv“ sagt, obwohl verschiedene Radionuklide, nicht nur Tritium, nach dem Filtern im Wasser bleiben.

Anstatt die betroffenen Menschen zu unterstützen, sie vor weiteren Gefahren durch Strahlen zu schützen, und sie von ihren berechtigten Ängsten vor Gesundheitsfolgen durch umfassende Vorsorgemaßnahmen und Untersuchungen zu befreien, wollen sie lieber eifrig viele Steuergelder dafür ausgeben, um Werbungen im großen Stil zu verbreiten, in denen propagiert wird, alles sei einwandfrei, Fukushima sei bereits Geschichte, ein bisschen Radioaktivität stelle keinen Grund zur Sorge dar. Sie drehen sogar den Spieß um und unterstellen neuerdings denjenigen, die Bedenken vor Gesundheitsfolgen und Umweltverseuchung äußern, würden den Ruf der Region Fukushima schädigen und den Wiederaufbau verhindern. So ist es für viele fast unmöglich, offen über ihre Ängste zu sprechen.

Vor drei Jahren hat sich der Bürgermeister einer kleinen Gemeinde am Rand von Hokkaido im Alleingang entschieden, sich als Kandidat des Endlagerstandortes zu bewerben. Es gibt drei Etappen zur Eignungsuntersuchung, und jedes Mal soll die Gemeinde eine große Summe Geld erhalten als Belohnung, egal ob sie am Ende als Standort gewählt wird oder nicht. Seitdem ist diese Gemeinde gespalten. Es gibt eine Widerstandsgruppe dort, für die ihr bereits eine Solidaritätsbotschaft geschickt habt. In einer Woche soll ich für diese Gruppe in einen Vortrag über die Geschichte eures Widerstandes halten, denn sie wollen von euch lernen. Also werde ich ihnen von eurem zivilen Ungehorsam und zahlreichen Aktionen erzählen, von eurem Widerstand als Gesamtkunst. Ich werde erzählen, dass ihr all die Jahre regelmäßig hier eine Mahnwache gehalten habt im Gedanken an Fukushima, denn  ich möchte damit erreichen, dass die besorgten Bürger, die gegen das Endlagerbauprojekt in Hokkaido protestieren und die Gegner der Atomenergie in Japan Kraft schöpfen und sich ein Beispiel an euch nehmen können, um genauso beharrlich, unbeirrt und unermüdlich wie ihr den Widerstand zu leisten, bis die absurde Idee, aufgegeben wird, dort mit vielen geologischen Verwerfungen ein Endlager zu bauen und weiter auf Atomenergie zu setzen.

Von uns ist also sehr viel verlangt, trotz all den schlechten Nachrichten und der Politikströmung Hoffnungen und Optimismus zu bewahren und weiterhin Widerstand zu leisten. Aber das ist genau das, was wir von euch lernen: Ich danke euch deshalb nochmals für euer langjähriges Engagement, eure Ausdauer und eure Aufrichtigkeit. Dass es euch gibt, ist für mich ein großer Trost in der doch so oft trostlosen Welt. Ich fühle mich sehr verbunden mit euch. Vielen Dank!

Foto Dörthe Uhlendorf

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Wolfgang Ehmke

Wolfgang ist langjähriger Pressesprecher der BI.