Pressemitteilung der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.
„Wir schaffen das!“: BI startet Fehleranalyse zu Gorleben – Zusammenfassung der Veranstaltung am 23.1.
Pünktlich um 10 Uhr konnte trotz Eisregens Landrat Jürgen Schulz (parteilos) rund 80 Gäste begrüßen, die am 23. Januar zur ganztägigen Tagung der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V. (BI) ins Kraftwerk Lüchow gekommen waren. „Alles falsch gemacht!“: Ein Foto mit dem Konterfei des niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht prangte an der Leinwand, es zeigt ihn am 22. Februar 1977, als er auf Gorleben als Standort für ein „Nukleares Entsorgungszentrum“ deutete.
Die Umstände, wie es zu dieser Benennung – nicht Wahl – des Standorts kam, klärte der erste Referent, der Journalist Karl-Friedrich Kassel auf.
„Die Rückschau ist aus vielen Gründen notwendig“, erläuterte BI-Sprecher Wolfgang Ehmke. „Immer noch wird behauptet, dass es ein Auswahlverfahren nach dem damaligen Stand von Wissenschaft und Technik gab. Die Trickserei bei der Durchsetzung des Endlagerprojekts, das Verschweigen geologischer Bedenken ist die politisch-moralische Hypothek, die jedes Vertrauen in einen fairen Umgang mit Gorleben zerstört hat. Die Tatsache, dass Gorleben bisher als einziger möglicher Endlagerstandort benannt wurde, treibt uns um.“
Detailliert wurden die Fehler von den Referent_innen herausgearbeitet. In interaktiven Phasen – mittlerweile wuchs die Zahl der Teilnehmer auf über 100 – wurden durch Kleingruppen und Plenumsbeiträge Forderungen für einen fairen gesellschaftlichen Umgang benannt. Hier finden Sie die ersten Ergebnisse und die Auflistung offener Fragen:
Aus Gorleben lernen:
Was kommt nach der Endlagerkommission:
Offene Fragen:
Die abschließende Podiumsdiskussion mit den Bundestagsabgeordneten Hiltrud Lotze (SPD), Eckhard Pols (CDU), Hubertus Zdebel (Linke) und dem niedersächsischen Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) kreiste allerdings um Versäumnisse der Endlagerkommission. Moniert wurde, dass unter enormen Zeitdruck der Stand von Wissenschaft und Forschung bei einer „Lösung“ des Atommüllproblems zu kurz käme und dass es keinerlei Konzept dafür gäbe, wie nach Abschluss der Kommissionsarbeit die öffentliche Debatte fortgesetzt werden kann. Einigkeit bestand darin, dass es einen Finanzierungsfonds zur Sicherung der Beteiligung der alten Energieversorgungsunternehmen geben müsse.
Die Fehleranalyse bei der bisherigen Endlagersuche in Gorleben, so die BI in ihrer Zusammenfassung, sei nicht zu Ende, sie müsse auch wissenschaftlich fundiert und dokumentiert werden. Dazu gehöre auch, dass über beteiligte Institutionen und Personen geredet werden muss. Herauskristallisiert habe sich, dass es eine Pro und Contra-Veranstaltung mit vorhergehendem wissenschaftlichen Review zu Müllarten, Lagerkonzepten, Risiken und Sicherheitskonzepten geben müsse, weil das angeblich noch zu findende Endlager ein Mischlager werden soll – das sei hoch brisant und unverantwortlich.
Denjenigen gegenüber, die glauben, die Endlagersuche laufe unausweichlich auf Gorleben hinaus, sagte BI-Pressesprecher Ehmke, das Durchhaltevermögen der außerparlamentarischen Kräfte werde auch die befristete Kommissionsarbeit überdauern:
„Ohne den jahrzehntelangen Widerstand und die Sachkompetenz auf unserer Seite wäre das Endlager in Gorleben längst in Betrieb gegangen. Wir lassen uns nicht entmutigen, wir schaffen das!“
Kurzfassung der Beiträge
Karl-Friedrich Kassel, Journalist
1977 wurde der Standort Gorleben nach anderen Kriterien bestimmt, als den für die Langzeitsicherheit eines Endlagers für hochaktiven Atommüll wesentlichen Kriterien. Die Auswahl wurde politisch gesteuert, wichtig war die Fortsetzung der Atomenergie und wirtschaftspolitische Entscheidungen. Die Mängel des Auswahlverfahrens wurden über 30 Jahre geheim gehalten und vertuscht.
- Das Referat finden Sie hier
Ulrich Schneider, Dipl.- Geologe
Es gibt mehrere geologische Befunde, die für sich genommen und alle gemeinsam Ausschlusskriterien sind. Die geologischen Bedenken wurden nicht ernst genommen, sondern verharmlost, vertuscht und weggerechnet.
- Die Powerpoint finden Sie hier
Dieter Schaarschmidt, Geschäftsführer Wendland-Wind GmbH
Von Anfang an wurden Gasvorkommen unter dem Salzstock Gorleben verschwiegen, der Salzstock nur bis zur damaligen Zonengrenze betrachtet. Geologische Befunde wurden uminterpretiert, verschwiegen oder gefälscht. Die Bundesanstalt für Geowissenschaft und Rohstoffe hat sich in das politische Ränkespiel verwickeln lassen statt mit geologischen Befunden transparent umzugehen. Das daraus folgende Misstrauen gegen das Verfahren und den Standort Gorleben sind unüberwindbar.
Wolfgang Ehmke, BI-Pressesprecher
Der Planfeststellungsantrag 1977 markiert den Start für eine systematische Umgehung der Öffentlichkeitsbeteiligung.Über 37 Jahre wurde formal ein Planfeststellungsverfahren ohne inhaltliche Substanz wie geologische Kenntnisse und Lagerkonzepte aufrecht erhalten, um Transparenz und Öffentlichkeitsbeteiligung zu umgehen. Lug und Trug sind die Basis von Gorleben – diese Hypothek ist unüberwindbar.
- Das Referat finden Sie hier
Nikolaus Piontek, Rechtsanwalt
Die Flucht vom Atomrecht ins Bergrecht verfolgte die Vermeidung von Transparenz, Öffentlichkeitsbeteiligung und einer fundierten gesellschaftlichen Diskussion. Rechtsschutzmöglichkeiten sollten ausgehebelt werden. Diese Hypothek vergiftet das Verfahren nachhaltig und verhindert auch künftig Vertrauen in einen fairen Suchprozess, wenn Gorleben im Spiel bleibt.
- Die Thesen finden Sie hier
Gabi Haas, Journalistin und Rechtshilfe Gorleben e.V.
Die Vorläufige Sicherheitsanalyse Gorleben ist als verdeckte Eignungsprognose angelegt. Gorleben soll als Standort weiterhin durchgesetzt werden und einen Vorsprung vor anderen möglichen Standorten behalten. Vorgeblich geht es um allgemeine Eignungskriterien, tatsächlich zielt die VSG auf einen Sicherheitsnachweis für Gorleben, um eine breit angelegte Alternativsuche zu unterlaufen.
- Die Thesen finden Sie hier
Karl-Friedrich Kassel, Journalist
In seinem zweiten Vortrag unterstrich Kassel, dass Gorleben-Gelder zur Akzeptanzbeschaffung ausgegeben wurden. Es gab weder Vergabekriterien noch eine ausreichende Ausgabenkontrolle. Diese Ausgaben sind näher an Politikerbestechung zur Fixierung des Standortes als an gesellschaftlich orientierten Ausgleichszahlungen für besondere Belastungen künftiger Generationen. Sie können kein Argument für die Durchsetzung von Gorleben sein.
Dieter Magsam und Martin Lemke, Rechtsanwälte
Die Atomtransporte wurden gegen starken gesellschaftlichen Widerstand durchgesetzt, um den Standort Gorleben zu fixieren. Mit Sonderrechtszonen wurden Bürger- und Freiheitsrechte ausgehebelt, Widerstand sollte gebrochen werden. Flankierend wurde die Bevölkerung bespitzelt und kriminalisiert. Der politische Konflikt wurde verpolizeilicht – und blieb damit ungelöst. Die gesellschaftliche Debatte um Atomenergienutzung sollte verhindert werden. Für den künftigen Umgang mit dem strahlenden Müll ist eine breit getragene gesellschaftliche und demokratische Debatte unverzichtbar. Das begangene Unrecht muß aufgearbeitet werden, alle Daten von Atomkraftgegner müssen gelöscht werden.
Martin Donat, BI-Vorsitzender
Solange Gorleben als Endlageroption durch geschleift wird, reduziert sich die Debatte auf Pro und Contra. Gleichzeitig war die Beurteilung der Vergangenheit durch die Parteien so different und damit auch der Parteienkonsens so fragil, dass das gesamte Verfahren zur Bewältigung einer (dieser) Ewigkeitsaufgabe unter extremen Zeitdruck und faktisch ohne Beteiligung der Öffentlichkeit durchgeführt wurde. Im Ergebnis hat die Kommission damit nur 38 Jahre Endlagerforschung nachvollzogen, welche aber von Beginn an auf tiefe geologische Endlagerung in Salz und auf den Standort Gorleben festgelegt war. Unrecht und Verantwortlichkeit der Atommüllproduktion wurden so wenig aufgearbeitet, wie die breite gesellschaftliche Debatte über Sicherheit, Konzepte und Bedingungen eröffnet wurde. Der massive gesellschaftliche Konflikt ist damit auch nicht befriedet, sondern lediglich auf einen späteren Zeitpunkt verschoben worden.
Wolfgang Ehmke, Pressesprecher, 0170 510 56 06
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Tel. 0170 510 56 06